Nach FDP-Umfaller auch Österreich auf dem Weg zur Finanztransaktionssteuer

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Österreichs Regierung atmet auf, die deutsche Opposition triumphiert: Für den Fiskalpakt akzeptieren die Liberalen eine Tobin Tax ohne Briten.

Wien/Berlin. Es ist ein Aufatmen mit mehreren Monaten Verspätung: Am 10. Februar präsentierte Österreichs Regierung ihr Konsolidierungspaket bis 2016. Darin enthalten waren höhere und neue Steuern – auch eine in der EU abgestimmte Finanztransaktionssteuer, die damals noch lange nicht beschlossene Sache war. Kanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vize Michael Spindelegger (ÖVP) hatten sie schon wagemutig eingepreist, mit 1,5 Mrd. Euro in den Jahren 2014 bis 2016. Brüssel will die Steuer ab 2014 einführen (Details siehe Info-Box). Tatsächlich stehen die Zeichen dafür nach einem Einlenken der deutschen FDP so günstig wie noch nie.

Das Signal aus Berlin sehen Kanzler und Vizekanzler positiv. Aus Faymanns Büro hieß es, man sei erfreut, dass Deutschland mittlerweile bereit sei, eine solche Steuer auch nur im Verbund weniger EU-Staaten zu verwirklichen. Eine „Koalition der Willigen“ sei zu befürworten. Die Kanzlerpartei hat seit der Finanzkrise stets gefordert, dass der Finanzsektor „seinen Beitrag leistet“. Immerhin sei er in der Krise mit vielen Millionen Euro unterstützt worden.

Die ÖVP trug diese Linie – unter Vorbehalten – schließlich mit. „Österreich hat sich immer für die europaweite Einführung der Finanztransaktionssteuer eingesetzt und wird das auch weiterhin tun“, sagte Spindelegger zur „Presse“. Die neue Bewegung gebe Österreich „weiter Auftrieb“. Eine „Koalition der Willigen“ ist für den Vizekanzler „nur mit starken Verbündeten“ umsetzbar.

Stich im Poker um den Fiskalpakt

Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) hatte bereits im Vorfeld klargemacht, dass Österreich auch bei einer Transaktionssteuer mitmachen würde, die nicht in der gesamten EU gilt. Finanz-Staatssekretär Andreas Schieder (SPÖ) sprach von einem „Durchbruch“, er rechnet nun fix mit der neuen Steuer. Besonders euphorisch sind die Grünen: Finanzsprecher Werner Kogler erwartet einen deutlichen „Lenkungseffekt gegen Spekulationen“ und hohe Einnahmen für die nationalen Haushalte.

Folgendes Szenario ist wahrscheinlich: Zuerst lehnen die EU-Länder beim nächsten Europäischen Rat am 28. und 29. Juni den Vorschlag der Kommission für eine europaweite Finanztransaktionssteuer ab. Danach könnte die Initiative der „Willigen“ zum Beispiel in den Schlussfolgerungen festgehalten werden, und die betroffenen Länder könnten sich an die Umsetzung machen.

Dass die populäre Steuer ohne europäischen oder gar globalen Gleichklang nun tatsächlich Realität werden dürfte, hat mit dem innerdeutschen Poker um den Fiskalpakt zu tun. Noch im Juni will die Regierung ihn zusammen mit dem dauerhaften Rettungsschirm ESM durch den Bundestag bringen. Dazu aber braucht sie Stimmen der Opposition. Beflügelt von der französischen Konterrevolution Hollandes, wollen sich SPD und Grüne das ungeliebte Stabilitätskorsett so teuer wie möglich abkaufen lassen. Am weitesten geht ihr Wunsch nach einem Schuldentilgungsfonds. Durch ihn würden, ähnlich wie bei Eurobonds, ein Teil der Schulden in der Eurozone vergemeinschaftet und das Haftungsrisiko Deutschlands weiter erhöht werden. Dafür müsste die Koalition ihre Prinzipien über Bord werfen. Ähnlich sieht es bei staatlichen Infrastrukturprojekten aus, von denen sich die Opposition Wachstumsimpulse erhofft. Hier dürfte aber ein Kompromiss in letzter Minute durch kleinere Zugeständnisse mit Mitteln der Europäischen Investitionsbank möglich sein.

Am schnellsten und leichtesten fand sich eine Einigung zur Finanztransaktionssteuer. Die Union ist ja schon längst bereit, sie auch ohne den Finanzplatz London umzusetzen. Nur der kleine Koalitionspartner FDP leistete noch hinhaltenden Widerstand. Sein Kompromissvorschlag war eine Stempelsteuer nach britischem Vorbild, die ohne Devisen und Derivate auskommt. Am Donnerstag brach der Widerstand zusammen: Das viel weiter gehende Brüsseler Modell im kleinen Rahmen von nur neun Ländern ist nun plötzlich auch für die FDP akzeptabel.

Nebenwirkungen darf es nicht geben

Sigmar Gabriel zeigte sich begeistert über die „180-Grad-Wende“. Twitternd frohlockte der SPD-Chef: „Erster großer Fortschritt: Union/FDP folgen nach 2 1/2 Jahren unserer Forderung. Jetzt fehlt nur noch der Wachstumspakt.“ Damit die Liberalen ihr Gesicht wahren können, schloss eine Arbeitsgruppe der Fraktionen die befürchteten Folgen einfach schriftlich aus: Die Steuer müsse so ausgestaltet werden, dass es zu keinen Ausweichreaktionen kommt, sich erwünschte Börsengeschäfte nicht verlagern und europäische Finanzplätze nicht geschwächt werden. Auch Realwirtschaft und Kleinsparer dürfen nicht betroffen sein.

Wie ein Gesetzesentwurf aussehen soll, der diese erwartbaren Konsequenzen vermeidet, verriet die Arbeitsgruppe nicht. Die EU-Kommission selbst rechnet in einer hauseigenen Wirkungsstudie mit Wachstumseinbußen von einem halben Prozentpunkt der Wirtschaftsleistung. Laut „Financial Times“ sind dabei schon „wachstumsfördernde Maßnahmen“gegengerechnet, die mit den erhofften Einnahmen finanziert werden sollen. Wirken sie nicht, wäre dauerhaft mit 1,8 Prozentpunkten weniger Wachstum zu rechnen. Die FDP hätte theoretisch immer noch die Möglichkeit, im letzten Moment eine deutsche Unterschrift unter einen Neun-Länder-Vertrag zu verhindern. Damit rechnet aber niemand mehr ernsthaft.

Auf einen Blick

Am 5. Oktober 2011 hat die EU-Kommission ein Modell für eine Finanztransaktionssteuer vorgeschlagen, das sich nun u. a. Deutschland und Österreich EU-weit oder in einer „Koalition der Willigen“ vorstellen können. Vorgesehen ist ein Steuersatz von 0,1 % auf Aktien bzw. 0,01 % auf Derivate. Von einer Besteuerung ausgenommen sein sollen u.a. Spot-Transaktionen bei Devisengeschäften, Primärmarktgeschäfte, Transaktionen von Zentralbanken oder Spot-Transaktionen beim Rohstoffhandel. Bemessungsgrundlage soll das Transaktionsvolumen sein, die Einhebung soll am Ort der Niederlassung (am Firmensitz) erfolgen. Die Umsetzung ist für 2014 geplant. Österreichs Regierung rechnet für dieses Jahr bereits mit 500 Mio. € aus der neuen Steuer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2012)


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