Nahrung: Die subventionierte Hungersnot

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Landwirte freuen sich über hohe Preise für ihre Produkte bei gleichbleibend hohen Subventionen. Warum sollten sie an derart paradiesischen Zuständen eigentlich etwas ändern wollen?

Wenn Caritas-Präsident Franz Küberl die Öffentlichkeit sucht, weiß das geschulte Publikum schon, was kommen wird: eine Standpauke an die Adresse der wohlstandsverwahrlosten Bürger, die vor lauter Überfluss das Schicksal der Armen nicht mehr sehen. Wie etwa dieser Tage, als Küberl via Radio die Staatsmänner der ersten Welt dazu aufforderte, endlich etwas gegen die steigenden Lebensmittelpreise zu unternehmen.

Nicht ganz zu Unrecht. Die Lebensmittelpreise schießen seit Wochen in die Höhe, einer Milliarde Menschen fehlt Schätzungen zufolge das Geld, um satt zu werden. „Wir müssen die Augen aufmachen, die uns vom freien Welthandel zugepickt wurden“, wie Franz Küberl plakativ formulierte.

Nun, dann versuchen wir doch einmal, unsere Augen zu öffnen. Was wir zu sehen bekommen, ist in etwa folgende Situation: Seit Monaten steigen die Preise für Weizen, Mais und Reis wie verrückt. Der Preis für die Tonne Weizen hat sich seit Anfang 2006 mehr als verdreifacht, Reis und Milch sind heute doppelt so teuer.

Wie bei den alten Sowjets

Das hat sehr viel mit der seit Jahren wachsenden Nachfrage zu tun, die aus den Entwicklungsländern kommt. Dort sind Millionen von Menschen dank der Globalisierung zu neuen Absatzmärkten und damit auch zu mehr Wohlstand gekommen. Sie können es sich immer öfter leisten, zu Milchprodukten, Gemüse und Fleisch zu greifen. Wodurch auch der Getreideverbrauch steigt. Um eine Kalorie Fleisch zu bekommen, braucht es vier Kalorien Getreide.

Mitten in dieser Phase stark steigender Preise meinten westliche Industrienationen, Getreide in großen Mengen zu Treibstoff verarbeiten zu müssen. Zum Schutze des Klimas. Dieser Nachfrageschock war es, der die Preise hochgehen ließ, Ernteausfälle aufgrund von Dürren erledigten den Rest.

In einer funktionierenden Marktwirtschaft würden bei derart hohen Preisen neue Anbieter auf den Markt strömen, um zu verkaufen, was das Zeug hält. Mit dem Effekt, dass die Nachfrage relativ rasch gestillt wäre und sich die Preise abschwächten. Nur: Wir haben es hier nicht mit einer funktionierenden Marktwirtschaft zu tun – sondern mit Planwirtschaft vom Feinsten.

Das beginnt schon einmal damit, dass es weit und breit kaum neue Anbieter zur Deckung der wachsenden Nachfrage gibt. Abgesehen davon, dass sich freilich die Natur nicht innerhalb weniger Monate umstellen lässt, sind die Bauern auf Jahre hinaus an ihre Produktionspläne gebunden, vor allem in Europa. Wie in den guten alten Zeiten der Sowjets wird zum Teil auf Jahre hinaus festgelegt, welches Feld brachliegen soll, auf welchem Getreide wächst, auf welchem die Kühe grasen.

Hohe Preise, hohe Subventionen

Warum kein Bauer aus diesem System ausbricht und entgegen aller Vereinbarungen doch Weizen anbaut, wenn die Preise so toll sind? Ganz einfach: Die Herren über die Fördertöpfe verstehen in dieser Frage keinen Spaß. Und sie haben ein sehr starkes Argument auf ihrer Seite: Geld, und zwar jede Menge Geld. Bauern bekommen hierzulande bereits 60 bis 90Prozent ihrer Einkommen vom Staat und von der EU-Kommission bezahlt, sind also von den Subventionsgebern abhängig – und nicht von den Märkten.

Wer glaubt, eigene Wege beschreiten zu müssen, wird die harte Hand des Staates kennenlernen und mit dem Entzug der Subventionen bestraft. Darüber hinaus finden die Bauern ja auch eine perfekte Situation vor: hohe Preise für ihre Produkte und hohe Subventionen. Welches Interesse sollten sie haben, an derart paradiesischen Zuständen etwas zu ändern? Der Kunde zahlt schließlich zwei Mal: Ein Mal als Steuerzahler für die Subventionen und ein zweites Mal an der Supermarktkassa.

Das alles sind die Folgen eines pervertierten Systems. Um den Hunger aus dem Nachkriegseuropa für immer auszusperren, wurden über Jahrzehnte hinweg mit Einsatz milliardenschwerer Subventionen kolossale Butterberge aufgebaut, riesige Milchseen angelegt und die Getreidespeicher randvoll gefüllt. Als die Überschüsse immer größer und kaum noch finanzierbar wurden, setzten die Staaten neuerlich milliardenschwere Subventionen ein, um die Butterberge abzubauen, die Milchseen trockenzulegen und die Getreidespeicher zu leeren.

Die Überschüsse wurden pikanterweise mit weiteren milliardenschweren Subventionen auf die Weltmärkte geworfen. Mit dem unangenehmen Effekt, dass Landwirte aus den Entwicklungsländern in hohem Bogen aus dem Markt flogen. Sie hatten gegen die hoch subventionierten Produkte aus Europa klarerweise keine Chance – und sie fehlen heute bitter als alternative Produzenten. Drei von vier Entwicklungsländern sind mittlerweile trotz günstiger Vegetation Netto-Importeure von Lebensmitteln (was freilich auch mit fehlenden demokratischen Strukturen zu tun hat).

Satte Gewinne an den Börsen

Wer nun behauptet, dass Spekulanten die Preise weiter nach oben treiben, hat recht. An den Börsen lässt sich mit der Trägheit der Landwirtschaft längst gutes Geld verdienen. Weil nun einmal vorhersehbar ist, dass die Nachfrage nicht so schnell gedeckt werden kann und das Preisniveau deshalb hoch bleiben wird.

Wenn wir also unsere Augen öffnen, werden wir sehen, dass die Lösung wohl kaum in noch mehr Planwirtschaft liegen wird. Wie in staatlichen Preisregulierungen oder neuen Schutzzöllen. Vielmehr im genauen Gegenteil davon: Weniger Planwirtschaft, weniger Exportsubventionen und deutlich mehr Markt. Auch auf die Gefahr hin, dass Derartiges den Bauern nicht besonders schmecken wird.


franz.schellhorn@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2008)


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