Börse: Gefahr kommt aus dem Osten

(c) AP (Daniel Roland)
  • Drucken

Österreichische Unternehmen und Aktionäre sind von Moskau-Baisse besonders betroffen. Moskau stemmt sich mit Hilfe seiner Öl-Dollars gegen eine drohende Bankpleitenwelle.

Wien (ju). Es war die nackte Panik: Großanleger warfen ihre Aktien zu jedem Preis auf den Markt, die drei größten Geschäftsbanken Russlands gerieten gefährlich ins Schwimmen, ein großes Brokerhaus verabschiedete sich in die Pleite. Der Moskauer Aktienindex verlor binnen drei Tagen mehr als ein Viertel.

Am Mittwoch, als der Crash nicht mehr aufzuhalten schien, musste der Chef selbst an die Front: Der Kreml ließ den Aktienhandel an der Börse einfach stoppen (er soll frühestens heute, Freitag, wieder aufgenommen werden), Präsident Medwedjew veranlasste, dass die Notenbank den drei größten Banken mit einem 44-Milliarden-Dollar-Kredit zur Seite sprang und zusätzlich 20 Milliarden Dollar ins Finanzsystem pumpte.

Der Präsident ließ kursdrückende „Leerverkäufe“ von Aktien verbieten, kündigte zur Stützung der schwer unter die Räder gekommenen Ölfirmen eine Senkung der Ölexportsteuer an und versicherte, die Regierung werde alles tun, um das Finanzsystem stabil zu halten.

Mit anderen Worten: Während die ganze Welt dem amerikanischen Finanzsystem beim Niederbrechen zusah, schlitterte Russland fast unbemerkt in die größte Krise seit dem De-facto-Staatsbankrott vor zehn Jahren.

Auch die Wiener Börse leidet

Die Schockwellen sind in ganz Osteuropa und vor allem in Österreich stark zu spüren: An der Wiener Börse werden Unternehmen mit starkem Engagement in Russland (etwa Raiffeisen International) besonders schwer abgestraft und die Kurse jener Immobiliengesellschaften, deren Investitionsschwerpunkt in Osteuropa liegt, regelrecht zertrümmert. Kleinanleger bemerken den Zusammenbruch des Osteuropa-Booms in ihren Portfolios: Russland- und Osteuropa-Fonds haben dramatisch an Wert verloren.

Wachstum wird gebremst

Experten haben die bis vor kurzem gepflegte These, dass Österreich die Finanzkrise deshalb besser überstehen werde, weil es in dem von der US-Krise kaum berührten Osten stark engagiert sei, jedenfalls bereits verworfen. Die russischen Turbulenzen werden das bisher hohe Wirtschaftswachstum des Landes deutlich abbremsen, zumal der unmittelbare Grund des Absturzes derselbe wie in Westeuropa und den USA ist: Banken trauen einander nicht mehr über den Weg und schränken die Kreditvergabe dramatisch ein. Damit fließt weniger (und zudem teureres) Geld für Investitionen in die Wirtschaft.

Dass sich die Lage schnell wieder entspannt, gilt als unwahrscheinlich: Die Auswirkungen der US-Finanzkrise und der sinkende Ölpreis sind nämlich keineswegs die einzigen Probleme des Landes. Der harsche Umgang mit Auslandsinvestoren und der Georgien-Krieg haben zu einer Investorenmassenflucht geführt: In wenigen Wochen sind annähernd 40 Milliarden Dollar aus Moskau abgezogen worden.

Die unmittelbare Liquiditätskrise dürfte das Land aber meistern: Russland verfügt mit 570 Milliarden Dollar nach China und Japan über die drittgrößten Währungsreserven der Welt – und setzt diese derzeit auch konzentriert ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2008)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.