Island am Rande des Staatsbankrotts

Geir Haarde, Bjorgvin Sigurdsson
Geir Haarde, Bjorgvin Sigurdsson(c) AP (ARNI TORFASON)
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Die Finanzkrise führt auf der Insel bereits zu Hamsterkäufen. Die Angst vor trockenen Zapfsäulen wächst.

Reykjavik. Bei den „Bonus“-Supermärkten in Reykjavik hamstern die Kunden Lebensmittel. Einmal täglich werden die Preise reguliert, und was man heute nicht kauft, ist morgen noch teurer. Wenn man die Waren überhaupt noch bekommt. Bonus, Islands größter Discounter hat Schwierigkeiten, für seine Einkäufe die nötigen Devisen zu beschaffen, und das ist dramatisch in einem Land, das außer Fisch und Lammfleisch alles importieren muss. Auch den Benzingesellschaften gehen die Dollar aus, und die Isländer fürchten trockene Zapfsäulen.

„Wir hatten eine tolle Party, und jetzt haben wir einen schrecklichen Kater“, beschreibt ein Gast in einer Kneipe der isländischen Hauptstadt die Stimmung auf der nordatlantischen Insel, die von der internationalen Kapitalkrise härter getroffen ist als jedes andere Land. Denn Island hat die kleinste selbstständige Währung der Welt und den im Vergleich zum Bruttosozialprodukt größten Finanzsektor, und das ist keine günstige Kombination in Krisenzeiten. „Das einzige isländische Papier, das noch etwas wert ist, ist der Pass, mit dem wir hier wegkommen können“, sagt der TV-Reporter Michael Torfasson in einem Anflug von Galgenhumor.

Lange hatten isländische Banken und Politiker alle Warnungen vor einem Kollaps empört zurückgewiesen. Montagabend musste Ministerpräsident Geir Haarde in einer Rede im Parlament eingestehen, dass sein Land am Rand des Zusammenbruchs steht. „Im schlimmsten Fall geraten wir in den Abwärtssog der Banken, und das Ergebnis wäre ein Staatsbankrott“, sagte er in der vom Fernsehen übertragenen Debatte.

Notstandsgesetze beschlossen

Um das zu vermeiden, beschloss das Parlament in der Nacht auf Dienstag Notstandsgesetze, die einer Verstaatlichung des Bankenwesens nahekommen. In der Vorwoche hatte der Staat 75 Prozent der drittgrößten Bank Glitnir übernommen, am Dienstag setzte sich die Finanzaufsicht im zweitgrößten Geldinstitut Landsbanki ans Steuer. „Heimische Einlagen sind voll garantiert“, versichert die Regierung, um Panik zu vermeiden. Marktführer Kaupthing bestreitet, dass er ebenfalls vor einer Staatsübernahme stehe. Für die Anlagen österreichischer Sparer, die sich von Kaupthings Hochzinsangeboten locken ließen, gilt übrigens noch die alte isländische Garantie: Deren Einlagen sind demnach mit bis zu 20.887 Euro gesichert.

Die Ausnahmegesetze geben den Behörden das Recht, den Banken den Geschäftsgang zu diktieren und sie notfalls zur Fusion oder zur Insolvenz zu zwingen.Dabei war es die Liberalisierung des Bankenwesens in den Neunzigerjahren, die der Branche einen beispiellosen Aufschwung brachte. Die Großbanken expandierten mit aggressiver Kreditpolitik ins Ausland. Heute ist ihr Geschäftsvolumen zehnmal so groß wie Islands Sozialprodukt. „In einem großen Land wären sie zu groß, um pleitegehen zu können. In Island sind sie zu groß, als dass der Staat sie retten kann“, stellte die Zeitung „Aftenposten“ fest. Nun soll Russlands Regierung Reykjavik vier Mrd. Euro angeboten haben, was in Moskau jedoch dementiert wurde.

Mit billigen Krediten finanzierten die Banken einst die Übernahmewelle, mit der sich die Isländer in Großbritannien und Skandinavien breitmachten. Modehäuser und Fluglinien, Elektronikläden und Medien, alle Branchen wirbelten sie auf. Zeitweilig hatte Island Europas höchste Zuwachsraten, die Immobilienpreise explodierten, durch Reykjaviks Straßen rollten protzige Geländewagen, alles auf Pump gekauft und oft in anderen Währungen finanziert.

Jetzt hat die isländische Krone zwei Drittel ihres Wertes verloren. Jetzt wissen viele der 300.000 Isländer nicht mehr, wie sie ihre Schulden tilgen sollen, der Häusermarkt ist zusammengebrochen, Importwaren werden täglich teurer. Die Inflation liegt bei 14 Prozent, der Leitzins bei 15,5 Prozent.

Schon werden Stimmen laut, Island solle um Aufnahme in die EU ansuchen. Dabei geht es den Isländern vor allem um den Euro. „Den Euro ohne EU-Mitgliedschaft nehmen wir auch“, heißt es. Doch Premier Haardes Konservative haben aus Rücksicht auf die Fischereibranche einen EU-Beitritt bisher stets abgelehnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2008)

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