Finanzkrise: Die Balten sitzen in der Schuldenfalle

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Estland, Lettland und Litauen träumen trotz Bankrottwarnungen vom Euro. Die baltischen Banken sind nicht wie die isländischen auf internationale Raubzüge gegangen.

KOPENHAGEN. Manche bewahren selbst in düsteren Zeiten ihren Humor, und Lettlands Zentralbankchef Ilmars Rimsevics scheint ein solch helles Gemüt zu sein. Er überraschte seine vom Schuldenberg geplagten Landsleute jüngst mit der Ankündigung, dass sie früher als erwartet mit dem Euro als Zahlungsmittel rechnen könnten. Schon 2011 könne es so weit sein, meinte Rimsevics. Sein Argument: Durch die Rezession werde die Teuerung so stark gebremst, dass man schon bald imstande sein werde, die Kriterien für die Einführung des Euro zu erfüllen.

Bis zu 1,7 Mrd. Euro Kredit nötig

Rimsevics droht ein böses Erwachen aus seinen Träumen. Zwar erwartet auch die Europäische Kommission, dass die heurige lettische Rekordinflation von 15,7 Prozent stark sinken wird, doch auch 2010 liegt sie nach Brüsseler Prognosen mit 4,7 Prozent noch weit über dem erlaubten Schnitt. Angesichts gigantischer Zahlungsbilanzdefizite und rapid steigender Schulden gelten die baltischen Staaten auf den Kapitalmärkten eher als Bankrottkandidaten denn als Euro-Anwärter.

Zumal der Notenbankchef derzeit andere Sorgen hat. Am Donnerstag suchte Lettland offiziell beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Kommission um Kredit an, nachdem die Wirtschaftsleistung im dritten Quartal um 4,2 Prozent geschrumpft war. Wie viel Geld Lettland genau benötigt, ist unklar. „Das werden wir in drei bis vier Wochen wissen“, sagte Rimsevics am Freitag im lettischen Radio. „Wir brauchen 800 Mio. bis 1,2 Mrd. Lati“, sagte Andris Vilks, Chefökonom der SEB Banka in Riga zur Nachrichtenagentur Bloomberg. Das wären im schlimmsten Fall 1,7 Mrd. Euro.

In Estland träumt man indessen weiterhin vom Euro. Premier Andrus Ansip hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die die Euro-Einführung vorbereiten soll. Gleichzeitig bemüht man sich in Tallinn, alle Mutmaßungen zu zerstören, dass diesem Schritt eine kräftige Abwertung der Kroon vorausgehen müsse. Dies sei „überhaupt nicht aktuell“, versichert Vizenotenbankchef Andres Sutt, und wäre praktisch schwer durchführbar.

Denn die Kroon ist seit ihrer Einführung 1992 fest an zunächst die D-Mark und nun den Euro gebunden. Diese Fixierung ist gesetzlich verankert und könnte nur durch ein Gesetz wieder aufgehoben werden, was nicht mit einer Abwertung zu vereinbaren ist, die überfallartig zu geschehen pflegt, um Spekulanten zuvorzukommen. Für Industrie und Privatleute, die im Vertrauen auf den Festkurs hohe Kredite in Euro genommen haben, wäre eine Abwertung ein weiterer Schritt in den Abgrund.

Ansip hat eingesehen, dass seine kühne Ankündigung aus dem letzten Wahlkampf, Estland werde „in fünf Jahren zu den fünf reichsten EU-Ländern“ zählen, nicht zu realisieren ist. Doch die Regierung in Tallinn wehrt sich wie ihre Kollegen in Riga und Vilnius gegen die Analysen, die ihren Ländern den baldigen Wirtschaftskollaps prophezeien.

Denn die Lage der Balten ist nicht mit Island zu vergleichen. Die baltischen Banken sind nicht wie die isländischen auf internationale Raubzüge gegangen. Im Gegenteil: Der Finanzmarkt ist fest in ausländischem Besitz. 95 Prozent des estnischen Bankensektors werden von drei schwedischen und einer dänischen Bank dominiert, und auch in Lettland und Litauen ist er mehrheitlich in skandinavischer Hand und damit von den dortigen umfassenden Garantien abgesichert.

Hausgemachte Misere

Doch die Jahre des Höhenflugs sind vorbei, und das ist nicht Folge der internationalen Krise, sondern einer hausgemachten Misere. „Der durch Fremdfinanzierung angeheizte Boom endete schon vor Ausbruch der Finanzkrise“, stellte die EU-Kommission fest, denn die „harte Landung“ hatte sich längst abgezeichnet. Die zweistelligen Wachstumsraten, die die Balten an die Spitze der Statistiken führten, waren vor allem auf ungezügelten Konsum um geborgtes Geld und den starken Anstieg der Immobilienpreise zurückzuführen. In der Wirtschaftszeitung „Äripäev“ beschrieb der Journalist Rolf-Martin Soe zynisch das „estnische Wirtschaftswunder: Leih dir drei Kronen von einem Schweden und sei stolz auf eine Krone Wachstum.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2008)


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