Finanzkrise: Zuflucht beim großen Bruder Russland

Eine Frau beim ''Marsch der leeren Töpfe'' gegen Präsident Juschtschenko in der ukrainischen Stadt Simferopol.
Eine Frau beim ''Marsch der leeren Töpfe'' gegen Präsident Juschtschenko in der ukrainischen Stadt Simferopol.(c) Reuters
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Die GUS-Staaten suchen wieder verstärkt in Moskau um Finanzhilfe an. Doch Russlands Möglichkeiten sind wegen des fallenden Ölpreises beschränkt – und die Motive für seine Hilfe vielschichtig.

Moskau. Je dramatischer sich die Wirtschaftskrise in den ehemaligen Sowjetrepubliken und nunmehrigen GUS-Staaten entwickelt, umso mehr strecken sie die Hände auf der Suche nach Hilfe in alle Richtungen aus. Nicht nur der Internationale Währungsfonds (IWF) ist der Hoffnungsträger der jungen und vielfach schwachen Ökonomien. Als möglicher Retter in der Not wird auch der „große Bruder“ Russland mehr und mehr in Betracht gezogen.

Aktuell hat die finanziell schwer angeschlagene Ukraine, konkret Premierministerin Julia Timoschenko, einen offiziellen Antrag auf einen Kredit in der Höhe von fünf Milliarden Dollar in Moskau eingebracht. Dies bestätigte der russische Finanzminister Alexej Kudrin: „Derzeit beraten wir darüber mit Mitarbeitern des ukrainischen Finanzministeriums.“

Zwist in der Ukraine

Von Kiews Hinwendung zu Moskau war schon Anfang Februar die Rede gewesen. Auf die damals lediglich inoffizielle Anfrage reagierte Russland aber zurückhaltend: Man könne nicht einem Kredit zustimmen, „wenn dieser für unnötig gehalten wird“, sagte Kudrin unter Verweis auf die Uneinigkeit innerhalb der ukrainischen Staatsführung über die Notwendigkeit eines Kredites aus Russland.

In der Tat ziehen die ukrainische Regierung und Präsident Viktor Juschtschenko weder in Sachen Kredit noch in irgendeiner anderen Frage an einem Strang. Gerade auch in der Frage des Verhältnisses zu Moskau scheiden sich die Geister. Juschtschenko hält den großen Bruder für einen unberechenbaren Nachbarn mit imperialistischen Ambitionen. Timoschenko, die noch vor wenigen Jahren mit ihren Attacken auf Moskau im Westen gepunktet hat, flirtet mittlerweile immer häufiger mit den Russen.

Schon während des Georgien-Krieges hatte sie sich nicht gegen Russland gestellt, um bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen endlich auch im russischsprachigen Osten zu punkten. Zudem heftet sie sich die Beendigung des Gasstreits im Jänner auf die Fahne.

Juschtschenko indes fürchtet, dass sich zur Abhängigkeit von russischem Gas auch noch die von russischem Geld gesellt, und scheute vor einem Monat, als er vom Kreditansuchen erfuhr, nicht einmal den Vergleich mit dem Molotow-Ribbentrop-Pakt zwischen Nationalsozialisten und Stalin.

Der Westen sieht die innenpolitischen Zerwürfnisse in der Ukraine als einen Luxus der zynischen Art und fordert längst die Bündelung der Kräfte zur Überwindung der Krise. Von allen osteuropäischen Staaten ist die Ukraine am schwersten von der Finanz- und Wirtschaftskrise getroffen. Die Prognosen für den Wirtschaftsrückgang nach dem Boom werden regelmäßig nach unten revidiert. Um das Land vor dem Staatsbankrott zu retten, hat der IWF schon im Herbst einen Kredit von 16,5 Mrd. Dollar zugesagt und die erste Tranche überwiesen. Die Auszahlung der zweiten Tranche wurde bisher zurückgehalten, weil die ukrainische Regierung nicht alle Vorgaben wie die Kürzung der Budgetausgaben erfüllt.

Mittlerweile stehen die Zeichen wieder auf Kooperation, nachdem die Regierung am Mittwoch auf internationalen Druck hin die Unabhängigkeit der Zentralbank zugesagt hat. Am Weltbank-Kredit führt kein Weg vorbei. „Sollte die Weltbank die Zahlung verweigern, hätten wir ein Problem“, sagte der Aufsichtsratschef der ukrainischen Nationalbank, Petro Poroschenko, vergangene Woche im Interview mit der „Presse“.

Ein Problem hat freilich auch Russland selbst. Weil die Finanzkrise nicht nur in Form des Liquiditätsmangels, sondern auch mit dem Ölpreisverfall zuschlägt, fällt das Land um seine Haupteinkünfte um: „Der Einbruch war mit 30 Prozent schwerwiegender als in europäischen Staaten“, sagte Kudrin. Auch Russlands Wirtschaft wird nach jahrelangen Höhenflügen heuer schrumpfen.

Moskaus Möglichkeiten, die schwachen Nachbarländer finanziell zu unterstützen und so auch wieder stärker an sich zu binden, sind daher nicht so unendlich groß, wie dies noch vor einem halben Jahr schien. Man werde den GUS-Staaten in dem Ausmaß helfen, das entsprechend dem jetzigen Zustand der russischen Wirtschaft möglich ist, meinte Kudrin, dem als nicht ideologisiertem Sparmeister das Verdienst zukommt, Russland zum strikten Sparkurs gezwungen zu haben.

Geldimperialismus Russlands?

Zuletzt hatte es vermehrt den Anschein, dass Moskau mit einem Reigen großzügiger Kreditvergaben seinen imperialistischen Instinkt wieder auszuleben beginnt. Im Februar hatte das Land mehreren Verbündeten binnen weniger Tage 6,2 Mrd. Dollar versprochen.

Als Empfänger firmieren Weißrussland und Kirgisistan mit je zwei Mrd. Dollar, dazu noch Armenien und Kuba. In gewisser Weise will sich Russland vor einem Ansturm illegaler Gastarbeiter schützen. Und mancherorts verbindet es das Nützliche mit dem Angenehmen: Kirgisistan wandte sich von den USA ab und wieder Russland zu: Das Land kündigte die Schließung der von den USA für den Afghanistan-Einsatz genutzten Air Base Manas an.

Auf einen Blick

Die Ukraine steht nach Einschätzung der Osteuropabank (EBRD) unter allen osteuropäischen Ländern wirtschaftlich derzeit am schlechtesten da. Um das Land vor dem Staatsbankrott zu retten, hat der Internationale Währungsfonds schon im Herbst einen Kredit in Höhe von 16,5 Mrd. Dollar zugesagt und eine erste Tranche überwiesen. Jetzt wurde Kiew in Moskau vorstellig und suchte um Zuschüsse in Höhe von fünf Milliarden Dollar an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2009)

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