Viel zu verlieren: Die armen Reichen

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Wer viel hat, hat viel zu verlieren - das hat die Finanzkrise eindrucksvoll bewiesen. Doch schon plagen die Vermögenden neue Sorgen: Sie fürchten sich vor ausufernder Inflation.

Es ist eine schwere Zeit für Banken. Manch Institut bricht zusammen, weil es sich verspekuliert hat. In manch kleiner, feiner Privatbank droht es hingegen im wörtlichen Sinne zu krachen, weil bei ihrer Klientel der Goldrausch ausgebrochen ist: „Wir mussten vor der letzten Lieferung von Goldbarren mit einem Statiker klären, ob der Boden das Gewicht aushält“, erzählt Christoph Kraus von der Kathrein Bank.

Gold wirft keine Zinsen ab und hat in den letzten 20 Jahren an Wert nicht zugelegt. Aber es gilt als Versicherung der Verunsicherten. Daran sieht man: Wer viel hat, hat viel zu verlieren – Vermögen, Vertrauen oder einfach das gute Gefühl, auf der Straße respektvoll gegrüßt zu werden. Das ist die Erfahrung jener, die man im Bankenjargon als „High Net Worth Individuals“ bezeichnet, auf gut Deutsch: die Reichen.

Wer aber ist, im technischen Sinne, reich? Jeder, der zumindest eine Million Dollar (755.000 Euro) an veranlagbarem Vermögen sein Eigen nennt. Die privat genutzte Villa samt Gemäldesammlung zählt nicht dazu. Die Begüterten dieser Welt haben ein harsches Jahr hinter sich: 2008 wurden sie um zehn Billionen Dollar oder 20 Prozent ärmer, schätzt die Unternehmensberatung Oliver Wyman. Heuer dürfte es noch weiter abwärts gehen.


Förster statt Spekulanten. Superreiche traf es besonders hart. Der legendäre Warren Buffett erlitt soeben die Schmach, dass die Ratingagentur Moody's seine Investmentfirma rückstufte. Um rund 32 Mrd. Dollar schrumpfte der Besitz des indischen Telekom-Tycoons Anil Ambani, um 18 Mrd. wurde Bill Gates ärmer. Immerhin: 40 Mrd. bleiben ihm noch.

Der Grund für den tiefen Fall: Reiche halten einen weit größeren Teil ihres Besitzes in Aktien als der Rest der Bevölkerung. Auch in den USA, wo Börsenwerte breiter gestreut sind, besitzen die reichsten zehn Prozent 85 Prozent aller Aktien. Der Weltaktienindex MSCI World aber fiel voriges Jahr um 42 Prozent, der ATX um 60 Prozent.

Regelrecht pulverisiert wurden die Aktiva vieler russischer Oligarchen, wie etwa von Oleg Deripaska. Sie hatten Expansionen mit billigem Fremdkapital finanziert und mit Vermögenswerten besichert, die nun in den Keller rasselten. Wer als Amerikaner oder Brite in Immobilien investiert blieb, musste ohnmächtig zusehen, wie mit der Blase auch der Traum von der sicheren Geldanlage zerplatzte. Topmanager verloren zudem ihre Boni, Investmentbanker oft gleich ihren Job.

Aber wie steht es um die reichen Österreicher? In den Jagdschlössern der Flick-Erben, den Forsten der Liechtensteins und um Melinda Esterházys Neusiedler See sind die Erdbeben auf den Finanzmärkten kaum zu verspüren. Auch Karl Wlascheks Wiener Zinshäuser sind wenig betroffen. Dennoch hat das Gesamtportfolio des Billa-Gründers nach den Forbes-Daten einen kräftigen Aderlass erfahren: Es fiel von 4,9 auf 4,2 Milliarden Dollar.

Schlecht stehen die Aktien bei Anteilseignern börsenotierter heimischer Unternehmen. Ein Mirko Kovats, ein Martin Schlaff oder ein Hans-Peter Haselsteiner können täglich vom Kurszettel ablesen, wie der Wert ihrer Pakete bei A-Tec, RHI und Strabag den Bach runtergeht. Schlaff kaufte sich bei der RHI im Herbst 2007 ein, um 25 bis 35 Euro je Aktie. Jetzt notiert das Papier bei 12,50 Euro. Kein Problem, lässt er die „Presse“ wissen, denn er habe den RHI-Anteil cash erworben – also ohne Kredit. Zudem betrachte er RHI als langfristiges Investment. Schwerer zu schätzen ist der Gewichtsverlust von Unternehmern, deren Kapital nicht börsenotiert ist. Der rote Bulle Dietrich Mateschitz, der Glücksspiel-Ritter Johann Graf oder der Säger Gerald Schweighofer dürfen hoffen, ihre Unternehmenswerte halbwegs unbeschadet über die Runden zu bringen. Pech haben jene, die in der Krise verkaufen müssen und den Wertverlust ihres Geschäfts in der ganz privaten Bilanz zu spüren bekommen.

Das Geld, das sie erwirtschaftet, ererbt oder erheiratet haben, trugen die Reichen bisher meist zu einer Privatbank – und wurden oft genug enttäuscht: „Die Anleger sind verängstigt, verunsichert und misstrauisch“, gesteht Kraus für seine Branche. Denn in den letzten fünf Jahren hätte ein simples Sparbuch mehr gebracht als ein kunstvoll austariertes Portfolio.

Gold statt Geld. Freilich: Je wohlhabender, desto konservativer ist meist die Veranlagung. „Das Risiko in der Firma kann man nicht deckeln. Dafür gehen Unternehmer mit ihrer Dividende besonders vorsichtig um“, weiß Susanne Höllinger, Leiterin des Private Banking bei der Erste Group. Doch die Reichen wurden dazu gedrängt, zu diversifizieren, Exotisches wie Zertifikate und Hedgefonds ins Portefeuille zu holen, die ihnen auch in kleineren Dosen böse Überraschungen bescherten.

Kein Wunder, dass nun viele sagen: Das kann ich selbst auch nicht schlechter. Manche ziehen ihre Mandate ab, andere wollen nur mehr Beratung. „Das Geschäftsmodell der Privatbanken muss sich ändern“, erklärt Kraus. Vorbei die Zeiten, als sich Anleger einmal im Jahr Ergebnisse zeigen ließen. „Jetzt kommen sie jeden Monat“, erzählt Höllinger. Plötzlich wollen sie volkswirtschaftliche Zusammenhänge verstehen: Wie weit sinken die Zinsen? Wie ist das ist mit der Geldmengenausweitung?

Dahinter steht eine konkrete und heftige Furcht: vor einer Hyperinflation. „Mehr als die Hälfte unserer Kunden sehen das als größtes Risiko für ihr Vermögen“, schätzt Kraus. In vielen Familien ist die Erinnerung an die Währungsreformen von 1947 und 1923 wach, als sich das Geldvermögen durch Streichen von Nullen in Luft auflöste. Die Aufblähung der Staatsschulden, das Anwerfen der Geldpresse – das alles kommt den Älteren aus der Kriegs- und Nachkriegswirtschaft böse bekannt vor. Doch schon zweistellige Inflationsraten wie in den 70er-Jahren träfen sie hart. So lautet die Devise: raus aus dem Geld, rein in reale Werte– Gold, Gebäude, Landbesitz.

Noch größer ist aber die Angst vor dem „Mob“, dem Zorn der ärmeren Opfer der Krise. „Die Reichen fürchten, dass man sie pauschal zu Sündenböcken stempelt, mit den Meinls und Madoffs in einen Topf wirft“, sagt Kraus.

Nüchtern betrachtet könnte die Misere der Reichen von Nutzen sein. Wenn sie in der Krise überproportional verlieren, verringern sich die Einkommensunterschiede dort, wo sie wieder deutlich gestiegen sind: im angelsächsischen Raum. Gründe dafür waren der Boom der Finanzindustrie und Steuergeschenke. Sie sollten den Mittelstand zu Unternehmertum und besserer Ausbildung seiner Kinder motivieren – und so das Wachstum fördern. Doch keine Studie konnte den gewünschten Effekt nachweisen. Allerdings lässt sich die Situation in den USA kaum mit der Kontinentaleuropas vergleichen. In Österreich sind die Einkommen längst weit gleichmäßiger verteilt, etwa so wie in Skandinavien (siehe Grafik).

Wenn die Politik sich durch populistische Maßnahmen an der Suche nach Sündenböcken beteiligt, könnte der Zorn bald weitere Ziele finden – etwa Migranten, „die uns die Arbeit wegnehmen“. Kraus erinnert an die alte Wirtschaftskrise, die der heutigen am stärksten gleicht: jene ab 1873. Sie war für Österreich und Deutschland die Brutstätte des Antisemitismus – mit allem Bösen, was daraus folgte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2009)

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