Digitale Revolution soll den stationären Handel retten

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Für innovationsgetriebene Unternehmen sind Methoden wie Gesichtsfelderkennung schon Gegenwartsprogramm. Der heimische Handel hat Aufholbedarf.

Adidas lässt in einigen Geschäften bereits Geschlecht und Alter per Software erkennen, um Kunden entsprechende Sportschuhe zu präsentieren. In Japan bieten Getränkeautomaten Durstigen vermeintlich zu ihnen passende Drinks an. Die britische Einzelhandelskette Tesco plant an 450 Tankstellen ihrer Gruppe die Augen der Kunden digital zu erfassen und ihnen die Wartezeit mit passenden, kurze Werbespots zu überbücken. Innovationen wie diese sind weltweit am Vormarsch. Dazu gehört auch Digital Signage, das großflächige Bildschirme für Werbezwecke oder Infotainement am Point of Sale einsetzt. Ebenso wie das Customer Flow Management, das dem Kunden die Wartezeit verkürzen soll. Oder das Customer Monitoring, mit dem das Kundenverhalten über Sensoren erfasst und visualisiert wird.

Damit können Händler erkennen, auf welchen Wegen die Kundschaft durch ein Geschäft geht, wo die Leute länger verweilen oder stehen bleiben. Die Teilnehmer der Diskussionsrunde "Smart Shopping", zu der Kapsch kürzlich Handelsexperten in Wien geladen hatte, waren sich einig, dass diese Maßnahmen über kurz oder lang zu einer Steigerung der Verweildauer der Kunden in den Geschäften führen und letztlich höhere Umsätze in die Kassen der stationären Händler bringen werden. Aber nicht nur denen, sondern auch der Biometriebranche selbst. Konsumforscher schätzen diesen Markt 2014 weltweit etwa zehn Milliarden Dollar schwer ein.

Investitionen konkurrieren

Natürlich biete die Digitalisierung auch Chancen für den heimischen Einzelhandel, der sich in einer ganz starken Umbruchphase befinde, sagt Stephan Mayer-Henisch, Präsident des Österreichischen Handelsverbandes. "Der Handel braucht die Daten auch, um im Kampf gegen Internet-Giganten wie Amazon, die auch auf diesem Gebiet der Konkurrenz um viele Schritte voraus sind, nicht unterzugehen", unterstreicht Mayer-Heinisch die Notwendigkeit. Er habe derzeit aber eher das Gefühl, dass die Flut an neuen Anforderungen den Handel zum Teil überfordere. "Denn es sollten enorme Investitionssummen für die Digitalisierung locker gemacht werden, die mit anderen Projekten konkurrieren", so Mayer-Heinisch.

Aber es werde kein Weg an den Innovationen vorbeiführen, denn während "Musskäufe" internetanfälliger sind, werden "Lustkäufe" überwiegend vom stationären Handel bedient. Dazu bedürfe es intelligenter Investitionen in Ambiente, Emotionen und Service, bestätigt der frühere Leder&Schuh-Mananger. "Im Retail-Bereich vollzieht sich eine wahre Revolution: Die einzig richtige Reaktion des Handels auf die Konkurrenz der digitalen Medien, die insbesondere von jungen Kunden genutzt werden, kann nur sein, diese Möglichkeiten selbst einzusetzen".

Handel hat Aufholbedarf

Hannes Lindner vom Marktforscher Standort+Markt stellt im Rahmen seiner Beratungstätigkeit häufig fest, dass bei den Händlern zwar Daten vorhanden sind, aber die Schlüsseldaten fehlen. Eine Conversion Rate, mit der dargestellt wird, wie viele der Besucher eines Geschäfts auch wirklich was kaufen, sei absolute Pflicht für Einzelhändler. "Denn Maßnahmen für das Geschäft alleine vom Umsatz abzuleiten ist eine fahrlässige Handlungsweise", kritisiert Lindner innovationsresistente Unternehmen. "Eigentlich sollte der Handel auch wissen, wie viele Leute am Geschäft vorbeigehen und wie viele ins Geschäft wirklich hineingehen", ortet der Berater deutlichen Aufholbedarf bei den Frequenzerfassungen.

Es wundere ihn nicht, dass einige Filialketten wie die Kaisersemmeln krachen. Denn heute gehe es bei der gegenwärtigen Revolution im Handel nicht wie in den vergangenen Jahrzehnten um Expansion, sondern um eine geordnete Rückentwicklung der Filialnetze. Dafür sind komplexere Daten notwendig als früher, wo man nur  "weißen Flecken" auf der Filial-Landkarte finden musste.

Kunde kommt seltener ins Geschäft

Kapsch wolle mit seinen modernen Lösungen den Handel unterstützen und nicht dem Handel das Geschäft erklären, sagt Kapsch BusinessCom-COO Jochen Borenich. Die Digitalisierung soll dazu beitragen, die durchaus bestehenden Datenfriedhöfe abzubauen und die wichtigen Daten aus den Zahlenbergen herauszufinden. Die Händler müssen ihre wenigen Chancen besser nutzen, merkt Florian Rotberg vom Beratungsunternehmen invidis consulting an. Und illustriert diese eher banale Aussage mit einem treffenden Vergleich: Früher, in den Zeiten vor den Smartphones und Tablets, sei ein Interessent im Autohandel durchschnittlich sechs Mal ins Geschäft gekommen, bevor er ein neuen Wagen kaufte. Heute komme er nur mehr 1,5 Mal.

Den Kunden, die ohnehin optimal über Preis und Produkt informiert sind, solle der Touchscreen und andere digitale Neuerungen im Geschäft nicht verwehrt werden. Denn andernfalls mache der Konsument die Suche und den Preisvergleich mit seinem eigenen Smartphone, was wiederum die Folge habe, dass die Kontrolle über den Kunden verloren gehe.


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