Wirtschaftskammer-Chef: "Wien hat keine Ansiedlungspolitik"

PK NEUER PRAeSIDENT DER WIRTSCHAFTSKAMMER WIEN - RUCK
PK NEUER PRAeSIDENT DER WIRTSCHAFTSKAMMER WIEN - RUCKAPA/HERBERT PFARRHOFER
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Der neue Wirtschaftskammer-Wien-Chef Walter Ruck über die Einführung von Tourismuszonen, Einkaufsstraßen und warum es Wiener Betriebe in den Speckgürtel zieht.

Wenn Wien ein Patient wäre, wie würden Sie ihn beschreiben?

Walter Ruck:
Der Patient Wien hat mehr als Schnupfen, manche Organe sind chronisch krank. Ich würde dem Patienten empfehlen gegen den Bewegungsmangel vorzugehen und all das zurückzuschrauben, was nur der Kosmetik dient und nicht die Leistung steigert. Wenn es einem gut geht, läuft man außerdem Gefahr, dass man da und dort etwas ansetzt, was man schwer wieder los wird.

Die Einführung von Tourismuszonen wäre eine Möglichkeit für Veränderung. Wird es da Bewegung geben?

Die Wirtschaftskammer hat eine Arbeitsgruppe aus Funktionären aus dem Handel, dem Tourismus und Gewerbe einberufen, um das Thema breit zu diskutieren. Es geht um die Frage, was Wien seinen Gästen zusätzlich anbieten könnte, ohne dass es die Betroffenen, die Händler, zu sehr belastet. Ziel ist es, eine gemeinsame Position aller Beteiligter zu finden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass Anfang Herbst ein Ergebnis vorliegen wird.

Vor einigen Jahren gab es eine Umfrage unter den Händler die zuungunsten längerer Öffnungszeiten im Handel ausgegangen ist. Stehen die Händler heute hinter der Idee einer Tourismuszone?

Es gibt Händler, die davon profitieren würden und solche die keine zusätzlichen Vorteile hätten. Umso wichtiger ist es, dass alle Bedenken auf den Tisch kommen, aber auch die Chancen und Erwartungen.
Es heißt, der Handel könnte eine mittlere zweistellige Millionenzahl an Mehrumsatz lukrieren. Zudem ist er momentan nicht in der Lage, sich zurückzulehnen.
Wer sich zurücklehnt, setzt Fett an. Es wird also Bewegung notwendig sein. Ob der Prozeß jetzt zu einer Tourismuszone führt, werden wir sehen. Aber für mich war ganz wichtig zu sagen, wenn ein Thema am Tisch liegt, ist es deswegen noch nicht erledigt, weil ich nicht darüber rede. Da nehme ich den Ball lieber, rede darüber und treffe dann eine Entscheidung.

Darf man davon ausgehen, dass Sie mögliche Reaktionen von Bürgermeister und Gewerkschaft bereits ausgelotet haben?

Bei unseren Sozialpartnern erwarte ich keine Widerstände. Es gibt Tourismuszonen bereits in anderen Bundesländern und wo soll jetzt der Unterschied zwischen den Wiener Arbeitnehmern und den Kärntnern liegen? Selbiges gilt für den Bürgermeister. Auch der Bürgermeister würde, wenn er dann letztendlich unterschreibt, das Rad nicht neu erfinden. Wir würden etwas nachvollziehen, was es in weiten Teilen von Österreich schon gibt.

Wann ist die Einführung vorstellbar?

Nehmen wir an, dass die Empfehlung des Gremiums für eine Tourismuszone kommt, dann könnte es nach Sozialpartner- und Bürgermeistergesprächen in einem halben bis dreiviertel Jahr so weit sein.

Handelsexperte sagen, in fünf Jahren wird es 20 Prozent zuviel Geschäftsflächen geben, da das Internet so viel Umsatz von den stationären Geschäften wegnehmen wird. Wie kann sich der Wiener Handel darauf vorbereiten?

Aus meiner Warte ist diese Zahl zu hoch. Wir müssen aufpassen, dass man bei Warnungen nicht das Kind mit dem Bade ausschüttet. Man sollte keine unnötige Angst einjagen.

Aber wir sind heute schon bei 10 Prozent Online-Anteil vom Gesamtumsatz.
Solche Entwicklungen sind in der Regel degressiv. Da gibt es einen großen Erstschwung, der dann abebbt. Faktum ist, dass der Online-Handel zulegt. Man muss daher stärker auf die Vorteile des stationären Handels hinweisen und darauf aufbauen. Um die Zahl der Leerstände in den Einkaufsstraßen zu senken und die Nahversorgung für die Konsumenten zu attraktivieren, sollte man überlegen zusätzliche Branchen als Mieter zu bekommen. Da denke ich etwa an Personen aus der Kreativwirtschaft oder Ärzte.

Täuscht der Eindruck, dass Einkaufsstraßen, die einmal zurückgefallen sind, sich nicht mehr erholen?

Mit der Reinprechtsdorfer Straße haben wir ein Beispiel, das beweisen konnte, dass auch in einer rückläufigen Einkaufsstraße eine Trendwende möglich ist. Es ist auch eine Illusion zu sagen, das können wir verfügen, das kann auch die Stadt Wien nicht. Aber ich bin überzeugt, dass wir es schaffen werden, in den Bezirken die Haupteinkaufsstraßen wie in Favoriten oder Meidling wieder dorthin zu bringen wo sie waren und damit die Nahversorgung in Wien zu stärken.

Wie bringt sich die Wirtschaftskammer da ein?

Wir investieren mit dem Einkaufsstraßenmanagement sehr viele zeitliche und personelle Resourcen, aber auch viel Geld. Mit der Wirtschaftsagentur und der Einkaufsstraßenförderung gehen wir sehr gezielt vor. Es hat vor kurzem eine grundsätzliche Änderung in der Förderstruktur gegeben: Neben der allgemeinen Förderung gibt es jetzt auch eine Gebietsförderung für Sonderprojekte. Dabei wird versucht, die Zusagen längerfristiger zu gestalten, um aus dem Effekt herauszukommen, dass man immer nur für das eine Jahr denkt. In diesem Zusammenhang freut mich sehr, dass es uns gelungen ist, die Förderung für heuer um 150.000 Euro zu erhöhen.

Der Handel hat im letzten Jahr richtig Husten gehabt, nämlich in der Mariahilfer Straße. Ist da jetzt wieder alles im Lot?

Das zentrale Problem in der Mariahilfer Straße lag daran, dass man nur isoliert auf sie geschaut hat und die Situation und Betroffenheit in den Seiten- und Nebenlagen ausgeblendet hat. Man könnte auch sagen, die Geschäfte direkt an der Mariahilferstraße mußten durch eine kurzfristige Einschränkung etwas leiden und werden nach Fertigstellung durch mögliche zusätzliche Frequenzen belohnt. Das enthebt uns aber nicht der Fragestellung, was passiert in den Seitenstraßen und was ist mit der Erreichbarkeit der Betriebe in den beiden Bezirken. Denn Das Ergebnis hat eine Mehrheit für die Querungen im ausreichenden Maße ergeben. Es wird unsere Aufgabe sein, diese Querungen auch einzumahnen. Die Abstimmung zur Neugestaltung der Mariahilfer Straße im Allgemeinen betrachte ich, nachdem man nicht alle Betroffenen mitstimmen hat lassen, jedenfalls als eingeschränkt demokratisch.

Hat die Diskussion der Straße geschadet?

Es gab durch eine von der Politik unnötigerweise verschuldete Diskussion einen temporären Schaden. Man hätte das Projekt besser machen können, wenn man es nicht als politisches Leitprojekt, sondern als städtebauliche Änderung aufgesetzt hätte - mit einer rechtzeitigen Einbindung aller Betroffenen. Wenn eine neue Verkehrsinsel gebaut wird, braucht man eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Wenn eine der größten Verkehrsadern Wiens komplett umgedreht wird, dann darf das nicht zwischen Tür und Angel gehen. Da wär‘ mehr drinnen gewesen.

Warum steigen die Arbeitslosenzahlen in Wien stärker als im restlichen Österreich?

In Wien gibt es keine Ansiedelungspolitik, sondern eine Art Vertreibungspolitik gegenüber den Betrieben. Hier wird dem Unternehmer signalisiert, außerhalb der Wiener Stadtgrenzen gibt es viele Freiflächen und siedle dich dort an. Und wer einmal durch den Wiener Speckgürtel gefahren ist, der immer breiter wird, sieht, dass dort arbeiten und wohnen nebeneinander möglich ist. Man versucht jetzt mit der Seestadt Aspern mit eigenen Entwicklungsflächen gegenzusteuern. Aber man kann die Absiedelungspolitik der letzten 30 Jahre nciht innerhalb einiger Monate umgedrehen. In Mercer-Studien ist Wien zwar Seriensieger als lebenswerteste Stadt. Es braucht aber auch Betriebe, Arbeitsplätze und Investoren. Da muss ich mich entscheiden, will ich eine Weltstadt sein, dann brauche ich auch entsprechende Anreize wie eine dritte Landepiste in Schwechat. Oder will man die Breitbahnspur im Osten aufhören lassen oder Wien mit seiner genialen Lage anbinden Da fehlen mir die großen Visionen.

Wien hat lange Zeit eine Brückenkopffunktion gehabt und wurde auch von außen als solche wahrgenommen. Wo möchten sie Wien in zehn Jahren stehen?

Ich hätte Wien gerne wieder als den Brückenkopf gesehen, der es war als der Eiserne Vorhang fiel. Die österreichische Wirtschaft, speziell die Wiener, hat dabei eine Vorreiterrolle als Verbindung zwischen Ost und West eingenommen und gut verdient. Wien könnte aufgrund der Lage zum Umschlagplatz aller Waren vom Osten in den Westen werden. Damit geht einher, dass sich dann im Windschatten solcher Investitionen Hunderte von Start-Up-Unternehmen entwickeln, die genau in diesem Bereich tätig sind, als Zulieferer fungieren. Denn Für Wien als Start-Up-Hub braucht man genügend Abnehmer; die großen Logistiker, die großen Händler, die die Waren weitervertreiben und die großen Industriebetriebe, die wichtige Auftraggeber für viele EPU und KMU sind. Wir dürfen das nicht isoliert als Bundesland sehen, sondern als Großraum Wien.

Zur Person

Walter Ruck ist seit Juni Chef der Wiener Wirtschaftskammer. Er war davor Obmann der Sparte Gewerbe und Handwerk in der Wiener Wirtschaftskammer.

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