Mayer-Heinisch: "Handel nähert sich Multiorganversagen"

MARIAHILFER STRASSE
MARIAHILFER STRASSE APA/GEORG HOCHMUTH
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Die Krise hat auch den stationären Einzelhandel erfasst. Nicht nur Online trägt dazu bei. Auch die Branche selbst hat Erneuerungsbedarf, sagt der Präsident des Handelsverbandes.

Der Konsum galt bislang als eine der letzten Festungen in diesen turbulenten wirtschaftlichen Tagen. Der Einzelhandel bilanzierte mit ausgeglichenen Ergebnissen. Nun hat sich das Blatt gewendet. Die Stimmung unter den österreichischen Händlern sei „ganz schlecht“, bringt es Stephan Mayer-Heinisch, Präsident des Österreichischen Handelsverbandes, auf den Punkt. Umso überraschander als er für Pessimismus dieser Art nicht gerade bekannt ist. „Die Leute haben kein Geld und werden durch die politischen Diskussion im Zusammenhang mit der Steuerreform noch weiter verunsichert“, sagt Mayer-Heinisch im Gespräch mit der „Presse“.

Der stationäre Handel nähere sich einem „Multiorganversagen“. Nicht nur wegen des Onlinehandels, dessen Umsätze zu mindestens 50 Prozent ins Ausland abfließen. Neben dem verunsicherten Konsumenten und demografischen Veränderungen gebe es bei der jüngeren Generation ein Umdenken in Konsumfragen, so der Verbandspräsident weiter. Viele haben sich beispielsweise vom eigenen Auto verabschiedet. Das teure Handy entziehe dem Handel das Geld. Und es gebe kaum noch Produktinnovationen.

Übertriebene Expansion

Auch das Weihnachtsgeschäft läuft nicht wirklich gut. „Nach einem sehr schwachen Start und einer Erholung am zweiten Adventwochenende war der dritte, normalerweise der stärkste Samstag, nicht berauschend“ weiß Mayer-Heinisch aus vertraulichen Quellen seines Verbandes. Der Handel werde durch ein langfristiges Tal der Tränen gehen. Dazu habe er aber auch selbst entscheidend beigetragen.

Die 30 Jahre dauernde Expansion war einfach unrealistisch, man habe die Realität aus den Augen verloren. Dann gebe es viel zu oft „More of the same“, keinen erkennbaren Unterschied bei den Angeboten und Quantität stehe vor Qualität. Die heute dominierenden Controller seien nicht die Diplominnovatoren für die Branche. Dem Handel fehle frisches Blut im Management, zu sehr reagiere der Rechenstift in den Unternehmenszentralen. Man habe einen enormen Innovationsrückstand aufgebaut und daher auch als Arbeitgeber kein gutes Image. Dazu käme eine schwache Eigenkapitaldecke bei einer Vielzahl der Firmen.

Fehlender Veränderungswillen

Als Folge der jahrelangen ungezügelten Expansion leidet der stationäre Handel heute oft unter flächenmäßig zu großen Geschäften. Ein Gebot der Stunde ist die Reduzierung der Verkaufsflächen, denn auch ein zweistelliger Onlineanteil am Handelsumsatz bringe Großflächen in Bedrängnis. Deshalb müssten sich die Unternehmen auf funktionierende Handelsformate und Standorte fokussieren, so Mayer-Heinisch. „Das wird auch für die großen Vermietergruppen keine einfache Situation“ sagt der Branchenkenner, der vor Jahren die Expansionsabteilung von Leder & Schuh geleitet hatte. „Der Vermietermarkt hat sich zu einem Mietermarkt gewandelt“. Die Mieter haben oft zu große Flächen und können sich diese nicht mehr leisten. Stimmen die Vermieter Flächenverkleinerungen oder besseren Mietverträgen nicht zu, zieht sich der Händler aus dem Standort einfach zurück. „Kein Problem, denn Angebot gibt es genug. Selbst auf der Mariahilfer Straße in Wien“, so Mayer-Heinisch.

Der Handel ist auch aufgrund seiner Veränderungsunwilligeit im Vergleich zur Industrie im Hintertreffen, sagt Rainer Will, der neue Geschäftsführer im Handelsverband. Er weiß von einem vom Wirtschaftsministerium als „Industrie 4.0.“ initiierten Standortstrategieprozess für österreichische Leitbetriebe (inklusive Handel) zu berichten. 40 Vorstandvorsitzende aus allen Branchen waren vertreten , aber kein CEO aus dem Handel.

Wer braucht schon 800 neue Arbeitsplätze?

Nun hat der Handelsverband als freiwilliger Dachverband für große Filialisten gemeinsam mit dem Gewerbeverein und der Hoteliervereinigung einen neuen Standortdialog gestartet. Drei Kernpunkte wurden dazu definiert. Die notwendige Liberalisierung, dargestellt am Beispiel der Sonntagsöffnung für Tourismuszonen in Wien, soll ein erster wichtiger Schritt sein. Eine mögliche Ablehnungshaltung der Gewerkschaft zu der nun zur Entscheidung anstehenden Diskussion wäre für den Handelsverband bei derzeit 408.000 Arbeitslosen absolut unverständlich. Schließlich würde die Schaffung der Tourismuszone 800 zusätzliche Arbeitsplätze bringen.

Auch die staatlich verordnete Bürokratie will die Führung des Handelsverbandes entforstet sehen. Beispielsweise haben es bundesländerübergreifend tätige Filialisten schwer, da Arbeitsinspektorate in jedem Bundesland anders vorgehen.Auch die gegenwärtige Steuerpraxis ist dem Verband ein Dorn im Auge. Da gehe die Schere nämlich weit auseinander: Auf der einen Seite international niedrige Steuerbelastungen für Großkonzerne durch Ausnutzung von Schlupflöchern, andererseits stößt man national mit der Besteuerung von Mitarbeiterrabatten schnell an die Grenzen, so Will. In Deutschland gibt es einen sogenannten Rabattfreibetrag, der Bezug von Waren ist dort bis 1080 Euro pro Kalenderjahr steuer- und sozialversicherungsfrei ist. Einen solchen würde man sich von Händlerseite auch in Österreich wünschen. In Österreich können einem Mitarbeiter nur 186 Euro, und das auch nur für Sachbezüge, eingeräumt, werden. Grundsätzlich sind die Handelsverbändler im Gegensatz zur Arbeiterkammer nicht der Meinung, dass nicht die gesamte Lohnsteuerentlastung durch die Steuerreform in den Konsum fließen werde. Dazu seien die Menschen zu sehr verunsichert. Ein Teil der Ersparnis werde sicherlich zurückgehalten werden, meint Will.

Wenn die Branche ihr Hausaufgaben sofort angehe, könne eine Verbesserung eintreten, aber sicher nicht vor 2017, warnt Präsident Mayer-Heinisch in einem Resümee vor einer längeren Durststrecke des heimischen Einzelhandels.

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