Der Handel im Wandel: „Geiz ist geil" war einmal

Handel Wandel Geiz geil
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Die Österreicher geben 16 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus - 1945 waren es noch 45 Prozent. Ein Zeichen für eine hochentwickelte Volkswirtschaft.

Österreich ist ein Einkaufsparadies, wie der europäische Vergleich zeigt. Mit etwa 14,5 Millionen Quadratmeter Einzelhandelsfläche können jedem der mehr als acht Millionen Einwohner statistisch 1,75 Quadratmeter zugeordnet werden. Damit liegt Österreich in der europäischen Spitzengruppe. Die reiche Schweiz weist europaweit mit 1,87 Quadratmeter die höchste Dichte auf. Nachbar Deutschland liegt nach Zahlen von RegioData mit 1,50 Quadratmeter zurück. Hierzulande wird fast jeden Tag ein neues Geschäft eröffnet.

Der Lebensmittelhandel hält die führende Position bei der Zahl der Geschäfte, wie der KMU Forschung Austria in ihrem Jahresbericht 2011 zeigt. Etwa 5700 stationäre Lebensmittelgeschäfte decken die Grundversorgung der Österreicher ab. Der Bekleidungshandel, der noch vor dem Drogeriehandel den zweiten Platz im Österreich-Ranking einnimmt, ist die dynamischste Branche. Immer mehr Anbieter drängen in den Markt: sie kommen aus dem Ausland und sind vorwiegend Filialunternehmen wie Forever21, Hollister und Ernsting's Family. Und mit dem irischen Anbieter Primark soll ein ganz Großer vor den Toren Österreichs stehen.

Preis-Leistung statt „Geiz ist geil"

Die Entwicklung im Handel über die vergangenen 20 Jahre kann als Sozialisierung des Handels bezeichnet werden. Der enorme Wettbewerb der Anbieter um die Geldbörse der Konsumenten hat viele Produkte für die meisten Menschen leistbar gemacht. Nach einer Untersuchung der Österreichischen Nationalbank sind die Preise für Bekleidung und Schuhe vom EU-Beitritt 1995 an bis 2004 jährlich um 0,4 Prozent gesunken. Nachdem die „Geiz ist geil"-Werbebotschaft ihren Zenit bereits überschritten haben dürfte, steht nun das beste Preis-Leistungs-Verhältnis ganz oben auf der Liste der Werbeprofis, sagt Bettina Lorentschitsch, die neue Handelschefin in der Wirtschaftskammer Österreich. Und sogar die Metro-Gruppe, die den „Geiz-Slogan" mit einer Elektronik-Tochter bekannt gemacht hatte, hat im September vergangenen Jahres ein Ende des "Preis-Irrsinns" mit immer neuen Rabatt-Aktionen ausgerufen. Sie hat angekündigt, künftig auf "faire und marktgerechte" Preise setzen zu wollen.

Das Jahr 2011 bescherte den Händlern jedenfalls einen leichten, realen Rückgang der Umsätze von 1,7 Prozent. Ob Eintagsfliege oder Trend, darüber sind sich die Handelsexperten nicht ganz einig. Die Wirtschaftskammer führt die Einbußen nach einer guten ersten Jahreshälfte im zweiten Semester auf tagesaktuelle Themen wie Eurokrise und die Diskussion um das nationale Sparpaket zurück. Und vor allem die Modebranchen haben wohl unter dem nicht immer passenden Wetter 2011 mehr gelitten als in den Jahren zuvor.

Trend weg vom täglichen Bedarf

Peter Voithofer von der KMU Forschung sieht dagegen einen gesättigten Markt in einer hochentwickelten Volkswirtschaft. Dabei verändern sich die Ausgaben der Österreicher kontinuierlich zu ungunsten des täglichen Bedarfs. Nach einer Analyse des Beratungsunternehmens RegioPlan werden von den jährlichen rund 43.300 Euro, die der österreichische Haushalt durchschnittlich für Konsum ausgibt, 16 Prozent für Ernährung aufgewendet. Im Vergleich waren es 1950 noch 45 Prozent, 1980 dann 24 Prozent. Menschen in unterentwickelten Volkswirtschaften geben 50 bis 60 Prozent nur für Lebensmittel aus. Voithofer ortet einen stärkeren Trend zu Reisen, Urlaub und Wellness sowie zum Auto. „Den Leuten werden andere Dinge wichtiger. Sie haben nicht weniger Geld, sondern sie geben es anders aus", sagte der KMU-Direktor.

Der Einzelhandel wird in Österreich auch in den nächsten Jahren eine zentrale Rolle spielen. Mehr als 307.000 Menschen sind im Einzelhandel beschäftigt. Die österreichischen Einzelhandelsunternehmen erzielten 2010 einen Umsatz von 55,4 Milliarden Euro.

Wie das Geld in die Kassen des Einzelhandels fließt, wie die Produkte ihren Weg in die Regale finden, wie die Händler ihre Preise kalkulieren, welche Standorte langfristig die besten Überlebenschancen haben, wie sehr das Internet den stationären Handel beeinflussen wird, darüber und über vieles mehr wird diePresse.com in den nächsten Wochen regelmäßig berichten.

(herbas)

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