J.R., "die Arschlochseite des Kapitalismus"

oder Arschlochseite Kapitalismus
oder Arschlochseite Kapitalismus(c) AP (CBS)
  • Drucken

Mit "Dallas" zog der Kapitalismus in den 1980er Jahren in die Wohnzimmer der Österreicher ein. Es war für viele eine zwiespältige Erfahrung.

"Dallas" war der klassische Straßenfeger der 1980er Jahre. Wenn die TV-Serie im Fernsehen lief, waren die Straßen - auch in Österreich - wie leer gefegt. Die ganze Familie fieberte den Auftritten des Edel-Ekels J.R. Ewing (mit seinem typischen hämischen, meckernden Lachen "hähähä") entgegen. In Deutschland saßen bis zu 18 Millionen Menschen vor den TV-Geräten, um den fiesen Ölbaron und seine Sippe zu sehen. Und es war nicht irgendeine Soap: Der "Spiegel" bezeichnete "Dallas" 1985 als "TV-Kurs über Sozial-Darwinismus unter besonderer Berücksichtigung des modernen Kapitalismus".

Der am Wochenende verstorbene Hauptdarsteller Hagman selbst bezeichnete die Serie in einem "Zeit"-Interview vor einem Jahr weniger schmeichelhaft: "Dallas zeigte die 'Arschloch-Seite' des Kapitalismus. J.R. glaubt an nichts anderes als ans Geldverdienen. Das ist seine Religion."

"Skrupellosigkeit des Kapitalismus gelebt"

Dabei zollte der Schauspieler der von ihm verkörperten Figur durchaus Respekt. "Er war auf seine Weise ein Prophet. Er hat die Skrupellosigkeit des Kapitalismus, über die man sich heute auf einmal wundert, immer schon gelebt. Was J.R. mit Ewing Oil anstellte, passiert heute überall. Die Banken haben die ganze Welt verarscht." Noch heute würden die USA von Lobbyisten, Bankern sowie Öl- und Kohleleuten regiert, fügte Hagman hinzu. "Ihnen gehört die Regierung. Immer noch."

"Dallas war der Inbegriff des Zeitgeistes der 1980er-Jahre, als unter Ronald Reagan ein wild gewordener Finanzkapitalismus die amerikanische Wirtschaft zu beherrschen begann, die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklaffte und die gesellschaftliche Solidarität nicht nur zerfiel, sondern einen schlechten Ruf bekam", schrieb die "Frankfurter Rundschau". "1978 lebte uns im Epizentrum des Kapitalismus das Personal einer amerikanischen TV-Serie vor, um was es wirklich geht", schrieb das "Hamburger Abendblatt": "Um Geld, um Öl (ergibt noch mehr Geld), Rinder (Steak noch blutig = besonders männlich), um Sex und Intrige. Kurz: 'Dallas'".

"Dallas" vs. "Denver"

Wer das Phänomen "Dallas" miterlebt hat, weiß, dass dieses nicht ohne den Gegenspieler "Denver" erklärt werden kann. Es war eine Art Glaubensfrage, Fan welcher Serie man war. Kulturkritiker Diedrich Diederichsen verglich 1984 im "Spiegel" die Konkurrenz-Serien. Demnach kletterte und schraubte sich in "Denver" ständig "irgend etwas nach oben oder fiel herunter, ganz amerikanisch-reaktionär soziale Durchlässigkeit suggerierend". In "Dallas" hingegen blieb oben, wer oben ist. "Man bewegt sich auf einer Ebene, vorzugsweise mit dem Auto. Horizontal, wie Geldverkehr nun mal verläuft."

"Denver" machte Reichtum in schrillem US-Barock sichtbar, so Diederichsen. "Dallas" wiederum zeigte Kapitalismus, wie er nun einmal ist: "Geld ist Kontoauszug und Kreditkarte, nicht Schloß und Schein." Sein Fazit: In "Dallas" würden Geschäfte gemacht, in "Denver" nur Erbteile hin und her geschoben.

"Mörderisch, aber auch verdammt cool"

"Die Welt" versucht das Phänomen der Kapitalismus-Ikone zu erklären: "J.R. selbst erschien den damals 20 Jahre alten Punks und New Wavern wie ein Erlöser. Also huldigte man diesem eleganten Haifisch im Meer des texanischen Rohstoffkapitalismus immer auch mit provozierender Absicht." Es sei eine zwiespältige Faszination gewesen: "Der Kapitalismus mochte ja mörderisch sein - aber Amerika war eben auch verdammt cool."

Diese Zwiespältigkeit zeigt sich auch an einem anderen Beispiel. So ließ der rumänische Diktator Ceausescu "Dallas" laut "Tagesspiegel" ausstrahlen, um die Widerwärtigkeit des US-Modells anzuprangern. Doch die Rumänen schauten begeistert auf die Vorzüge der Kapitalismus-Welt: schöne Autos, Kleider und Menschen.

"Ich werde J.R. sein, bis ich sterbe"

"Dallas" und der Niedergang des Kommunismus - kann das zusammenhängen? Im Interview mit dem "Standard" im Jahr 2010 gab Hagman einen Witz zum besten: "Kennen Sie die Theorie, dass 'Dallas' am Niedergang der Sowjets beteiligt war? Ich habe einem russischen Regisseur 50 Folgen von Dallas geschenkt, er hat mir dafür zwei Pfund Beluga-Kaviar gegeben. Dann hat er die Serie dort seinen Freunden vorgeführt und die wollten sofort die gleichen Autos, Häuser und Frauen haben. Deswegen brach die Sowjetunion zusammen."

Die fiktive Figur J.R. wurde zu einem Markenzeichen des Kapitalismus - vergleichbar vielleicht nur mit dem von Michael Douglas dargestellten Wall-Street-Hai Gordon Gekko. Hagman wusste das. "Ich werde J.R. sein, bis ich sterbe", hat er einmal gesagt. Und Hagman wusste auch, was auf J.R.s Grabstein stehen sollte: "Dieser ist der einzige Deal, den er je verloren hat."


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.