Im Mittelalter wurde weniger gearbeitet als heute

Mittelalter wurde weniger gearbeitet
Mittelalter wurde weniger gearbeitet(c) EPA (Martin Förster)
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Bis zur Industriellen Revolution bildeten Arbeits- und Freizeit eine Einheit. Die Entlohnung war nicht an konkrete Arbeitszeiten gekoppelt.

Rund um die Arbeitszeit sind momentan heftige Diskussionen entbrannt. "Weg mit der 40-Stunden-Woche im Staatsdienst", forderte einerseits Gewerkschaftschef Erich Foglar vor wenigen Tagen im Gespräch mit der "Presse". Andererseits machten Anfang Februar deutsche Forscher und Politiker mit einer Forderung nach einer radikal verkürzten Arbeitszeit (30 Stunden) auf sich aufmerksam. "DiePresse.com" berichtete ausführlich darüber.

Der Hobbyökonom widmet sich daher diese Woche dem Thema der Arbeitszeit und seiner Entwicklung über die vergangenen Jahrhunderte in Europa.

Die Mär vom geknechteten Handwerker

Vor der Industriellen Revolution im ausgehenden 18. Jahrhundert bildeten in Europa Arbeits- und Freizeit mehr oder weniger eine Einheit: Phasen des Schaffens und Phasen der Ruhe gingen ineinander über. Wohn- und Arbeitsort waren üblicherweise nicht getrennt. Die Erwirtschaftung des täglichen Lebensbedarfs stand im Vordergrund. Im Mittelalter begann der Arbeitstag oft mit Sonnenaufgang und endete mit Sonnenuntergang (16 Stunden im Sommer, acht im Winter). Durchgearbeitet wurde aber nicht, wie auch die Beschreibung des Tagesablaufs eines Arbeiters von James Pilkington, dem Bischof von Durham, im Jahr 1570 zeigt. Der Arbeitstag war demnach wesentlich durch ausgiebige Pausen geprägt: Etwa für das Frühstück, das Mittagessen und den üblichen Nachmittagsschlaf.

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Die Zeit selbst spielte eine geringe Rolle: Minuten und Sekunden waren noch nicht messbar. Die Entlohnung war nicht an konkrete Arbeitszeiten gekoppelt. Die Soziologin und gelernte Ökonomin Juliet B. Schor räumt mit dem Bild des geknechteten Handwerkers - der vor Sonnenaufgang aufsteht und im Kerzenlicht bis spät in die Nacht arbeitet - im Mittelalter auf. In ihrem Buch "The Overworked American: The Unexpected Decline of Leisure" schreibt sie, dass die Geschwindigkeit in vor-kapitalistischen Zeiten langsam war - auch das Arbeitstempo war demnach entspannt.

1830: Bis zu 85-Stunden-Wochen

Eine Folge der Industrialisierung - die den Arbeitsplatz in fremde Fabriken und Unternehmen verlegte - war die Einführung fester Arbeitszeiten sowie die Ausweitung dieser. "Durch Arbeitszeitverlängerung suchten die Unternehmer das in die Maschinen und Fabriken investierte Kapital möglichst schnell zu amortisieren", schreibt Wolfgang König in seinem Buch "Geschichte der Konsumgesellschaft". Die gesetzlich nicht geregelte Arbeitszeit in Österreich lag um 1830 bei 14 bis 16 Stunden pro Tag oder 80 bis 85 Stunden in der Woche. Freizeit gab es faktisch nur am Sonntag.

Arbeit in der Neuzeit

"Man arbeitet nicht allein, dass man lebt, sondern man lebt um der Arbeit willen, und wenn man nichts mehr zu arbeiten hat, so leidet man oder entschläft."

Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760)

Aber nicht nur das: Die Maschinen gaben ab sofort den Arbeitstakt vor. Druck auf die Arbeiter wurde aufgebaut. Jeder kleine Fehler wurde geahndet (in den Fabrikordnungen gab es Bußgeldkataloge) - mit Geldstrafen oder Entlassung. So etwas wie Urlaub gab es nicht. Sogar der "blaue Montag", die bei Handwerkern übliche Sitte, den Montag zu einem freien Tag zu machen, wurde in Österreich streng verboten.

Mit elf Pfund schwerem Hammer elf Stunden schlagen?

Ein Fabriksbesitzer in Ebreichsdorf gewährte nicht einmal den 15- bis 16-jährigen Arbeitern eine Stunde am Tag zur Erholung. Aber nicht allein die Arbeitsdauer war ausschlaggebend: In Produktionszweigen, bei denen die Arbeitszeit kürzer war, waren die Arbeitsbedingungen umso härter. Herbert Matis schildert in seinem Buch "Von der frühen Industrialisierung zum Computerzeitalter" den Fall des Folienschlägers Collins von der Neuhauser Fabrik. Collins klagte demnach im Jahr 1780: "Wem ist es möglich, mit einem elf Pfund schweren Hammer elf Stunden also zuzuschlagen?"

Der Wiener Mediziner J. Kolz untersuchte laut Matis von Amts wegen die Verhältnisse in den niederösterreichischen Spinnereien. Zwar habe er versucht, die Zustände in rosigem Licht darzustellen, doch die Tatsachen hätten für sich gesprochen. "In Pottendorf und Trumau genehmigte man eine halbe Stunde Mittagszeit, in einigen anderen Spinnereien vor- und nachmittags je eine halbstündige Essenspause, in der den Fabriksarbeitern gestattet war, Frühstück und Jause einzunehmen, ohne dabei jedoch die Arbeit zu unterbrechen", so Kolz.

Exkurs: Arbeitszeit im Bäckergewerbe

Im Mai 1893 forderte etwa die deutsche Kommission für Arbeiterstatistik den Fachverein der Bäcker dazu auf, sich zur Frage der gesetzlichen Regelung der Arbeitszeit und der Sonntagsruhe im Bäckergewerbe zu äußern. Die erste Frage lautete: Kann die regelmäßige tägliche Arbeitszeit einschließlich der Pausen und der auf Nebenarbeiten zu verwendenden Zeit für die Gesellen in Bäckereien allgemein auf zwölf Stunden beschränkt werden?

Die Antwort: "Ja. In kleineren Bäckereien wird vielfach jetzt schon zwölf Stunden gearbeitet und in größeren Bäckereien können sehr gut ein oder mehrere Arbeiter eingestellt werden. Wir halten sogar noch eine viel kürzere Arbeitszeit (neun Stunden) durchführbar. Von "Pausen" kann in den Bäckereien keine Rede sein; denn wenn die Arbeiter auch einige Minuten nicht arbeiten, so müssen sie doch dieselbe Zeit zur Überwachung des Gärungsprozesses, des Backofens usw. benutzen. Die Bezeichnung "Pausen" ist demnach nur eine leere Redensart."

Mensch im Mittelalter arbeitete nicht mehr als heute

Die durchschnittliche Jahresarbeitszeit im Mittelalter ist in Europa übrigens mit der heutigen durchaus zu vergleichen. "Interessant ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass im Mittelalter und bis zum 17. Jahrhundert - zeitlich - deutlich weniger gearbeitet wurde, als dies beispielsweise im 19. Jahrhundert oder zu Beginn des 20. Jahrhunderts war", schreibt der Ökonom Bert Rürup. "Die jährliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers im 16. Jahrhundert betrug - ohne einen tariflichen Urlaubsanspruch zu haben, aber bedingt durch die zahlreichen kirchlichen und weltlichen Feiertage - etwa 2000 Stunden pro Jahr, d.h. kaum mehr als heute."

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