Das Fegefeuer und der Aufstieg des Kapitalismus

Darstellung des Fegefeuers in einer Kirche
Darstellung des Fegefeuers in einer KircheWikipedia/Alex1011
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Bis zum 13. Jahrhundert galt das Streben nach Gewinn und Wohlstand als Teufelswerk. Die Geburt des Fegefeuers änderte das.

Seit der Finanzkrise sind sie ein beliebtes Feindbild: Die Banker. Ihr Ruf ist ruiniert. Doch im Vergleich zu dem, was Geldverleiher im Mittelalter zu erdulden hatten, nehmen sich die Gier-Vorwürfe gegen Banker regelrecht harmlos aus. Der französische Historiker Jacques Le Goff schreibt in seinem Buch "Wucherzins und Höllenqualen. Ökonomie und Religion im Mittelalter", dass im 13. Jahrhundert Wucherer - also all jene, die mit Geld zu tun hatten - als "doppelt furchtbarer Vampir der christlichen Gesellschaft, ein Geldsauger, der häufig mit dem Juden, dem Gottesmörder, Kindsmörder und Hostienschänder" gebrandmarkt wurden.

Dennoch sah sich die Kirche mit der Tatsache konfrontiert, dass der Erfolg und die Ausbreitung der Geldwirtschaft die alten christlichen Werte bedrohten. Sie musste also auf die neuen Herausforderungen reagieren.

"Ohne Fegefeuer kein Kapitalismus"

"Städte entstanden und mit ihnen das Bürgertum. Die neue Zeit verlangte ein neues Wirtschaftssystem. Da erfand die Kirche, den ökonomischen Zwängen folgend, das Fegefeuer", schrieb der "Spiegel" anlässlich einer Ausstellung zum Thema Mitte der 1990er Jahre zur Situation im frühen Mittelalter. Die Kirche habe mit der Angst der Reichen vor der Hölle jedenfalls gute Geschäfte gemacht. "Ohne Fegefeuer gäbe es keinen Kapitalismus", lautete die etwas marktschreierische Conclusio.

Unweigerlich kommt einem da das Zitat des Dominikanermönchs Johann Tetzel (1460-1519) in den Sinn: "Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt". Tetzel war ein Ablassprediger und stieg 1516 sogar zum Subkommissar beim Ablasshandel für den Bau der Peterskirche in Rom auf.

Das Fegefeuer

Das Purgatorium (lat.) ("Ort der Reinigung" -Fegefeuer ) das Fegefeuer) ist ein "dritter Ort" des Jenseits zwischen Himmel und Hölle. Es wird im 13. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt. Für "nicht ganz so gute Menschen" wurde so ein Mittelweg auf dem Weg zum Paradies gefunden. Etwa durch Stiftungen und Almosen konnte der Sünder die Reinwaschung von den Sünden erlangen.

Kritiker Luther und Zwingli

Doch nicht alle befürworteten die Entwicklung innerhalb der Kirche. Tetzels Wirken und jenes anderer Ablassprediger war der Anlass für den Anschlag der 95 Thesen von Martin Luther (1483-1546) 1517 an der Tür zur Schlosskirche zu Wittenberg. In denen trat der Reformator Luther gegen den Missbrauch beim Ablasshandel auf. Vehement kritisierte er den geschäftsmäßigen Handel mit Ablassbriefen.

Noch weiter ging der Zürcher Reformator Ulrich Zwingli (1484-1531). Er verurteilte nicht nur den Ablass-Missbrauch, sondern lehnte den Ablass generell ab. Christliche Busse war seiner Ansicht nach nur über Reue und nicht über Geld oder irgendein frommes Werk zu erreichen.

Gewinnstreben als Teufelswerk

Tatsächlich galt bis zur Geburt des Fegefeuers das Streben nach Gewinn und Wohlstand als Teufelswerk. Wucher blieb zwar auch weiterhin eine Sünde. Doch mit der geänderten Betrachtung von Sünde und Buße durch die Kirche schuf diese Sündern einen Ausweg. Wer etwa seinen Zinsgewinn zurückerstattete - zum Beispiel durch eine Kirchenstiftung - konnte mit Milde rechnen. "Die Hoffnung, der Hölle zu entkommen, erlaubte es dem Wucherer, Wirtschaft und Gesellschaft des 13. Jahrhunderts auf ihrem Weg zum Kapitalismus voranzutreiben", schreibt Le Goff.

Die Kirche begann, zwischen vernünftigem Zins und Wucherzins zu unterscheiden. "Dieser Zinssatz lag allerdings auf einem Niveau, das uns heute recht hoch erscheinen mag, nämlich bei rund 20 Prozent", schreibt Le Goff in seinem Spätwerk "Geld im Mittelalter". Auch wenn Le Goff das Mittelalter nicht als vorkapitalistische Epoche verstanden wissen will ("Das Geld blieb das ganze Mittelalter hindurch suspekt, auch ohne Verdammung und Höllenandrohung", "Die Edelmetallknappheit und die Zersplitterung der Märkte ließen das nicht zu") - erst durch die Aufweichung des Zinsverbots wurde es möglich, den bis dahin geächteten Geldverleih in Europa gesellschaftlich akzeptabel zu machen.


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