Fesselnde Ökonomie: Die besten Wirtschaftskrimis 2011

Wirtschaft fesselt besten Wirtschaftskrimis
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So spannend kann Wirtschaft sein. DiePresse.com hat die besten Krimis und Thriller rund um Finanzkrise, Bankencrashs und Konsumwahn gewählt.

Das Jahr 2011 neigt sich dem Ende zu. Aus wirtschaftlicher Sicht stand es erneut im Zeichen der Schuldenkrise. Viele Sachbücher sind darüber und über andere brennende Themen aus den Bereichen Finanz und Wirtschaft geschrieben worden. Angesichts der Flut von mehr oder weniger seriöser Krisen-Literatur ist es schwer den Überblick zu behalten. DiePresse.com versucht daher, den Weg durch den Publikationsdschungel ein wenig zu erleichtern. Der Hobbyökonom legt seinen Fokus auf Krimis und Thriller und wählt die besten im Jahr 2011 erstmals auf deutsch erschienenen Werke.

Warum? Krimis und Thriller sind heute oft weit mehr als Trivialliteratur. Sie bieten zwar einerseits Spannung und Unterhaltung, helfen aber gleichzeitig, gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Zusammenhänge besser zu verstehen. Ganz nach dem angelsächsischen Motto "educate and entertain". In Zeiten von Finanz- und Wirtschaftskrisen helfen sie, die komplizierte Wirtschaftswelt da draußen besser zu begreifen. Ausgezeichnet werden Bücher, die es schaffen, Ökonomie einer breiten Öffentlichkeit auf spannende und leicht verständliche Weise zu vermitteln. Auswahlkriterien sind neben der Aktualität der Fokus auf ein gesamtwirtschaftlich relevantes Thema sowie gute Lesbarkeit. Und auf geht's.

Platz 5: Don Winslow: "Zeit des Zorns"

(c) Suhrkamp

Don Winslow hat mit "Zeit des Zorns" einen vielschichtigen Thriller verfasst. Er zeichnet ein wenig schmeichelhaftes Porträt der USA von heute. Die Geschichte rund um das drogenanbauende Duo Ben und Chon, das sich mit einem allmächtigen mexikanischen Drogenkartell konfrontiert sieht, fällt zwar eigentlich nicht in die Kategorie Wirtschaftsthriller. Dennoch kann man sein Buch auch als Statement gegen das Prinzip der Gewinnmaximierung lesen. Als das gefürchtete Kartell das Drogengeschäft von Ben und Chon übernehmen will, klingt das so:

"Wir betrachten die Marke Ben & Chon's als Prestige-Produkt - qualitativ deutlich über der Norm - und würden sie gerne auch weiterhin entsprechend vermarkten. Uns ist bewusst - und wir wissen das sehr zu schätzen -, dass ihr über einen festen Kundenstamm aus demografisch vorzüglichen Kreisen verfügt, und das Letzte, was wir wollen, ist, diesen zu verschrecken." Kurz darauf heißt es: "Eure Vertriebsstruktur ist - und ich denke, das würdest du, wenn du ehrlich bist, Ben durchaus eingestehen - unwirtschaftlich und ineffizient. Eure Vergütungspolitik ist derart liberal, dass die Profitmarge längst nicht auf dem Stand ist, auf dem sie eigentlich sein sollte."

Mit anderen Worten: Auf der einen Seite gibt es da den kleinen, feinen Drogenhandel des Duos Ben und Chon. Sie wollen das beste Dope der Welt anbauen und zu fairen Preisen verkaufen. Sie begnügen sich mit diesem gut laufenden Geschäft, ohne an Expansion zu denken. Dem gegenüber steht das streng nach ökonomischen Prinzipien kalkulierende Kartell, das ständig nur an Wachstum und Effizienz denkt. Platz für Konkurrenz gibt es keine.

Winslows Buch hat sich aber allein wegen eines Zitats einen Platz unter den Top 5 verdient. Es bringt den Konsumwahn von heute auf den Punkt: "Ich shoppe, weil ich sonst nichts zu tun habe. Ich habe keinen Job, keine ernsthaften Interessen, eigentlich ist mein Leben sinnlos. Deshalb kaufe ich Sachen. Das kann ich, und es macht mir gute Laune".

Platz 4: Robert Harris: "Angst"

(c) Heyne

"Historisch betrachtet ist Angst die stärkste Emotion in der Wirtschaft", heißt es an einer Stelle des neuen Buches des britischen Autors Robert Harris. Er spielt damit auf das vielleicht berühmteste Zitat der Finanzgeschichte von Franklin D. Roosevelt an: "Das Einzige wovor wir Angst haben müssen, ist die Angst selbst". Ein Spruch, der sich angesichts der aktuellen Krise in Europa und der Furcht vor den "Märkten" gerade wieder zu bestätigen scheint.

Harris widmet sich in seinem Thriller den Auswüchsen des automatisierten Wertpapierhandels. Der Physiker Alexander Hoffmann hat einen Algorithmus entwickelt, der seinem Hedgefonds unglaubliche Renditen beschert. Der Algorithmus hält dabei nach einem einzigen Indikator Ausschau: Angst. So werden gezielt Terminkontrakte und Anleihen gekauft oder abgestoßen - in Sekundenbruchteilen. Denn: "Algorithmen haben keine Fantasie. Sie geraten nicht in Panik. Deshalb eignen sie sich perfekt für den Handel an den Finanzmärkten."

Es ist noch nicht allzu lange her, seit der Computerhandel den Faktor Mensch fast komplett ersetzt hat. "Als wir anfingen, konnten nur wenige ahnen, wie wichtig der algorithmische Handel einst werden würde. Die Pioniere auf diesem Gebiet sind regelmäßig als Quants, Freaks oder Nerds verunglimpft worden. Wir waren die Typen, mit denen auf den Partys kein Mädchen tanzen wollte...", lässt Harris seine Hauptfigur sagen.

"Angst" kann als eine Warnung vor den möglichen Folgen, verstanden werden. Was passiert, wenn sich Computerprogramme verselbständigen? Was heute noch abwegig erscheint, kann morgen schon Realität sein - siehe Finanzkrise oder der mögliche Zerfall der Euro-Zone. "Die Kombination aus Hedgefonds und intelligenten Computerprogrammen hat dazu beigetragen, die Märkte zu destabilisieren, und das ist wirklich gefährlich", sagte Harris dazu vor kurzem im "Die Presse am Sonntag"-Interview.

Platz 3: Lee Vance: "Spur des Verrats"

(c) Bloomsbury

Es ist ein brisantes Ausgangsszenario: Am Tag der Eröffnung der Nord-Stream-Pipeline, die russisches Öl nach Westeuropa transportieren soll, kommt es zu einem verheerenden Bombenanschlag. Die direkte Folge: Der New Yorker Börsenindex Dow Jones fällt um fünfhundert Punkte, der Ölpreis steigt um acht Dollar pro Barrel, langfristige Staatsanleihen gehen auf Talfahrt und der Euro gibt gegenüber dem Dollar um drei Prozent nach.

Mark Wallace, Energie-Analyst für Hedgefonds, versucht die Lage unter Kontrolle zu bekommen und trifft rasch millionenschwere Entscheidungen. Als er kurz darauf Hinweise auf den Verbleib seines vor sieben Jahres verschwundenen Sohnes erhält, gerät seine Welt erst recht aus den Fugen - zumal zwischen den beiden Ereignissen ein Zusammenhang zu bestehen scheint. Und dann spielt man Wallace auch noch geheime und glaubwürdige Daten zu, wonach die Ölreserven Saudi-Arabiens nahezu erschöpft seien.

Vance handelt die Themen "Peak Oil" (das Ölfördermaximum), Energiesicherheit und Großmacht-Politik auf rasante Weise ab. Und eines weiß Lee Vance sicher: Wovon er schreibt. Er war jahrelang General Partner bei Goldman Sachs und Mitglied der International Petroleum Exchange. Dem Klappentext zufolge zeigt Vance, "welche zivilen Opfer die globalen Ölkriege und geheimen Wall-Street-Spielchen fordern können". Das mag ein wenig dick aufgetragen sein, aber "Spur des Verrats" ist ein intelligenter und packender Finanzthriller auf hohem Niveau.

Platz 2: Petros Markaris: "Faule Kredite"

(c) Diogenes

Athen im Jahr 2010: Die Krise hat Griechenland fest im Griff und die Hauptstadt weitgehend lahm gelegt.  Demonstranten verstopfen das Stadtzentrum, der Verkehr kommt zum Erliegen. Pensionen und Gehälter werden gestrichen, die Bevölkerung ist fast ausnahmslos von der durch Europa aufgezwungenen Sparpolitik betroffen. In all dem Chaos erschüttern auch noch die grausamen Morde an zwei Bankern die Finanzwelt. Kommissar Kostas Charitos steht vor einem rätselhaften Fall.

Wer Griechenland besser verstehen will, dem seien die Bücher von Markaris empfohlen. "Niemand hat die Hybris von Hellas so scharf angeprangert wie Markaris: (...) die verblödete Konsumgesellschaft, der aufgeblasenen Nationalismus der Orthodoxie, die Narben der Obristendiktatur, vor allem aber die Verschwendungssucht der politischen Klasse, der Staatsdiener, der Neureichen, der Trickser", schreibt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" über den griechischen Autor.

Markaris schreckt in seinem aktuellen Buch nicht davor zurück, die kreditgetriebene und künstliche Steigerung des Wohlstandes in Griechenland mit dem Doping von Spitzensportlern zu vergleichen. "Genauso wie sich Sportler dopen, um in kurzer Zeit bessere Leistungen zu erbringen, so haben auch wir uns mit Krediten gedopt, um schnell wirtschaftliche Erfolge zu erzielen", sagt er dazu laut "3sat". "Jetzt ist das System zerstört, genauso wie bei den Sportler der Körper."

In "Faule Kredite" zeigt Markaris in feinfühligen Dialogen, was die Krise aus den Menschen macht und wie sie damit umgehen. Als sich der Kommissar von seiner Rostlaube von einem Auto trennen muss, empfiehlt ihm sein Schwiegersohn: "Kauf dir einen Seat Ibiza". Als Charitos wissen will warum, antwortet ihm sein Gegenüber: "Aus Solidarität. Die Spanier stecken doch momentan genauso in der Klemme wie wir. Zusammen mit Portugal, Italien und Irland zählen wir doch zu den PIIGS-Staaten".

Und es scheint fast so, als würde den Griechen außer dieser Solidarität nicht mehr viel bleiben. Zur aktuellen Lage in Griechenland sagt Markaris im "Standard"-Interview: "Die Menschen sind noch hoffnungsloser geworden. Mittlerweile glauben viele Griechen nicht mehr, dass es einen Ausweg gibt. Das Problem dieser Krise ist, dass es keine Perspektive gibt. Das war bei vergangenen Krisen nicht so."

Platz 1: Horst Eckert: "Schwarzer Schwan"

(c) grafit

Nicht einmal einen Monat nach der Lehman-Pleite am 15. September 2008 erschien die deutschsprachige Ausgabe des Buchs "Der Schwarze Schwan" von Nassim Nicholas Taleb. Es behandelt das Phänomen extrem unwahrscheinlicher Ereignisse und wurde oft als das Buch zur Finanzkrise bezeichnet. Der deutsche Autor Horst Eckert hat seinen neuen Thriller nicht zufällig genau so betitelt. Denn in seinem Buch wimmelt es nur so von Schwarzen Schwänen: Egal ob die Investmentbankerin Hanna Kaul, der Polizist Dominik Roth, die Jobsuchende Lilly oder der Politiker Lothar Mierscheid - sie alle werden mit derartigen Ereignissen konfrontiert.

"Schwarzer Schwan"

Bis ins 17. Jahrhundert waren die Europäer überzeugt, dass alle Schwäne weiß sind, ehe Australien entdeckt wurde. Dort gab es schwarze Schwäne. Als "Schwarzer Schwan" bezeichnet man daher ein extrem unwahrscheinliches Ereignis.

Damit alleine wäre es aber noch nicht geschehen. Denn unvorhersehbare Wendungen sind Hauptzutat- und -bedingung eines gelungenen Thrillers. Doch Eckert zeichnet darüber hinaus ein Bild von Deutschland, das an allen Ecken und Enden von der aktuellen Wirtschaftskrise geprägt ist: Die milliardenschwere Übernahme der Investmentbankerin platzt unter dubiosen Umständen, der Polizist verdient sich illegal Geld als Privatschnüffler dazu, das jobsuchende Opfer aus der "Generation Praktikum" wird aus Verzweiflung kriminell und der Politiker sieht sich mit einem mächtigen Bankenboss konfrontiert.

Eckert lässt die Leser ganz nah dabei sein, wenn wirtschaftspolitische Entscheidungen mit weitreichenden Folgen anstehen. Sein fiktiver Finanzstaatssekretär Malte Lichtenberg ist nicht viel mehr als eine Polit-Marionette: "Schon Monate vor der MHE-Pleite (Anm., Anspielung auf Hypo Real Estate) hatten sich die Alarmmeldungen der Aufsichtsbehörde auf dem Schreibtisch des Staatssekretärs gestapelt. Malte hatte sie ignoriert, statt rechtzeitig einzugreifen. Als die MHE vor dem Aus stand, hatten Maltes Mitarbeiter den Konkurs empfohlen. Auch darüber war er hinweggegangen. Das gesamte Drehbuch hatte die Rhein-Bank geschrieben".

Der Dialog zwischen "Mutti", der deutschen Kanzlerin, und dem mächtigen Banker Dingendorff, zeigt, wie die Machtverhältnisse von Politik und Wirtschaft manchmal wirklich verteilt sind:

Kanzlerin und Bankenboss

Dingendorff: "Nein, die Krise war kein Schwarzer Schwan".

Kanzlerin: "Nicht? Staatssekretär Lichtenberg hat im Untersuchungsausschuss lang und breit dargelegt, wie unverhofft sie uns erwischt hätte. Und der Zeuge Dingendorff hat das bestätigt, wenn ich mich richtig erinnere."

Dingendorff: "Wir reden jetzt ganz offen, nicht wahr?"

Kanzlerin: "Sie wollen also behaupten, die Krise vorhergesehen zu haben?"

Dingendorff: "Nicht auf den Tag genau. Aber dass der Crash kommen würde, war klar. Wir Banker erteilen Kredite im Vertrauen darauf, dass das Geld zurückbezahlt wird. (...) Der Systemabsturz ist kein Fehler, den man vermeiden könnte, sondern Teil des Systems, mit dem man rechnen muss."

Kanzlerin: "Da flößen Sie mir jetzt aber echt Vertrauen in die Finanzwirtschaft ein."

Eckert vermittelt auf leicht verständliche und zugleich spannende Weise, wie Politik und Wirtschaft funktionieren - auch und vor allem auf Ebene des Tagesgeschäfts. Er hat einen gesellschaftskritischen Thriller geschrieben, der seinesgleichen sucht. Selten war ein Roman entlarvender. Der Autor macht damit schwer verdauliche Inhalte wie Bankencrash, Griechen-Pleite und Atomausstieg greifbar. Mit anderen Worten: Horst Eckert hat den bisher besten Thriller rund um die Finanz- und Wirtschaftskrise geschrieben - er sticht damit die Konkurrenz glatt aus.


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