Victor Gruen: Der Wiener, der die Shopping Mall erfand

Victor Gruen Wiener Shopping
Victor Gruen Wiener ShoppingORF/pooldoks filmproduktion/Victor Gruen Associates
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Ein Österreicher gilt als "Architekt des amerikanischen Traums". Für Victor Gruen wurde seine Erfindung - das Einkaufszentrum - aber zum Albtraum.

Der österreichische Stararchitekt Victor Gruen sprach 1978 bei einer Rede in London Klartext: Er streite "die Vaterschaft" für Einkaufszentren ein für alle mal ab und weigere sich "Alimente für diese Bastardobjekte zu zahlen". Wie kam es zu dieser Abscheu vor seiner eigenen Erfolgsgeschichte?

Reisen wir dafür zurück ins Jahr 1943: Gruen, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft in die USA geflüchtet war, hatte sich dort innerhalb weniger Jahre einen Namen gemacht. Er betrieb gemeinsam mit seiner Frau Elsie Krummreck ein Architekturbüro und wurde von einem Branchenmagazin eingeladen, um seine Vorstellungen vom Einkaufen in den US-Vorstädten der Nachkriegszeit zu vermitteln.

Gruens Visionen waren bahnbrechend: Weil er einen rasanten Zuwachs des Verkehrs voraussah, wollte er einen autofreien Raum schaffen, in dem die Vorstadtbewohner ungestört einkaufen konnten. Er kreierte ein riesiges Einkaufszentrum, das er rund um einen Park anordnete. Der Plan umfasste nicht nur zahlreiche Geschäfte, sondern auch soziale Einrichtungen wie eine Bibliothek, einen Kindergarten und ein Theater.

Gruen hatte zwei primäre Ziele:
- Auto und Konsumenten trennen
- Konsumzentrum und soziale Einrichtungen zusammenführen

Europäische Stadtzentren als Vorbild

APA-FOTO (HERBERT PFARRHOFER)

Der Entwurf orientierte sich an den natürlich gewachsenen Zentren europäischer Städte. Einkaufszentren sollten "Kristallationspunkte des kommunalen Lebens in der Vorstadt werden", zitiert die Wissenschaftlerin Annette Badauf den Architekten im "Eurozine".

Bis Gruen seine Visionen umsetzen konnte, sollte noch ein Jahrzehnt vergehen. 1954 eröffnete er schließlich unter großem Medienrummel in der boomenden Industriestadt Detroit das erste "Einkaufszentrum der Zukunft", das 30 Millionen Dollar teure Northland Center. Neben zahlreichen Läden, die rund um einen schönen Innenhof angeordnet waren, wurden im Shoppingcenter auch Konferenzräume, ein Kindergarten und sogar ein Zoo untergebracht.

Überdacht und klimatisiert

Jene Innovation, die sich bis heute bewährt, kam aber erst zwei Jahre später: Das Southdale Center in Minnesota war das erste in sich geschlossene und klimatisierte Einkaufszentrum. Die Shopping Mall fand schnell Nachahmer. Hunderte ähnliche Einkaufszentren eröffneten in den darauffolgenden Monaten in den USA, wenige Jahre später eroberten sie auch Europa.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste Gruen erkennen, dass die Entwicklung nicht jene Richtung einschlug, die er vorgegeben hatte. Schließlich waren in seiner Vision die europäischen Innenstädte stets ein Vorbild für die Einkaufzentren, die die trostlosen Wohnwüsten in den US-Vorstädten beleben sollten. Eine Shopping Mall in Europa? Völlig unnötig.

»Gruen hat die Shopping Mall erfunden, um Amerika mehr wie Wien zu gestalten. Stattdessen wurde Wien mehr wie Amerika.«

The New Yorker

Und das war noch nicht alles, was Gruen missfiel: Die amerikanischen Innenstädte verwaisten durch die Shopping Malls, die weiße Mittelschicht schuf sich ihren eigenen Mikrokosmos in den Vorstädten. Außerdem wurden die Zentren in Gruens Augen zu "Verkaufsmaschinen" degradiert. Der soziale Gedanke rückte in den Hintergrund, Kindergarten & Co. verschwanden bald aus den Konsumtempeln.

"Die Geister, die ich herbeigerufen hatte, überwucherten in unheilvoller Weise die ganze Welt", sagte Gruen im Dokumentationsfilm "The Gruen Effect", der 2010 anlässlich seines 30. Todestags im ORF ausgestrahlt wurde. Ende der 1960er Jahre kehrte der überzeugte Sozialist den USA endgültig den Rücken und ließ sich in Wien nieder.

Kabarettist und "Architect"

In jungen Jahren war Victor Gruen in Wien als politischer Kabarettist bekannt. Humor bewies Gruen auch, als ihm 1967 nach einer Klage der Architektenkammer untersagt wurde, sich "Architekt" zu nennen. Er konnte in Österreich nie sein Diplom machen, da er vor den Nazis flüchten musste. Er dürfe sich in Österreich daher nur mehr als "Architect" bezeichnen, lautete das Urteil. "Mal sehen, ob die Kellner im Landtmann ab jetzt Herr Architect zu mir sagen", konterte Gruen. 2010 verlieh die Kammer Gruen posthum die symbolische Ehrenmitgliedschaft.Als Victor Gruen in den 70er-Jahren die Shopping City Süd in Vösendorf planen sollte, die noch heute eines der größten Einkaufszentren Europas ist, lehnte er ab. Der Architekt widmete sich lieber seinem "Zentrum für Umweltplanung" und verkehrte mit Politikern. Unter anderem hatten Victor Gruens Ideen großen Einfluss auf die Umsetzung der Fußgängerzone in der Kärntner Straße (Eröffnung: 1974).

Victor Gruen, den der Historiker Jeffrey Hardwick als "Architekten des amerikanischen Traums" bezeichnete, starb 1980 in Wien. Der "New Yorker" fasste sein Schicksal in zwei Sätzen zusammen: "Gruen hat die Shopping Mal erfunden, um Amerika mehr wie Wien zu gestalten. Stattdessen wurde Wien mehr wie Amerika."

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Victor Gruen - Kurzbiographie

Victor Gruen wurde 1903 als Viktor David Grünbaum in Wien geboren. Als Nationalsozialisten im Jahr 1938 sein Architekturbüro arisierten, emigrierte er in die USA. In New York erlangte er durch den Umbau von Fifth Avenue-Boutiquen schnell Bekanntheit. 1952 baute er das erste moderne Einkaufszentrum am Stadtrand der Industriemetropole Detroit.

Immer wieder zog es den Architekten zurück in seine Heimtstadt Wien, wo er sich schließlich Ende der 1960er Jahre in seinem Salon am Schwarzenbergplatz niederließ. Dort diskutierte er seine Visionen oft mit Politikern, darunter auch der junge Heinz Fischer und Freda Meissner-Blau. Am 14. Februar 1980 starb Victor Gruen in Wien.

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