Charles Dickens: Der erste Kapitalist der Literatur

Charles Dickens erste Kapitalist
Charles Dickens erste Kapitalist(c) AP (David Parry)
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Vor 200 Jahren wurde der Autor von "Oliver Twist" und "David Copperfield" geboren. Er beschrieb die Armut und wurde dadurch reich.

"Die Stadt ist voll von prächtigen privaten Schulen und furchtbaren staatlichen, die man verlässt, ohne lesen oder schreiben gelernt zu haben". Nein, das hat nicht der am 7. Februar 1812 geborene britische Schriftsteller Charles Dickens über London geschrieben. Es ist der britische Autor Tony Parsons im Jahr 2012. "Deswegen leben hier eine Million Jugendlicher zwischen 16 und 24 von der Wohlfahrt", schreibt er in der Antwort auf eine E-Mail-Anfrage der "Süddeutschen Zeitung" anlässlich des 200. Geburtstags von Dickens.

Dickens ist aktueller denn je

Parsons Worte sind ein Beleg dafür, dass Dickens auch heute aktuell ist: In Großbritannien werde der Ausdruck "Dickens'sche Verhältnisse" so oft benutzt wie selten zuvor, schreibt die "Süddeutsche". Das Schreckensgespenst Armut ist im Jahr vier nach Beginn der Finanzkrise in ganz Europa allgegenwärtig. Und kaum ein anderer hat so präzise über Armut geschrieben wie Dickens. Dafür bekam er einst sogar Lob von Kapitalismuskritiker Karl Marx: Dickens habe die sozialen Missstände deutlicher aufgezeigt als jeder Politiker.

Zu seinen berühmtesten Werken zählen "Oliver Twist" (1838), "David Copperfield" (1850), "Große Erwartungen" (1864) und "Eine Weihnachtsgeschichte" (1844). Vor allem der alte Geizhals Ebenezer Scrooge aus der Weihnachtsgeschichte wurde zu einer der bedeutendsten literarischen Figuren, die sogar bis in die Comic-Welt nachwirkt. Denn die Walt Disney-Figur Dagobert Duck heißt auf englisch "Scrooge McDuck". Und das nicht zufällig: Dickens Ebenezer Scrooge war direktes Vorbild für die Comic-Figur.

Eine vergessene Tugend: Geiz

Sowohl Dickens als auch Disney-Zeichner Carl Barks thematisieren die Liebe zum Geld. Wohl auch deshalb gilt der Phantastilliardär Dagobert Duck bei vielen bis heute als Inbegriff des Kapitalisten. Dabei entspricht er diesem Bild gar nicht. Denn sowohl Ebenezer Scrooge als auch seinem Enten-Ebenbild ist Verschwendungssucht ein Greuel: Sie geizen nicht mit Geiz. Sie sind knausrig. So fischt Dagobert Duck die tägliche Zeitung aus dem Papierkorb im Park, um Geld zu sparen.

Und welcher Millionär von heute würde sein Geld herumliegen lassen, "bis es schimmlig oder von Mäusen gefressen wird", wie "Die Welt" im Jahr 2007 anlässlich des 60. Geburtstags von Dagobert Duck schrieb. "Er würde es investieren, damit es sich mehrt oder es für prestigeträchtige Anschaffungen ausgeben".

Auszug aus Dombey und Sohn

"Papa, was ist Geld", fragt der kleine Sohn Paul seinen Vater Mr. Dombey in Dickens Buch "Dombey und Sohn" (1848). Er bringt damit seinen Vater in Verlegenheit. "Gold, Silber und Kupfer, Guineen, Shillinge, Halbpence", antwortet er. Doch damit gibt sich Paul nicht zufrieden. "Papa, ich möchte wissen, was Geld überhaupt ist", bohrt Paul weiter. "Ich meine Papa, was kann es ausrichten?", fragt er schließlich. "Geld ... kann alles ausrichten ... beinahe", lautet letztlich die Antwort.

Sie spiegelt die Ehrfurcht vor dem Geld wider, wie die Autoren Karl-Josef Kuschel und Heinz-Dieter Assmann in ihrem Buch "Börsen, Banken, Spekulanten" schreiben.

Aus dem Elend herausgeschrieben

"Dickens hat sich im Wortsinn aus dem Elend herausgeschrieben. Es ist ein nur allzu seltenes Wunder der Literatur, dass einer, der die Armut beschreibt, dadurch zu Reichtum kommt", schrieb Oliver vom Hove im Presse-"Spectrum".

Als er zwölf Jahre alt war, kam Dickens Vater - Zahlmeister bei der Marine - ins Schuldnergefängnis, weil er mit Geld nicht umgehen konnte. Für Dickens begann eine traumatische Zeit, die 13 Monate lang dauern sollte. In einer Schuhwichse-Fabrik arbeitete er ab sofort unter widrigsten Bedingungen. Als der Vater Monate später aus dem Gefängnis kam und ihn in die Schule schicken wollte, beharrte seine Mutter darauf, dass Charles weiterhin in der Fabrik arbeite. Und sein Vater störte sich vor allem an der "Zurschaustellung" - dass Charles bei der Arbeit in einem Fenster zu sehen war.

"Der erste Kapitalist der Literatur"

Doch trotz seiner Sozialkritik bezeichnet ihn Biograph Hans-Dieter Gelfert als "viktorianischen Kompromissler". Zwar wird der Verlust von Eigentum in Dickens Büchern immer wieder als moralischer Sieg dargestellt. Und in "Schwere Zeiten" (1854) kritisiert er jenes Unternehmerprinzips, das alles nur nach wirtschaftlichem Nutzen und Profit bewertet.

Doch als Schriftsteller strebte er selbst durchaus nach Gewinn: "Mit Verlegern verhandelt er außergewöhnlich hart. Seine Romane schreibt er als Fortsetzungsgeschichten. Die wöchentlichen Beiträge verlangen höchste Arbeitsdisziplin. Erst im Nachhinein erscheinen die Kapitel noch einmal gebündelt in Buchform. Damit bindet Dickens seine Leser und sichert sich ein doppeltes Einkommen", schreibt die "Märkische Allgemeine". Dickens führte auch hoch bezahlte Lesereisen durch Großbritannien und die USA durch. Dickens-Forscher Stephen Marcus nennt ihn folglich den "ersten Kapitalisten der Literatur".


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