Die Renaissance der Wachstumskritiker

Renaissance Wachstumskritiker
Renaissance Wachstumskritiker(c) EPA (JERRY LAMPEN)
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Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise boomen Wachstumskritiker, überzeugende Alternativen fehlen aber bislang. Und: Wachstum ist besser als sein Ruf.

"Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut", lautet der Leitspruch von Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl. Denn solange die Wirtschaft brummt und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stetig wächst, ist die Welt in Ordnung. So dachte man - zumindest bis zum Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise. Seitdem ist dieses Weltbild in Frage gestellt worden. Von Wachstumswahn ist die Rede. Die Wachstumskritiker sind zurück, wie der Boom von Büchern wie "Exit: Wohlstand ohne Wachstum" von Meinhard Miegel oder "Immer mehr ist nicht genug! Vom Wachstumswahl zum Bruttosozialglück" von Petra Pinzler zeigt.

Das Paradigma des grenzenlosen Wirtschaftswachstums scheint zu wanken. Und das ziemlich genau 40 Jahre, nachdem der "Club of Rome" erstmals die "Grenzen des Wachstums" erreicht sah. Die gleichnamige Studie kam damals zu dem Schluss, dass in einer endlichen Welt der Rohstoffverbrauch und die Erzeugung von Nahrungsmitteln nicht unendlich wachsen könnten. Bereits 1979 sollten die weltweiten Goldminen erschöpft sein, Silber dann 1983. Der baldige Zusammenbruch des Weltwirtschaftssystems wurde nicht ausgeschlossen.

"Populäre Schauergeschichte"

Die folgenden Jahrzehnte entlarvten die Autoren allerdings als allzu pessimistische Untergangspropheten. "Der Spiegel" spricht sogar von einer der "populärsten Schauergeschichten aller Zeiten". Denn die Ressourcen sind heute zwar knapp und werden teurer, erschöpft sind sie aber noch lange nicht. Was Studien-Autor Dennis Meadows aber bis heute nicht daran hindert, seinem Motto treu zu bleiben. Das westliche Wirtschaftssystem werde demnächst kollabieren, erzählte er erst im Vorjahr der Enquetekommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" des Deutschen Bundestags. Im Zuge dessen lobte er laut "Spiegel" auch Singapur als Vorzeigemodell: "Eine Diktatur, aber dafür mit smarten Leuten an der Macht".

Nicht nur Meadows, auch der "Club of Rome" zeichnet bis heute ein düsteres Bild der Zukunft. In einem neuen Report, der bis ins Jahr 2052 blickt, ist für Optimismus kein Platz. Der Club misstraut weiterhin dem Markt als Entdeckungsverfahren, wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt: "Sie wünschen planwirtschaftliche Vorgaben". Kapitalismus und Demokratie werden für ihre Kurzsichtigkeit gegeißelt.

"Die Truhen und Mägen sind voll"

Doch grundsätzlich hat sich der Ton geändert: Wachstumskritiker von heute verdammen Wachstum nicht mehr per se. "Die Truhen und Mägen der großen Mehrheit sind doch voll. Eine weitere Zunahme materiellen Wohlstands macht die meisten weder zufriedener, geschweige denn glücklicher. Ihre Glücksquellen haben sich längst in den immateriellen Bereich verlagert", schreibt etwa der Sozialwissenschaftler Miegel in der "Welt". Und: "Um Menschen zu beschäftigen, werden schon jetzt Güter auf den Markt geworfen, für die es keine wirkliche Nachfrage mehr gibt, deren Produktion, Nutzung und Entsorgung aber Schäden an Umwelt und Gesellschaft verursachen."

Was Wachstumskritiker heute eint, ist vor allem folgende Schlussfolgerung: Die größten Herausforderungen der Menschheit - Klimawandel, Massenarbeitslosigkeit und ausufernde Staatsverschuldung - lassen sich durch Wirtschaftswachstum nicht lösen. "Dies ist kein Plädoyer gegen wirtschaftliches Wachstum. Was wachsen kann, ohne dauerhafte Schäden an Umwelt, Natur und Gesellschaft zu verursachen, soll wachsen. Das aber ist weniger, als viele meinen", meint auch Miegel.

"Wachstum kein Allheilmittel"

Die meisten Ökonomen halten Forderungen nach einem Wachstumsverzicht jedenfalls weiterhin für gefährlich. Stillstand bedeutet Rückschritt. Ohne Wachstum werde die Arbeitslosigkeit zwangsläufig zunehmen. Ex-Weltbank-Manager Herman Daly will das aber nicht gelten lassen. Er ist der Überzeugung, dass auch nichtwachsende Volkswirtschaften stabil sein können. Er spricht sich daher laut "Handelsblatt" für einen "steady state" aus, in dem nur so viele Ressourcen verbraucht werden, wie auch nachwachsen können.

Seiner Ansicht nach bedeute steigende Produktivität nicht zwangsläufig, dass mehr produziert werden müsse. Stattdessen lasse sich auch die Arbeitszeit des einzelnen verkürzen oder die Arbeit auf mehr Köpfe verteilen. Er warnt jedenfalls davor, Wachstum als Allheilmittel für alle ökonomischen Krankheiten anzusehen.

"Wachstum ist besser als sein Ruf"

Wachstumsbefürworter sprechen daher auch offen davon, dass Wachstum kein Ziel an sich sein soll, sondern ein Mittel zu etwas. So formuliert es etwa die Chefin der deutschen Wachstumskommission. Und: "Wachstum hat etwas mit Innovationen zu tun", zitiert die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" den deutschen Ökonom Martin Hellwig vom Max-Planck-Institut. "Sollten wir verlangen, dass die Politik Wachstum behindert? Sollen wir Innovationen verbieten?"

Und ein anderer wesentlicher Punkt offenbart die Kurzsichtigkeit des Club of Rome. Mittlerweile sind es nicht mehr die Rohstoffe der Erde, die als Garant für Wachstum gelten, sondern Ideen. "Die Rohstoffe in der Welt sind begrenzt, aber ich bin überzeugt, dass wir Menschen noch viele Ideen haben", sagt Kolbe. FAZ-Autor Patrick Bernau kommt daher nach 40 Jahren Wachstumskritik zu folgendem Schluss: "Das Wachstum ist deutlich besser als sein Ruf.

Eine Million für "Wachstumsüberwinder"

Die Ideen der Wachstumskritiker weisen zudem noch viele Schönheitsfehler auf. Viele sind sehr "staatsgläubig", wie André Reichel von der Uni Stuttgart meint. Zudem bleiben die Skeptiker bei aller berechtigter Kritik bislang aber vor allem eines schuldig: Eine überzeugende Alternative.

Das zeigt sich auch gut an folgendem Beispiel: Der australische Unternehmer Dick Smith hatte 2011 demjenigen eine Million australische Dollar versprochen, der eine glaubhafte Alternative "zu unserer von Bevölkerungs- und Konsumwachstum besessenen Wirtschaft" bieten könne, schrieb "Spiegel Online". Innerhalb der von ihm gesetzten Frist bis Jahresende fand sich kein Geeigneter. Auf der Homepage steht zu lesen, dass der Preis so lange einbehalten wird, bis solch eine Person auftaucht. Des Lösung des Wachstumsrätsels dürfte also doch nicht so einfach sein.


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