Der tiefe Fall des Internet-Stars Digg

Screenshot
  • Drucken

Noch vor vier Jahren wurde der Social-Media-Pionier Digg mit 164 Millionen Dollar bewertet. Jetzt geht die Seite für 500.000 Dollar über den Ladentisch. Chronologie eines Niedergangs.

Wien. Timing ist eben doch alles. Noch vor wenigen Jahren hätte Kevin Rose sein Unternehmen Digg beinahe um 200 Millionen Dollar an Google verkauft. Damals war die Seite einer der populärsten Vertreter des jungen Social-Media-Hypes. Der Gründer schaffte es 2006 mit seinem viel versprechenden Start-up sogar auf das Cover von „Newsweek“. „How this kid made 60 million dollars in 18 months“, umjubelte das Magazin den 30-jährigen Jungstar – und lag meilenweit daneben. Sechs Jahre später muss es Rose deutlich billiger geben. Gerade einmal 500.000 Dollar bezahlte Betaworks laut „Wallstreet Journal“ für das Unternehmen des einstigen Medienlieblings.

Dabei ist die Idee hinter Digg heute noch so gut wie bei der Gründung im Jahr 2004: Der Dienst ermöglicht es seinen Nutzern, interessante Nachrichten aus den Tiefen des Webs an die Oberfläche zu bringen und die Beiträge anderer Mitglieder zu bewerten. Je mehr Menschen einen Link „diggen“, desto populärer wird die Nachricht auf der Seite platziert.

Tausendfach kopiert

Klingt bekannt? Kein Wunder. Seit seiner Erfindung wurde das Modell tausendfach kopiert. Der bekannteste Klon ist wohl der „Like-Button“ des sozialen Netzwerks Facebook. Doch Digg lebte auch mit der aufstrebenden Konkurrenz noch lange Zeit gut von seinem klingenden Namen.

Bis 2008 pumpten Investoren rund um Linked-In-Gründer Reid Hoffman und Netscape-Erfinder Marc Andreessen in Summe 45 Millionen Dollar in das Unternehmen – und hievten den Wert der Seite damit auf geschätzte 164 Millionen Dollar. Vier Jahre später sind 99Prozent des Unternehmenswerts futsch. Die große Trendwende für Digg kam 2010. Noch im Jänner des Jahres erreichte die Seite mit 29 Millionen Nutzern ihren absoluten Höhepunkt. Digg galt als einer der wichtigsten „Klickbringer“ im Internet.

Doch der Erfolg stand auf tönernen Beinen. Mit einem Umbau der Seite verärgerte das Management die Nutzer dermaßen, dass sie Digg in Scharen verließen. Nachrichtenproduzenten hätten zu viel Macht darüber bekommen, welche Meldungen gut platziert würden, lautete die Kritik damals. So suchten die einstigen Digg-Mitglieder aktuellste Nachrichten fortan eben bei Twitter, teilten Links auf Facebook oder wechselten überhaupt zum triumphierenden Digg-Konkurrenten Reddit.

Für Digg war der Verkauf wohl die letzte Etappe des Niedergangs. Schon vor zwei Jahren wurde ein Drittel der Mitarbeiter gekündigt. Die Entwicklungsabteilung wechselte vor wenigen Monaten geschlossen zur „Washington Post“. Die übrigen Mitarbeiter werden jetzt gehen. Auch seine Patente hat Digg längst zu Geld gemacht. Knapp vier Millionen Dollar soll das Karrierenetzwerk Linked-In dafür bezahlt haben.

Kein Wert ohne Mitglieder

Betaworks will Digg mit seinem eigenen Portal news.me fusionieren. Für seine 500.000 Dollar kauft sich das Unternehmen eine prominente Marke im Internet und ein wenig technische Ausstattung. Und zeigt damit auch ein Problem auf, das alle Social-Media-Unternehmen teilen: Ohne Mitglieder sind sie einfach nichts wert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.