USA: Die Pleite als letzte Hoffnung

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In den USA schlittern immer mehr Städte an den Rand der Insolvenz oder gleich in den Bankrott. Kostspielige Projekte, großzügige Gehälter und Pensionsregelungen tragen die Schuld daran.

Die offenen Rechnungen stapelten sich, die Mahnungen der Benzinfirma, der Mülldeponie und der Wasserwerke flatterten auf den Schreibtisch des Bürgermeisters. Als der Kontostand der Stadt Scranton in Pennsylvania auf ein Guthaben von 5000 Dollar schrumpfte, sah sich Christopher Doherty zum Handeln gezwungen.

Um einen Bankrott abzuwenden und Kündigungen zu vermeiden, kürzte der Demokrat kurzerhand sein eigenes Honorar und das der städtischen Angestellten auf den gesetzlichen Mindestlohn von 7,25 Dollar.

John Judge schnaubte. Der Feuerwehrmann und Sprecher der lokalen Gewerkschaft lamentierte vor TV-Kameras: „Die Teenager, die bei mir um die Ecke am Eisstand arbeiten, verdienen 8,50 Dollar in der Stunde – und sie riskieren nicht ihr Leben.“ Judge will sich mit der Kürzung des Gehalts um zwei Drittel nicht abfinden, die Gewerkschaft kündigte eine Klage und Proteste gegen die Radikalkur an. Die öffentliche Versorgung von 76.000 Einwohnern stehe auf dem Spiel, warnte dagegen Doherty.


Die Industriestadt, Geburtsort von Vizepräsident Joe Biden, hat ihre Kreditwürdigkeit eingebüßt. Nachdem sich auch die letzte Bank zurückgezogen hat, ist einstweilen niemand bereit, als Nothelfer in die Bresche zu springen. Der Bürgermeister der 76.000 Einwohner führt dabei nicht nur einen Machtkampf gegen die Gewerkschaften, sondern auch gegen den Stadtrat, der Steuererhöhungen vehement ablehnt.

Scrantons angespannte Finanzlage ist ein Spiegelbild von Kommunen im ganzen Land, im Kleinen spiegelt sich wiederum das Finanzdebakel vieler Bundesstaaten und erst recht das des Bundes wider. Die Rezession, das Platzen der Immobilienblase, Missmanagement und nicht zuletzt überzogene Regelungen für Pensions- und Gesundheitsvorsorge haben viele US-Städte in die Misere manövriert. In den Boomjahren haben die mächtigen Spartengewerkschaften im öffentlichen Dienst den Kommunalpolitikern teils exorbitante Pensionszahlungen und Extrazulagen abgerungen, die manchen Städten nun die finanzielle Luft abschnüren. Immer mehr Kommunen sehen nur noch in der Bankrotterklärung einen Ausweg aus ihrer Zwangssituation: Die Pleite als letzte Hoffnung?

Gerade erst hat San Bernardino, eine 200.000-Einwohnerstadt im Großraum Los Angeles, die mit 46 Mio. Dollar in der Kreide steht, einen Insolvenzantrag gestellt.


Die Konkursregelung im Rahmen des sogenannten „Chapter Nine“ – der Konkursklausel öffentlicher Einrichtungen – erlaubt eine Neustrukturierung der Finanzen, eine Neuverhandlung von Verträgen. Die Kommunalpolitiker machen sich dabei den Niedergang der Gewerkschaften zunutze, die in den vergangenen Jahren sukzessive an Bedeutung verloren haben.

Insbesondere im ohnedies von finanziellen Nöten geplagten Kalifornien erscheint die Insolvenz als akzeptables Übel. Denn von der von politischen Grabenkämpfen gezeichneten Hauptstadt Sacramento ist keine Unterstützung zu erwarten. Der „Golden State“ leidet seit Jahren an einem chronischen Budgetdefizit (heuer: 16 Mrd. Dollar), der finanzielle Notstand ist zum Dauerzustand geworden – bedingt auch durch die erforderliche Zweidrittelmehrheit in Budget- und Steuerfragen.

Die Stadt Vallejo deklarierte im Jahr 2008 ihren Bankrott. Einst ein florierender Marinestützpunkt in der Bucht von San Francisco heuerte Vallejo einen Krisenmanager an, der der Stadt einen radikalen Sparkurs verordnete. Die Main Street glich einer Geisterstadt, mehr als ein Drittel der Polizei- und Feuerwehrstellen fielen dem Sparstift zum Opfer, prompt stiegen die Verbrechensraten. Jahresgagen von bis zu 300.000 Dollar für leitende städtische Angestellte gehörten indessen der Vergangenheit an.

Privatinitiativen und Freiwilligenverbände füllten die Lücken im öffentlichen Dienst, im Gegenzug für eine Steuererhöhung um einen Cent sicherte Vallejo den Bürgern Mitbestimmung bei den Ausgaben zu.

Die Schwierigkeiten sind nicht beseitigt,doch mittlerweile hat Vallejo den Bankrott überwunden. Inzwischen gilt Vallejo sogar als Modell für einen Gesundschrumpfungsprozess. In Kalifornien sind laut Schätzungen der California State University zumindest 100 Städte, rund ein Fünftel, von einer Pleite bedroht. Ökonomen sind alarmiert: Eine Pleitewelle von Kommunen im großen Stil könnte die US-Wirtschaft aus den Angeln heben.


Als bisher größte Stadt schlitterte vor zwei Wochen Stockton in die Insolvenz. Selbst Sparmaßnahmen haben nicht gefruchtet. Groß geworden im Delirium des Goldrauschs des 19. Jahrhunderts, stürzte die Großmannsucht die 300.000-Einwohner-Kommune im Umkreis von San Francisco ins Unheil.

Der Ausbau des Hafens, eine Promenade, Luxusbauten, in den Boomjahren des nahen Silicon Valley konzipiert, ließen die Stadt in die roten Zahlen taumeln. Die explodierenden Kosten für den Pensionsfonds der städtischen Angestellten sowie deren Rücklagen beschleunigten den Absturz. „Wir sind gegen die Wand gefahren“, stellte Bürgermeisterin Ann Johnson ernüchtert fest.

Unter neuen Vorzeichen durchforsteten die Stadtmanager nun die Zusatzzahlungen für die Gesundheits- und Pensionsvorsorge. Streichungen bei Polizei und Feuerwehr trieben die Arbeitslosenrate beinahe an die 20-Prozent-Marke. Und Bradley Koster packte schweren Herzens sein Mobiliar zusammen. Er sperrte seine Bar im Zentrum Stocktons zu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2012)

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