Amerikanische und deutsche Gemeinden gehen mit Klagen gegen Zinsmanipulationen vor. Auch österreichische Kommunen prüfen die Sache. Eine Klage dürfte sich für hiesige Gemeinden aber als schwierig herausstellen.
Wien. Die britische Bank Barclays war das erste Kreditinstitut, dem im Zusammenhang mit der Libor-Affäre eine saftige Strafe auferlegt wurde. Die halbe Milliarde Dollar, die das Haus an die amerikanische Börsenaufsicht zahlen musste, könnte sich aber erst als Anfang einer Reihe von Zahlungen herausstellen. Denn nicht nur die Behörden bringen sich in Stellung, auch Anwälte scharren mit den Hufen: Immer mehr Geschädigte erwägen, gegen die Banken vorzugehen.
Weltweit stehen etwa ein Dutzend Banken im Verdacht, den Referenzzins Libor manipuliert zu haben. 18 Institute melden täglich, zu welchen Zinssätzen sie sich Geld von anderen Banken leihen könnten. Der Durchschnitt, der in London errechnet wird, ist der Libor. Ihn gibt es für zahlreiche Laufzeiten und Währungen. Besonders eindeutig ist der Fall in der zweiten Phase der Manipulation, die nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers begann. Die Banken gaben ihre Refinanzierungskosten zu niedrig an, um möglichst gesund zu erscheinen. So fiel der Libor tiefer aus, als er hätte sein müssen.
Finanzmathematiker gefragt
Das ist für die zahlreichen Kreditnehmer, deren Zinsen sich am Libor orientieren, keine schlechte Nachricht. Viele Gemeinden setzten während dieser Zeit etwa auf variable Zinsen, um vom tiefen Zinsniveau zu profitieren. Um sich vor steigenden Zinsen zu schützen, schlossen sie jedoch zusätzliche Geschäfte ab: sogenannte Swaps. Teilweise sind diese so konstruiert, dass die Gemeinde Zahlungen erhält, je höher die Zinsen steigen – bei einer Manipulation nach unten fallen diese Zahlungen aus. Auch könnten sich bei niedrigeren Zinsen höhere Kosten für die Absicherung ergeben haben.
In den USA sind bereits die ersten Klagen anhängig. Die Stadt Baltimore hat eine Klageschrift ausgearbeitet, in der sie eine „globale Verschwörung“ anprangert. Wie hoch der Schaden ist, hat sie noch nicht ausgerechnet. Das ist auch extrem schwierig: So müssen die Anwälte erst schätzen, wie hoch der Libor ausgefallen wäre, wäre er nicht manipuliert worden. Bei einem Finanzierungsvolumen im dreistelligen Millionenbereich und mehrjähriger Laufzeit dürfte dennoch ein stolzer Betrag zusammenkommen.
Die Münchner Anwaltskanzleir Rössner, die sich in Deutschland mit der Sache beschäftigt, arbeitet bereits mit Finanzmathematikern zusammen, die die Höhe der Schäden greifbar machen sollen. Bei ihr hätten bereits mehrere Kommunen, aber auch Privatanleger und Unternehmen angefragt, ob sie Schadenersatzansprüche geltend machen können, sagt Anwalt Janos Morlin im Gespräch mit der „Presse“. Die Kanzlei vertritt auch Kunden, die sich ihre Kreditzinsen bei der Deutschen Bank abgesichert haben. Sie ist eine der Banken, gegen die intensiv ermittelt wird. In solchen Fällen sei es unter Umständen möglich, Geschäfte komplett rückgängig zu machen. Die klammen Gemeinden erhielten dann nicht nur etwaige Schäden, sondern sämtliche Kosten des Zinsderivats zurück.
Situation in Österreich schwierig
Obwohl in Europa nicht der Libor, sondern der Euribor tonangebend ist, könnten auch hierzulande Gemeinden geschädigt worden sein. Dann nämlich, wenn sie einen Fremdwährungskredit aufgenommen haben. Laut Nationalbank hatten die Gemeinden per Juli 2012 noch 2,3 Mrd. Euro an Fremdwährungskrediten in ihren Büchern, zumeist in Schweizer Franken. Dabei werden die Zinsen meist über den Libor abgesichert.
Eine Klage dürfte sich für hiesige Kommunen aber als schwierig herausstellen. Eine österreichische Gemeinde, die bei einer heimischen Bank Kunde ist, müsste zunächst beweisen, dass sie durch die Trickserei geschädigt wurde. Dann müsste sie entweder zeigen können, dass die Bank über die Manipulationen Bescheid wusste. Oder sie müsste jene ausländischen Geldhäuser klagen, die an der Manipulation des Libor beteiligt waren. „Einige Geschädigte prüfen, ob sie sich an Sammelklagen in den USA beteiligen sollen. Es muss aber noch geklärt werden, inwieweit das möglich ist“, sagt Morlin.
Beim Österreichischen Gemeindebund ist man an der Sache dran. „Wir sehen, dass sich in Deutschland etwas tut“, sagt Sprecherin Carina Rumpold. „Wir sind dabei, zu klären, ob auch österreichische Gemeinden betroffen sind.“ Klarer würde der Fall, wenn sich herausstellt, dass auch der Euribor manipuliert wurde. Ermittelt wird in dieser Sache ebenfalls.
Auf einen Blick
Kommunen in den USA, aber auch in Deutschland ziehen gegen jene Banken vor Gericht, die jahrelang den Referenzzins Libor nach unten manipuliert haben. Sofern sie sich gegen hohe Libor-Zinsen abgesichert haben, könnten ihnen zu hohe Kosten entstanden sein. Solche Finanzprodukte gibt es auch in Österreich. Der Gemeindebund prüft, ob auch heimische Kommunen geschädigt wurden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2012)