Ein Jahrzehnt im Clinch mit dem Nachbarn

Österreichs langer Kampf gegen die tschechischen AKW blieb bisher erfolglos.

Europas Atomkraftwerke sind nicht sicher genug. Dieses Zeugnis stellte die EU-Kommission den Betreibern vergangene Woche aus. Fast alle 145 im EU-Stresstest überprüften Reaktoren müssen demnach nachgerüstet werden. Auch in den beiden tschechischen Kraftwerken Temelín und Dukovany nahe der österreichischen Grenze haben die Prüfer Mängel gefunden. So fehlen etwa ausreichende Pläne für den Notfall, Vorkehrungen, um Wasserstoffexplosionen automatisch zu verhindern, oder Filtersysteme im Sicherheitsmantel der Kraftwerke.


Kein Stress mit Stresstest. Der staatliche Energiekonzern ČEZ, der beide Atomkraftwerke betreibt, spielt die Ergebnisse unterdessen herunter. Die gefundenen Probleme seien „nicht wesentlich“, an der Behebung werde bereits gearbeitet, sagt eine Sprecherin. Am geplanten Ausbau wolle man festhalten. Bis 2025 sollen in Temelín zwei neue Blöcke entstehen, in Dukovany ist eine fünfter Block geplant.

Ein paar Kilometer weiter im Süden– jenseits der österreichischen Grenze– wurde der Stresstest ganz anders aufgenommen. Seit der Eröffnung der Atomkraftwerke liegen die beiden Länder im Clinch. Mit Protestmärschen, Grenzblockaden, Klagen und einem Volksbegehren kämpfen Atomkraftgegner seit über zehn Jahren für die Schließung der Anlagen. 900.000 Menschen unterzeichneten im Jahr 2001 das Volksbegehren „Veto gegen Temelín“. Das Land Oberösterreich ging mit seiner Forderung, das Kraftwerk zu schließen, bis vor den Europäischen Gerichtshof – und verlor. Österreichs Politiker machten eine Lösung des „Temelín-Problems“ gar zur Bedingung für den Beitritt Tschechiens in die EU. Erst im „Melker Prozess“ wurden Richtlinien formuliert, nach denen ein Weiterbetrieb von Temelín akzeptabel sei, wie etwa eine Umweltverträglichkeitsprüfung von Temelín nach europäischen Richtlinien und eine bessere Information der österreichischen Bundesregierung. Tschechiens Weg in die EU war frei, an den Sorgen der Österreicher hat sich jedoch nichts geändert. Heute setzt die heimische Regierung auf Importverbote von Atomstrom, um die AKW für die Betreiber unrentabel zu machen.


Mehr Kohle als Atom. Der ČEZ bereitet dieser Plan wenig Kopfzerbrechen. Der 1992 gegründete Energiekoloss ist nach Eigenangaben der profitabelste und am niedrigsten verschuldete Energiekonzern Europas. Knapp über 40 Prozent des von ihm produzierten Stroms kommen aus Atomkraftwerken. Mehr als die Hälfte aus Kohlekraftwerken, fünf Prozent sind Ökostrom. Zudem hat der 70-Prozent-Eigentümer Tschechien bereits angekündigt, dass der 33.000 Mitarbeiter starke Konzern die Atomenergie im Land weiter ausbauen soll.

Widerstand im eigenen Land ist nicht zu erwarten. Die meisten Tschechen haben kein Problem mit Nuklearenergie. Und an den Widerstand der Nachbarn hat man sich in Tschechien mittlerweile längst gewöhnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.