Italien: Die Mafia und ihr schmutzigstes Geschäft

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Die Baubranche ist ein Hauptstandbein der Mafia. Parallel dazu hat sie ein Milliardengeschäft aufgebaut: Die illegale Entsorgung von Giftmüll.

US-Präsident Barack Obama sagte einmal: „Wahlen allein machen noch keine Demokratie". Das trifft wohl auch auf die norditalienische Lombardei zu, wo man um 50 Euro eine Wählerstimme erwerben kann. Wie aus Abhörprotokollen hervorgeht, kaufte der Lokalpolitiker Domenico Zambetti im Jahr 2010 von der kalabrischen Mafia 'Ndragheta 4000 Stimmen im Gegenwert von 200.000 Euro, um in die Regionalregierung der Lombardei gewählt zu werden. Die Rechnung ging auf: Zambetti, ein Parteifreund von Ex-Premier Silvio Berlusconi, war bis zu seiner Verhaftung am 10. Oktober 2012 für das Bauwesen der Region mit ihrer finanzkräftigen Hauptstadt Mailand zuständig. Es liegt auf der Hand, dass der Mafia-Deal mit dem Stimmenkauf nicht abgeschlossen war, denn die Baubranche ist eines der wichtigsten wirtschaftlichen Standbeine der Clans.

Dass die süditalienischen Mafia-Syndikate - allen voran die 'Ndragheta - schon längst den norditalienischen Bausektor infiltriert haben, sagt auch der Journalist Giovanni Tizian. In seinem heuer auf Deutsch erschienenen Buch "Die Mafia AG" berichtet er ausführlich über die Praktiken der Bau-Mafia in Norditalien. Demnach war das organisierte Verbrechen bei den Ausschreibungen zur Weltausstellung "Expo 2015" bei Mailand ganz vorne mit dabei. Auch Projekte wie die Erweiterung der Autobahn A4 und der Bau der Hochgeschwindigkeitszugstrecke Mailand-Venedig „zogen die gefräßigen Bagger der 'Ndragheta an", schreibt Tizian.

"Sicherheitsaufschlag" bei Bauarbeiten

Meist gehen die Bauaufträge nicht direkt an Mafia-Unternehmen, sondern große Konzerne beauftragen Subfirmen, die von den Clans geführt werden. Überhöhte Preise nehmen dabei viele Auftraggeber in Kauf, schreibt Aufdecker Tizian. Denn nur wer mit der Mafia zusammenarbeitet, könne sich sicher sein, dass keine Baufahrzeuge beschädigt oder die Bauarbeiten anderweitig gestört werden.

Vor allem an Erdarbeiten scheint die 'Ndragheta großes Interesse haben. Die Folgen sind desaströs: Denn die Mafia nützt die Gelegenheit, um illegal Giftmüll zu entsorgen, der die Böden und das Grundwasser verseucht. In einem ernüchternden Bericht der Mailänder Staatsanwaltschaft heißt es: "Wo Lkws der 'Ndragheta eingesetzt werden, kann man mit Fug und Recht sagen, dass Umweltstraftaten [...] immer einhergehen". Bereits 80 Prozent der Aushubfirmen in der Lombardei sind in der Hand der Mafia, schätzt Gaetano Pecorella, Präsident der Parlamentskommission für Ermittlungen zum illegalen Müllkreislauf.

Immer wieder stößt die norditalienische Polizei auf verseuchtes Ackerland. So auch im Mai 2008 in der Gemeinde Desio bei Mailand, wo 30.000 Quadratmeter durch Blei, Chrom und Plastikabfall vergiftet wurden. Dabei agierte die 'Ndragheta Tizian zufolge nach einem altbewährten Muster, das die höchstmöglichen Profite verspricht: Verlassene Grundstücke werden aufgekauft, eine beauftragte Firma sollte offiziell Abriss- und Bauarbeiten durchführen. In Wirklichkeit macht sie etwas ganz anderes: „Die Grube wurde ausgehoben, die ausgehobene Erde an Gartenbauunternehmen verkauft, die Grube mit Giftmüll gefüllt und mit einer dünnen Deckschicht notdürftig getarnt." Doch es steckt noch mehr Geld in dem Boden: „Was in diesem Fall nicht mehr klappte, war von Seiten der Mafia selbst Anzeige zu erstatten gegen Unbekannt wegen Verseuchung des Bodens, um auf diese Weise die Umwidmung von Ackerland in Bauland zu erhalten und damit den Wert des unrettbar verseuchten Bodens erheblich zu steigern", so Tizian.

3,1 Milliarden Euro Umsatz

Die Giftmüllentsorgung ist schon seit langem ein wichtiges Geschäftsfeld der Verbrecherorganisation. Im Vorjahr setzte die Mafia in dem Bereich 3,1 Milliarden Euro um, schätzt die Umweltschutzorganisation Legambiente. Und der Müllsektor kennt keine Krise. Viele Unternehmen können oder wollen sich eine fachgerechte Entsorgung einfach nicht leisten. Ein sogenannter "Stakeholder", der zwischen der kamapanischen Mafia Camorra und den Konzernen die Deals verhandelt, bringt das Dilemma im Gespräch mit dem Starjournalisten Roberto Saviano auf den Punkt: „Weißt du eigentlich, dass es den Stakeholdern zu verdanken ist, wenn dieses Scheißland heute in Europa etwas gilt? Weißt du eigentlich, wie viele Arbeiter ihren Arsch gerettet haben, nur weil ich dafür gesorgt habe, dass ihre Betriebe sich nicht dumm und dämlich zahlen?"

Die Camorra verlangte im Jahr 2004 für die Beseitigung von einem Kilo Giftmüll um die zehn Cent, die ordnungsgemäße Entsorgung kostete bis zu 62 Cent, recherchierte Saviano für seinem Beststeller „Gomorrha". Besonders schlimm ist die Situation in Süditalien, ganze Regionen ersticken im Müll. Ein Dreieck im Hinterland von Neapel wird von den Einheimischen nur noch „Feuerland" genannt, weil die Mafia dort immer wieder Müllberge anzünden muss. Gesundheitliche Schäden sind die Folge: Laut einer Studie des Sbarro-Instituts für Krebsforschung an der Temple University von Philadelphia ist das Risiko, an Krebs zu erkranken, in einigen Orten rund um Neapel um 80 Prozent erhöht.

Der Bauer und das Geld - Ausschnitt aus Gomorrha

Eines Tages pflügte ein Bauer der seinen Acker, der genau an der Grenze zwischen den Provinzen Neapel und Caserta lag; er hatte das Stück Land gerade erst gekauft. Der Motor seines Traktors ging nimmer wieder aus, als wäre das Erdreich an diesem Tag ganz besonders fest. Und auf einmal beförderten die Pflugscharen Papier zutage. Geld. Tausende und Abertausende, Hunderttausende von Geldscheinen. Der Bauer sprang von seinem Traktor und fing an, in fliegender Hast die Fetzen aufzusammeln, als wäre es die versteckte Beute aus einem großen Banküberfall. Aber es waren nur Papiergeldschnipsel, die Farbe ausgebleicht. Geschredderte Banknoten der italienischen Staatsbank. Tonnenweise zu Ballen gepresste Lirescheine, die man aus dem Verkehr gezogen hatte. Die alte italienische Währung, die man hier verscharrt hatte, vergiftete jetzt einen Blumenkohlacker mit Blei.

Auch die Hauptstadt Kampaniens leidet darunter, dass die Abfallentsorgung in den Händen der Mafia ist. In den vergangenen Jahren eskalierte die Situation mehrmals und die Straßen Neapels wurden zu einer riesigen Müllhalde. Außerdem musste die Region ihren Müll immer wieder für horrende Preise nach Deutschland karren. Und das alles, obwohl in den 1990er Jahren Kippen eröffnet wurden, die eigentlich ein ganzes Jahrhundert lang neapolitanischen Hausmüll hätten fassen können. "Doch dazu kam es nicht - die Camorra füllte die Kippen umgehend mit Müll aus ganz Italien", wie Saviano auf "Zeit.de" erklärt.

Geschäfte mit somalischen Piraten

Der Umweltschutzorganisation Legambiente zufolge verschwinden jährlich mehr als 25 Millionen Tonnen Abfall spurlos, das ist ein Viertel des italienischen Gesamtvolumens. Dass diese riesigen Mengen auch noch anderswo als in Italien vergraben oder versenkt werden, ist naheliegend. Der Verdacht hat sich spätestens seit dem verheerenden Tsunami im Dezember 2004 massiv erhärtet. Damals wurden in Somalia hochgiftiges Blei, Quecksilber und Krankenhausabfälle angeschwemmt, viele Küstenbewohner erkrankten schwer. Kriminologen gehen heute davon aus, dass der Müll aus Italien stammt. Somalische Piraten sollen das Versenken vor der Küste geduldet haben und dafür im Gegenzug mit Kalaschnikows versorgt worden sein - auch im Waffenhandel ist die Mafia dick im Geschäft. Ein Aussteiger der italienischen Giftmüllmafia meinte in einer heuer ausgestrahlten "Arte"-Dokumentation: "Halb Italien ist voll mit Müll. Und was kommt dann? Afrika. Und in welche Länder fahre ich? In die instabilen. [..] Alles ist nur eine Frage des Geschäfts. Menschenleben zählen nicht".

Buchtipps:

Die Neuerscheinung
Giovanni Tizian: Mafia AG
Camorra, Cosa Nostra und 'Ndragheta erobern Norditalien

Der Klassiker
Roberto Saviano: Gomorrha
Reise in das Reich der Camorra

Großkonzern Mafia

Die Staatsbank schätzt den jährlichen Umsatz, den die italienischen Mafia-Organisationen erwirtschaften, auf 150 Milliarden Euro. Damit spielen die Clans in einer Liga mit Firmen wie Gazprom, General Motors oder dem größten italienischen Unternehmen, dem Energiekonzern Eni.

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