"Männer sind skrupelloser im Ergreifen von Karrierechancen"

Thomas Sattelberger
Thomas Sattelberger (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Als Chefpersonaler der Deutschen Telekom initiierte Thomas Sattelberger eine konzernweite Frauenquote. Der „Presse“ erklärt er, warum: "Aus strategischen und moralischen Gründen."

Die Presse: Die EU-Kommission will eine Frauenquote in Aufsichtsräten börsenotierter Unternehmen durchsetzen. Sie haben als Personalvorstand bei der Deutschen Telekom 2010 eine Selbstverpflichtung zu 30 Prozent Frauen in Führungspositionen eingeführt. Warum war Ihnen das wichtig?

Aus strategischen und moralischen Gründen. Ohne das Nützen von weiblichem Talent kann man die Nachwuchs- und Führungspipeline nicht mehr füllen. Ich konnte mein eigenes Geschwätz und das meiner Kollegen nicht mehr hören, dass wir Vielfalt und Gleichstellung forcieren; aber passiert ist nichts. Ich habe mich geschämt für meine Profession und für mich selbst. Außerdem führen gemischte Entscheiderteams zu besseren Geschäftserfolgen.

Es hat davor schon Programme für Frauenförderung in der Telekom gegeben. Haben die nicht funktioniert?

Ja, den alten Käse, den viele schon seit 15 Jahren machen. Mentoringprogramme, Selbstmarketing-Training, Coaching. Das waren alles Beruhigungspillen. Es hat sich ja nichts geändert. In Deutschland ist der Frauenanteil in Führungspositionen in 15 Jahren gerade einmal um 0,6 Prozent gestiegen. Rausgeschmissenes Geld.

Halten Männer Frauen von der Macht fern? Vielleicht wollen Frauen ja gar nicht in Machtpositionen.

Das klingt so nach Machtkampf zwischen Mann und Frau, aber das ist nicht das Thema. Diejenigen, die die Macht haben – in dem Fall die Männer –, tun sich natürlich schwer damit, ihre Kaste zu öffnen. Sie haben eingeschworene Rituale, man kennt sich, hat den gleichen Habitus, die gleichen Sozialisierungs- und Bildungsprozesse hinter sich. Das ist ja gar nichts Böses. Aber das ist die berühmte gläserne Decke. Und die meisten Mächtigen öffnen sie nicht von selbst.

Sie waren ja selbst lange einer von den „Mächtigen“. Können Sie ein Beispiel für diese „Rituale“ geben?

Boshaft gesagt, Karrieren werden beim Pinkeln gemacht. Karrieren werden im Verborgenen gemacht, und diese Entscheidungsräume sind nicht zugänglich für andere. Wir denken, wir machen transparente Personalentwicklung und Karrierepolitik. Aber das ist in vielen Firmen Lug und Trug. Wenn es um die Besetzung der Spitzenpositionen geht, gilt eine ganz andere Logik. Der Bergsteiger Reinhold Messner macht mit Vorstandsvorsitzenden Bergtouren, da ist übrigens keine einzige Frau dabei. Das steht symbolisch dafür, dass es um männliche Seilschaft, Heroismus, Bezwingung und Kampf geht.

Aber ist es nicht so, dass es bei Karrieren auch um solche Sachen geht?

Aber ist das Ins-Zentrum-Stellen eigener Macht- und Geldinteressen gut für eine Gesellschaft? Für Kunden? Nein. Ist es menschlich? Ja. Und jetzt ist die Frage, wie geht man mit etwas, das offensichtlich ein Stück weit im Menschen drin ist, um. Hoffentlich kommt Frau Reding mit ihrer Quote durch. Hier ist Ordnungspolitik angesagt.

Es gibt ein sehr plausibles Argument gegen die Quote, nämlich dass sie Männer diskriminiere. Ein Mitarbeiter der Deutschen Telekom hat kürzlich zur „FAZ am Sonntag“ gesagt, er frage sich, wie all seine Chefinnen eigentlich in ihre Positionen gekommen seien.

Es fragen sich auch viele Männer und Frauen, wie ihre männlichen Vorgesetzten auf ihre Posten gekommen sind. Eigentlich zeigt das, wie diffus und undurchsichtig Karrierepolitik ist. Es ist ein bisschen hinterfotzig, wenn jetzt die absolute Mehrheit von 87 Prozent beginnt, sich diskriminiert zu fühlen.

Wenn Frauen gefragt werden, ob sie eine Führungsposition übernehmen möchten, sagen sie aber oft Nein. Vielleicht gibt es einfach mehr Alpha-Männchen als Alpha-Mädchen.

Zumindest sind Männer skrupelloser im Jasagen. Wenn man sie fragt, ob sie befördert werden wollen, sagen sie: Ja, das kann ich. Während Frauen beginnen nachzudenken, ob sie das können und qualifiziert genug sind. Männer reagieren sehr viel schneller und zupackender im Ergreifen von Karrierechancen. Sie sind ja auch gedrillt darauf.

Sie sind ein großer Kritiker von Managementschulen. Was ist Ihr Problem mit diesen Ausbildungen?

Die Business Schools im angelsächsischen Raum bilden im Wesentlichen für die Finanzbranche und die Spitzenberatung aus. Die Absolventen gehen ja nicht in die Realwirtschaft. Ich finde, junge Leute sind gut beraten, sich zu überlegen, ob sie reale, nützliche Produkte für die Menschen schaffen oder einen künstlichen, finanzwirtschaftlichen Kreislauf gestalten wollen.

Meinen Sie damit, dass Managementschulen die falschen Leute anziehen, oder sind die Lehrpläne falsch?

Die Welt ist frei. Solche Institute, die Finanzsöldner ausbilden, haben ein Recht zu existieren. Eine andere Frage ist, ob sie in den Medien gehypt werden durch Rankings, in denen es ganz stark um die Vergütung geht. Werden Geld, Macht und Sex die Treiber für die berufliche Entscheidung? Oder werden Berufsentscheidungen in Abwägung meines Beitrages für die Welt getroffen? Diese Schulen sollen existieren. Aber die Mehrheit der Menschen und Schulen muss sich einem neuen Zweck widmen. Ich stehe da aber relativ allein da.

Sie haben ja selber lange Personalentscheidungen getroffen. Was war Ihnen wichtig in einem Lebenslauf?

Mich hat es immer beschäftigt, ob jemand imstande ist, sich und sein Leben zu reflektieren. Wie meistert er Fehlschläge? Hat er Überzeugungen? Fachwissen ist gerade einmal die Eintrittsgebühr in einen Club.

Wie erkennt man das in einem 20-minütigen Bewerbungsgespräch?

Mit mir haben Vorstellungsgespräche immer mindestens eine Stunde gedauert. Die Frage ist: Erzählt jemand über sich selbst oder über seine Außenhülle? Das kriegt ein erfahrener Gesprächspartner in den ersten 15 Minuten mit. Sitzt du hier mit einem geföhnten Bubi oder mit einer Barbiepuppe im Businesslook? Oder begegnet dir der Mensch auf Augenhöhe? Das merke ich auch daran, wie kritisch der Gesprächspartner mit mir umgeht oder wie unterwürfig.

Auf einen Blick

Thomas Sattelberger (geb. 1949) war von 2007 bis 2012 Personalvorstand der Deutschen Telekom und initiierte im Konzern eine Frauenquote für Führungspositionen von 30 Prozent. Zwei von sieben Vorständen (Europa und Technik, Personal) sind in der Telekom Frauen. Sattelberger ist Vizepräsident der European Foundation for Management Development und war als Redner beim PeterDrucker Forum in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2012)

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