Ikea ließ Zwangsarbeit von Polit-Häftlingen in der DDR zu

Head of IKEA Germany Betzel presents study on IKEA's possible use of East German political prisoners in production of furniture at news conference in Berlin
Head of IKEA Germany Betzel presents study on IKEA's possible use of East German political prisoners in production of furniture at news conference in BerlinREUTERS
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Eine Studie liefert Beweise, der Konzern drückt „tiefstes Bedauern“ aus. Der schwedische Möbelproduzent wusste Bescheid darüber, dass politische Gefangene zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden.

Berlin. Alexander Arnold kann noch heute die Tränen nicht zurückhalten, wenn er sich an damals erinnert: Als politischer Häftling musste er in der DDR der 1980er-Jahre Bürostühle „unter unmenschlichen Bedingungen“ fertigen. Ein Akkord ohne Lohn, mit der Vorgabe: die zweieinhalbfache Menge von dem, was ein ziviler Arbeiter in der gleichen Zeit produziert. Wer das nicht schaffte, wurde in eine eisige Dunkelkammer gesperrt. Wer die Zwangsarbeit gar verweigerte, landete in einer Isolationszelle, wo ihn niemand hören konnte. An Händen und Füßen ans Bett gefesselt, bis zu zehn Tage lang, mit drei Scheiben Brot als Tagesration.

Solche Berichte von Opfern der DDR-Diktatur musste sich Peter Betzel gestern anhören. Der junge Geschäftsführer von Ikea Deutschland wirkte betroffen. Er sollte die Opferverbände darüber informieren, was eine Studie nun nachgewiesen hat: Der schwedische Möbelproduzent wusste Bescheid darüber, dass politische Gefangene in „volkseigenen Betrieben“ und Gefängnissen zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden.

Die Produktion im billigen Ostblock trug maßgeblich zum Aufstieg Ikeas zum Weltkonzern bei. Im heurigen Frühling machte eine schwedische TV-Dokumentation den dunklen Fleck zum großen Thema. Die Möbelkette stellte eine Entschädigung in Aussicht, sollte eine interne Untersuchung den Verdacht erhärten.

Aus Kuba kamen nur Muster

Mit den Recherchen fühlte sich Ikea bald überfordert und beauftragte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young. Nun liegt ihr Bericht vor. Das Fazit: Spätestens seit Anfang der Achtzigerjahre war Ikea-Managern die „Möglichkeit“ der Zwangsarbeit bewusst.

Unter welchen Bedingungen produziert wird, haben sie freilich nie gesehen. Der Kontakt mit den Lieferanten lief über den „Außenhandelsbetrieb Holz und Papier“. Ein Besuch in den Werken war verwehrt oder nur unter strengen Auflagen gestattet. Nur einmal im Jahr, bei der Leipziger Messe, konnten die Einkäufer mit den Direktoren der Kombinate sprechen. Als sich die Hinweise auf Zwangsarbeit für Ikea verdichteten, kam Sorge auf: Man könnte im Westen „in Misskredit geraten“. Aber die Einkäufer ließen es mit einer schriftlichen Vereinbarung bewenden, dass „nicht von geschlossenen Anstalten produziert“ werden dürfe. Sie wünschten sich Kontrollen, erzwangen sie aber nicht. Die Folge: Es wurden weiter Gefangene eingesetzt. Dafür sprach Betzel den Opferverbänden sein „tiefstes Bedauern“ aus. Nun sollen Wissenschaftler die Untersuchung breiter fortführen. Denn das Thema Zwangsarbeit betrifft nicht nur Ikea. Vor allem „große Versandhäuser“ aus dem Westen seien involviert gewesen und tauchten nach der Wende ab, sagt Rainer Wagner, der Chef der Union der Opferverbände.

Ikea ließ zudem Vorwürfe prüfen, ob auch auf Kuba Häftlinge eingesetzt worden seien. Das glaubt das Möbelhaus entkräften zu können: Über eine Musterlieferung von Sofas, bei der die Qualität nicht gepasst habe, sei die Geschäftsbeziehung zum karibischen Hort des Kommunismus nicht hinausgegangen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2012)

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