Indien: Machtwechsel im Reich der Industrie-Mogule

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Ratan Tata, Chef des größten Industriekonzerns des Subkontinents, tritt ab. Sein Nachfolger Mistry wird es schwer haben, aus dem Schatten des populären Unternehmers mit hoher sozialer Verantwortung zu treten.

New Delhi/DPA/Eid. Das Fest am Freitag fiel eher bescheiden aus – so wie der Boss zeitlebens agierte. Obwohl Ratan Tata zumindest an diesem Tag allen Grund gehabt hätte, groß aufzudrehen. Immerhin führte er 21 Jahre lang das größte indische Unternehmen – und machte aus dem 140 Jahre alten Firmenkonglomerat einen weltweit agierenden Industriekonzern, der im Vorjahr mit 420.000 Mitarbeitern 76 Mrd. Euro umsetzte. Gestern, an seinem 75. Geburtstag, übergab Tata die Macht an Cyrus P. Mistry.

Der um 30 Jahre jüngere Nachfolger aus dem Randbereich der Familie – seine Schwester ist mit Ratans Großcousin verheiratet – wird es nicht leicht haben, aus dem Schatten seines mächtigen und populären Vorgängers zu treten. Wobei es nicht nur um die Weiterentwicklung des Konzerns geht. Vor allem was den Führungsstil betrifft, setzte Tata hohe Maßstäbe. Der „geborene Gentleman“, wie ihn der „Economist“ beschreibt, habe von „Würde“ und „Pflicht“ nicht nur gesprochen, sondern sie auch gelebt.

Gewinne in Stiftungen

Seine Ethik sei immer der Fixpunkt seines unternehmerischen Tuns gewesen, schreibt der Chef des indischen Industrieverbandes, Ramaswamy Seshasayee, zu seinem Abschied. Gewinne fließen überwiegend in gemeinnützige Stiftungen, was dem Philanthropen Tata heuer den Rockefeller-Preis für sein Lebenswerk einbrachte.

Der in Bombay (Mumbai) geborene Spross einer parsischen Industriellenfamilie (auch sein Vater war im Unternehmen tätig) studierte in den USA Architektur und Management (Harvard). Weil seine Großmutter krank war, kehrte er nach Indien zurück. Doch dann trat sein Onkel J. R. D. Tata ab und übergab ihm im Handstreich den Chefposten. Der damals 54-Jährige fand eine schwierige Situation vor.
Die Folgen der jahrzehntelangen Planwirtschaft waren überall im Land zu spüren. Tata erkannte die Chancen der Liberalisierung und nützte sie exzessiv. So wie seine Vorfahren eine führende Rolle bei der indischen Nationswerdung einnahmen, leistete er nun einen wesentlichen Beitrag für die Globalisierung der indischen Wirtschaft.

Die Gruppe konzentrierte sich auf sechs Bereiche – Stahl, Fahrzeuge, Strom, Telekom, IT und Hotels. Dort wurde zugekauft: War es von 1995 bis 2003 ein Unternehmen pro Jahr, kamen 2004 sechs dazu und in den nächsten beiden Jahren 20. Der erste Coup war die Übernahme der führenden britischen Teemarke Tetley, vier Jahre später kaufte sich Tata beim zweitgrößten Lastwagenbauer in Südkorea, Daewoo Commercial Vehicle, ein. Dann folgten im Jahrestakt Singapurs größtes Stahlunternehmen NatSteel, Millennium Steel in Thailand und das britische Chemieunternehmen Brunner Mond.  Die spektakulärsten Zukäufe fanden in Großbritannien statt: Nach der Übernahme des britisch-niederländischen Stahlkonzerns Corus 2007 folgten ein Jahr später die Auto-Kultmarken Jaguar und Land Rover. Der Autobauer ist seit einigen Jahren wieder profitabel.

Billigauto Nano

In Indien ist Tata allgegenwärtig: Die mehr als 100 Tochterfirmen stellen Konsumgüter von Titanuhren bis Mineralwasser her, bieten Beratung und IT-Dienstleistungen, führen Hotels und liefern Strom, bearbeiten Metall und Chemikalien. Beim ersten Starbucks-Café des Landes ist Tata Joint-Venture-Partner. Einzig Tatas „Lieblingskind“ – das mit etwa 2000 Euro weltweit günstigste Auto Nano – läuft nur mäßig erfolgreich.

Das hindert den Industriellen nicht, an seinem Mantra festzuhalten, dass es Pflicht von Konzernen sei, auch Produkte für arme Menschen herzustellen. Die soziale Verantwortung liege ihm in den Genen, sagte Tata dazu einmal. Sein Nachfolger Cyrus P. Mistry wird seinen Managementstil erst finden müssen. Tipps kann er sich jedenfalls holen. Alle paar Wochen will sich Tata mit ihm zum Lunch treffen, da könne ihn Mistry alles fragen, was er wolle. Aber er müsse „er selbst“ sein, riet Tata in „India Today“. Er selbst wäre übrigens gern 20 Jahre jünger. Nicht, um weiter zu arbeiten. Sondern um zu erleben, wohin Indien sich noch entwickelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2012)

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