Pannen, wie jetzt beim Dreamliner von Boeing, sind bei neuen Flugzeugen nicht außergewöhnlich. Hightech und neue Materialien erhöhen die Fehlerquote.
Wien/Tokio/Washington. Tausende Gäste, darunter der spanische König Juan-Carlos, harrten in der glühenden Sonne aus: Immerhin galt es, das neue Prestigeprojekt der europäischen Militärluftfahrt zu bestaunen. Am 26.Juni 2008 rollte der Transporter A400M von Airbus aus einem Hangar in Sevilla. Das war's aber auch – bis heute fliegt die Maschine mit den vier riesigen Turboprop-Triebwerken nicht.
So schlimm hat es den Airbus-Rivalen Boeing bei seinem neuesten Zivilprojekt nicht erwischt. Aber ein Albtraum droht der Dreamliner 787 doch zu werden. Die Serie an Pannen, die die US-Luftfahrtbehörde FAA auf den Plan gerufen hat, reißt nicht ab: Am Sonntag wurde an einer Maschine der Japan Airlines, die mit ihrer japanischen Konkurrenz All Nippon Airlines Erstkunde ist, ein Treibstoffleck entdeckt.
Auch wenn die Zwischenfälle, die Tanks, Batterien und Bremsen betrafen, immer glimpflich abliefen und Boeing das Flugzeug als „absolut sicher“ bezeichnet – angenehm sind die negativen Schlagzeilen nicht. Zumal die Amerikaner nicht nur beim A400M, sondern auch beim Airbus A380 nicht mit Häme sparten. Jetzt ist die Schadenfreude aufseiten der Europäer. Fragt sich, wie lange, denn Airbus hat beim A350 auch Zores und liegt schon weit hinter Plan.
Für Luftfahrtexperten sind Pannenserien, wie sie der mit drei Jahren Verspätung im September 2011 ausgelieferte Dreamliner jetzt durchmacht, nichts Außergewöhnliches. Kinderkrankheiten würden den Start von jedem neuen Modell „begleiten“, das sei beim legendären Jumbo von Boeing vor 40 Jahren genauso gewesen wie vor Kurzem beim Riesen-Airbus A380. Schwierigkeiten mit der Verkabelung und den Triebwerken kosteten Airbus nicht nur Prestige und das damalige Airbus-Management die Jobs, der Flugzeugbauer geriet in schwere finanzielle Turbulenzen und musste tausende Arbeitsplätze abbauen.
Neuland für die Ingenieure
Flugzeuge, vor allem die modernen, sind mit neuen Technologien gespickt und bestehen aus neuartigen Materialien. Die Produzenten betreten damit Neuland. Der Rumpf des Dreamliners besteht großteils aus Kohlefaserverbundstoffen, während herkömmliche Flugzeuge aus Aluminium sind. Das senkt das Gewicht und den Treibstoffverbrauch. Außerdem wurden herkömmliche hydraulische Steuerungen durch elektronische Systeme ersetzt. „Es gab nur wenig Vergleichbares, an dem sich die Ingenieure orientieren konnten“, zitiert der „Spiegel“ Gerd Pontius von der Beratungsfirma Prologis.
Trotz jahrelanger Entwicklungsarbeit und hunderter Tests auf dem Boden und in der Luft, in denen ein neues Flugzeug hart an die Belastungsgrenze gebracht wird, tauchen manche Probleme erst im Liniendienst auf. Manchmal sind es winzige Details – auch sie müssen natürlich behoben werden, denn Sicherheit ist oberstes Gebot.
Die Erstkunden sind besonders betroffen, da sie das neue Flugzeug auch als PR-Mittel einsetzen. Wenn der Wundervogel lahmt, ist das besonders peinlich. Immerhin: Wer früh ein neues Modell ordert, kann mit einem saftigen Rabatt rechnen und im schlimmsten Fall auch Schadenersatz fordern.
Für die Produzenten geht es also nicht nur um einen Imageverlust, sondern vor allem um viel Geld: Allein beim Dreamliner werden die Entwicklungskosten auf 14 bis 32 Mrd. Dollar geschätzt – Zahlen gibt der Konzern nicht bekannt. Es heißt, dass die Gewinnschwelle bei rund 1100 Stück liegt. Derzeit hat Boeing knapp über 800Bestellungen. Der Druck, die Krankheiten rasch zu heilen, ist daher enorm. Denn schon steht das übernächste Projekt am Start: die 737Max, die dem Airbus A20neo Paroli bieten soll.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2013)