Venezuela: Kranker Präsident, krankes Land

Kranker Praesident krankes Land
Kranker Praesident krankes Land(c) REUTERS (JORGE SILVA)
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Das Land steht trotz gigantischer Ölreserven vor dem Staatsbankrott. Während der krebskranke Präsident Hugo Chávez in Kuba behandelt wird, werden wirtschaftliche Entscheidungen vertagt.

Es soll ihm besser gehen. In den schwer zu durchdringenden Nachrichtennebeln am Fuß des Monte Ávila hält sich seit Tagen das Gerücht, im Militärhospital von Caracas würden Vorbereitungen für die Heimholung des präsidialen Patienten getroffen. Vizekanzler Nicolás Maduro prophezeite am Wochenende, dass Hugo Chávez eher früher als später nach seiner vierten Krebs-OP in Kuba in sein Heimatland zurückkehren werde. Noch unterziehe sich Chávez seiner „Folgebehandlung“. Noch bleibt Hugo Chávez unsichtbar. Seit dem frühen Morgen des 11. Dezember existiert von ihm kein Foto, kein Video, kein Tondokument, nicht mal eine 140-Zeichen-Meldung über Twitter hat der einst so multimediale Comandante abgesendet.

Während sich die Führungsspitzen der sozialistischen Partei PSUV in Abwesenheit ihres großen Vorsitzenden mühten, die Machtansprüche der unterschiedlichen Strömungen des Chavismus auszubalancieren und gleichzeitig die politische Opposition auszubremsen, wurden zentrale wirtschaftliche Entscheidungen vertagt. Denn im Staat mit den laut OPEC größten nachgewiesenen Ölreserven der Welt fehlen die Dollars.

Damit der geschwächte und in seinen Aktionen limitierte Chávez im Oktober die Wahl gewinnen konnte, wurden Lebensmittel importiert, Wohnungen, Eisenbahnen, Spitäler gebaut. Auch die österreichische Firma Doppelmayr durfte die öffentliche Seilbahn im Osten von Caracas fertigstellen. Zum Jahresabschluss stand jedoch ein Haushaltdefizit von 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in der Bilanz. Die Inflation lag bei 20,1 Prozent.

Der offizielle Wechselkurs des Dollars liegt bei 4,30 Bolivares. In der Praxis muss man 17 Bolivares hinblättern. Offiziell gibt es kaum Möglichkeiten, an die US-Devisen zu gelangen. Schon vor dem Wahltag am 7. Oktober ist das ganze Land davon ausgegangen, dass Chávez nach einem Sieg die Währung wieder abwerten würde. Doch die erneute Erkrankung und die daraus resultierende politische Unsicherheit ließen die Behörden zurückschrecken.

Absoluter Kündigungsschutz. Eine Abwertung würde das Haushaltsdefizit senken und der Regierung die Möglichkeit geben, ihre Bau- und Sozialprogramme ohne grobe Streichungen weiterzuführen. Aber eine Schwächung des Bolivar würde die Inflation weiter anheizen, was sich gewiss auf die Lebenshaltungskosten der meisten Wähler der Regierung Chávez auswirken würde. In der politisch delikaten Lage des Landes, dessen Verfassung Neuwahlen binnen 30 Tagen nach dem Ausfall eines Präsidenten vorschreibt, will sich Vizepräsident Maduro nicht auf den unpopulären Schnitt einlassen.

Die erste Maßnahme des Vizepräsidenten war die Fortschreibung des fast absoluten Kündigungsschutzes der Arbeitnehmer für das Jahr 2013. Als Chávez 1998 erstmals gewählt wurde, gab es 600.000 Privatbetriebe, heute sind es 108.000 weniger. Der Staat übernahm die Funktion des Arbeitgebers für Millionen von Menschen, die Geld beziehen, ohne viel zu tun zu haben. Die staatlichen Beschäftigungsprogramme verschlingen Milliarden, die einzig aus den Öleinnahmen stammen. Das funktionierte bis 2008, ehe die Finanzkrise den Preis des venezolanischen Erdöls auf 40 Dollar pro Fass schrumpfen ließ.

Auch wenn der Ölpreis seither wieder gestiegen ist, reichen die Exporterlöse der staatlichen Gesellschaft PDVSA nicht mehr aus, um die Staatsausgaben zu finanzieren. Das liegt daran, dass die Ölförderung Venezuelas ständig sinkt. Seitdem 2003 etwa 18.000 politisch nicht zuverlässige Mitarbeiter der Ölgesellschaft entlassen wurden, verdreckten und versandeten viele Bohrlöcher. Während die Belegschaft der Ölgesellschaft von 20.000 auf 121.000 Mitarbeiter stieg, wurde immer weniger investiert. Nach Angaben der britischen Ölfirma BP sank die Fördermenge Venezuelas seit Chávez' Amtsantritt von 3,1 auf 2,7 Millionen Fass pro Tag.

PDVSA, die viertgrößte Ölgesellschaft der Welt, brachte dem venezolanischen Fiskus 2011 etwa 17,4 Milliarden Dollar aus Steuern, Royalties und Dividenden ein. Gleichzeitig flossen laut „Financial Times“ etwa 30 Milliarden in Sozialprogramme und auch in obskure staatliche Off-Shore-Fonds.

Als Hugo Chávez 1999 das Land übernahm, hatte es 31 Milliarden Dollar Schulden. Nach Berechnungen des ehemaligen Zentralbankdirektors José Guerra summieren sich die Verpflichtungen auf 216 Milliarden Dollar. Venezuela muss zwölf Prozent Zinsen zahlen, um auf den Finanzmärkten Kredit zu bekommen. Andere linksregierte Staaten wie Bolivien oder Uruguay können sich zu vier Prozent finanzieren.

Hilfe bekam Chávez allein aus Peking. Seit 2007 überwies China etwa 42,5 Milliarden Dollars an Venezuela, hat der Businessdienst Bloomberg errechnet. Bezahlt wird diese Bruderhilfe vor allem mit Erdöl zum Vorzugspreis.


Tankfüllung um einen Euro.
Auch leistet sich Venezuela die niedrigsten Benzinpreise der Welt. Eine Tankfüllung kostet zwischen einem und zwei Euro. Das verschlingt staatliche Subventionen von 15 Milliarden Dollar. Tendenz steigend, denn die Venezolaner lieben Geländewagen. Nachdem im August mehrere Tanks in der größten Raffinerie des Landes explodiert sind, muss Venezuela Benzin aus den USA importieren.

All das war bekannt, als 54 Prozent der Venezolaner am 7. Oktober ihre Stimme für Chávez abgaben. Am 16. Dezember – fünf Tage nach Chávez‘ komplizierter OP – gewannen chavistische Kandidaten 20 von 23 Gouverneursposten. Würde Chávez sterben oder aus Gesundheitsgründen auf sein Amt verzichten, könnten die Chavisten mit einer noch größeren Mehrheit rechnen. Doch davon spricht keiner der Diodochen öffentlich, sie alle hoffen auf ein medizinisches Wunder. Und auf ein ökonomisches wohl auch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2013)

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