IWF-Studie: China ist 2025 kein Billigland mehr

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Immer weniger Chinesen wollen schmutzige Jobs in Fabriken. Kombiniert mit dem Geburtenrückgang kündet das eine Zeitenwende an. Dies wird auch Auswirkungen auf die wichtigsten Handelspartner Chinas haben.

Washington. Eine neue Untersuchung zweier Ökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF) kommt zu dem Ergebnis, dass das chinesische Wirtschaftsmodell am Ende dieses Jahrzehntes keine Grundlage mehr haben wird. Spätestens im Jahr 2025, möglicherweise aber schon fünf Jahre früher, werde es nicht mehr genügend Chinesen geben, die für Billiglöhne in Fabriken, auf Baustellen und in Bergwerken arbeiten. Die Löhne werden dann so stark gestiegen sein, dass China nicht mehr als günstige Werkbank der Welt wird reüssieren können. Das werde Auswirkungen auf die Preise und Löhne bei den wichtigsten Handelspartnern Chinas haben, fügen die Autoren hinzu.

„China steht an der Schwelle einer demografischen Wende, die tief greifende Folgen für seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Landschaft haben wird“, halten Mitali Das und Papa N'Diaye aus der Asien-Abteilung des IWF am Anfang ihrer Studie fest. „In wenigen Jahren wird die arbeitsfähige Bevölkerung ihren Höhepunkt erreichen, und dann einen steilen Rückgang hinlegen.“ Chinas Wirtschaft werde dann den Punkt erreichen, an dem sie nicht mehr auf eine riesige Menge von billigen Arbeitern zurückgreifen kann, sondern den Arbeitskräftemangel bewältigen muss. „Das Überschreiten dieser Schwelle wird weitreichende Folgen sowohl für China als auch für den Rest der Welt haben.“

Zahl der Industriearbeiter stagniert schon

Die Studienautoren legen ihren Berechnungen die Bevölkerungsstatistik der UNO zugrunde. Sie zeigt, dass die Zahl der arbeitsfähigen Chinesen (typischerweise nimmt man dafür die Zahl der 15- bis 64-Jährigen) rund um das Jahr 2020 zu sinken beginnen wird. Diese Prognose ist sicher, denn diese Menschen sind schon geboren.

Doch nach Einschätzung der beiden IWF-Forscher unterspielt dieser Ausblick die tatsächlichen Auswirkungen der Alterung von Chinas Bevölkerung auf den Arbeitsmarkt. Denn die meisten Beschäftigten in der Industrie sind weder Teenager noch angehende Senioren, sondern zwischen 20 und 39 Jahre alt. Dieser Teil der Bevölkerung wächst schon seit drei Jahren nicht mehr.

Im Gleichschritt mit dieser Entwicklung nimmt die Zahl der Chinesen rasant zu, die jünger als 15 oder älter als 64 Jahre sind und von der werktätigen Bevölkerung versorgt werden müssen. Seit 1975 war diese Zahl als Folge der Ein-Kind-Politik stetig gesunken. Doch seit 2010 sinkt die Betreuungsrate nicht mehr, sondern steigt. Das ist die Folge derselben Ein-Kind-Politik: Wer keine Geschwister hat, kann die Versorgung und Pflege seiner greisen Eltern mit niemandem teilen. Darum werden rund um das Jahr 2035 in China im statistischen Mittel wieder zwei Werktätige einen nicht Werktätigen versorgen müssen.

Paradoxe Arbeitslosenstatistik

Die Studienautoren geben zu bedenken, dass dieser Trend nur unwesentlich verlangsamt werden kann: „Die Demografie wird die treibende Kraft hinter der Verringerung der Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte sein.“ Derzeit steigen die Löhne zwar noch, aber das sei vor allem auf die Entscheidung der kommunistischen Staatsführung zurückzuführen, Mindestlöhne einzuführen, um den Privatkonsum anzutreiben und so sozialen Unruhen entgegenzuwirken.

Die chinesischen Politiker könnten diesen Trend zumindest dämpfen. Eine Reform des Meldewesens, das derzeit Wanderarbeitern die Niederlassung in den Städten erschwert, könne den Zustrom von Landbewohnern in die Industriebetriebe stützen. Ebenso sei es ratsam, besagte Landmenschen besser auszubilden, damit sie besser auf die Anforderungen einer zusehends anspruchsvollen industriellen Arbeitswelt vorbereitet sind; auch das würde den nahenden Arbeitskräftemangel dämpfen helfen.

Doch den Wandel der persönlichen Lebenswünsche der Jugend kann das Zentralkomitee in Peking kaum beeinflussen. Immer weniger junge Chinesen wollen schmutzige Arbeit leisten; sie träumen von Bürojobs in Banken oder der staatlichen Verwaltung. Das ist der Grund für die paradoxe Arbeitslosenstatistik, wie sie die Universität von Chengdu erhoben hat: 4,2 Prozent der 21- bis 25-Jährigen Chinesen mit schlechter oder fehlender Ausbildung sind arbeitslos – doch 16,4 Prozent derer mit Hochschuldiplom. Und so gibt es in China heute elfmal so viele arbeitslose Studenten und Akademiker wie 1989 vor den damaligen Unruhen, gab die „New York Times“ unlängst in einer Analyse zu bedenken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2013)

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