Europa steckt mitten im "verlorenen Jahrzehnt"

(c) EPA (Robert Ghement)
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Selbst wenn die optimistischen Prognosen für die Eurozone halten, sei ein echter Aufschwung in Osteuropa sehr fraglich, schreiben die Ökonomen des WIIW in ihrem aktuellen Bericht. Die westlichen Banken reagieren - und kürzen ihre Bilanzen in den einstigen Boomländern stark.

Wien/Auer. Die Aussichten, die das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) für die osteuropäischen Länder bereithält, sind alles andere als gut. Nur schleppend finden die einstigen Boomstaaten aus der Rezession. Jene Wachstumsraten, die westliche Banken bis zum Krisenjahr 2008 in die Region gelockt haben, sucht man in der am Donnerstag vorgestellten Wirtschaftsprognose für die Jahre von 2013 bis 2015 daher vergebens. Und das, obwohl die WIIW-Ökonomen schon eine besonders freundliche Sicht der Dinge präsentieren.

Denn als Grundlage für die Wachstumsschätzungen der mittelosteuropäischen Länder verlässt sich das Institut auf die internationalen Prognosen für die Eurozone, den wichtigsten Handelspartner für die osteuropäischen Unternehmen. Und diese Schätzungen sehen verdächtig optimistisch aus, lässt WIIW-Chef Michael Landesmann durchblicken. Das von der EU-Kommission für heuer erwartete Minus von 0,6 Prozent könne man noch nachvollziehen, aber den für 2014 und 2015 prognostizierten Aufschwung sehe man „sehr skeptisch“. Tatsächlich stecke Europa wirtschaftlich mitten in einer „verlorenen Dekade“, sagte Landesmann. Frühestens im Jahr 2017 würden die 17 Länder der Eurozone wieder die Wirtschaftsleistung von 2008 erreichen.

„Nichts Positives zu berichten“

Grund dafür sei, ähnlich wie in Japan, die nicht aufgearbeitete Bankenkrise. Die notwendigen Konsolidierungen in diesem Bereich seien umgangen worden. Die Reformbemühungen der Politik seien zu zaghaft und – in den Augen der Ökonomen – nicht immer richtig fokussiert. Mit Steuererhöhungen auf der einen und Ausgabensenkungen auf der anderen Seite nehme die Eurozone das Wirtschaftswachstum gleich von zwei Seiten in die Mangel, kommentierte WIIW-Ökonom Wladimir Gligorov. Die Hoffnung, dass sich Westeuropa aus der Krise exportieren könne, teilt das Institut nicht.

Entsprechend düster sind die Zukunftsaussichten auch für die osteuropäischen Länder. „Es gibt nichts Positives zu berichten“, brachte Vassily Astrov den 150 Seiten dicken Bericht auf den Punkt. Zwar würden heuer bis auf Kroatien und Slowenien alle Länder in der Region wieder aus der Rezession finden – im Vorjahr schrumpfte die Wirtschaftsleistung in jedem zweiten Staat. Aber mehr als eine Stagnation knapp über der Nulllinie werde man nur in Ausnahmefällen sehen.

Besonders gut aufgestellt sind hier all jene Länder, die in ihren Exporten nicht so stark von der Nachfrage aus der Eurozone abhängig sind. Allen voran die baltischen Länder, Türkei oder Russland. Am anderen Ende der Liste finden sich eben Kroatien und Slowenien. Auch Polen und die Slowakei würden deutlich langsamer wachsen. In Summe wird sich das Wirtschaftswachstum der zehn neuen EU-Mitgliedsländer heuer bei 1,2 Prozent einpendeln. Um die stark gestiegene Arbeitslosenquote in der Region wieder zu verringern, wäre aber zumindest ein Plus von drei Prozent notwendig. Das erreichen die Länder frühestens 2015 – wenn die optimistischen Prognosen für die Eurozone stimmen.

Kaum Chance auf Binnennachfrage

Die westlichen Kreditinstitute haben bereits reagiert und ihre Bilanzsummen in den Ländern teils drastisch gekürzt. Bestehende Kredite werden zurückgezahlt. Neue Darlehen werden derzeit kaum vergeben. Besonders stark betroffen seien Rumänien, Slowenien und Ungarn, während Länder wie Polen, Slowakei und Tschechien weitgehend stabil geblieben sind. Großes Interesse an neuen Krediten zeigen die Unternehmen der Region aber ohnedies nicht.

Damit bleibt Osteuropa wieder nicht viel mehr, als auf Nachfrage aus dem Westen zu warten. Denn in der Region wird die notwendige Kaufkraft angesichts hoher Arbeitslosigkeit und schwacher Kreditvergabe nicht so bald entstehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2013)

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