Das Euro-Rätsel: Reicher Süden, armer Norden?

(c) Erwin Wodicka - wodicka@aon.at (Erwin Wodicka)
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In Krisenstaaten wie Spanien oder Italien haben die privaten Haushalte mehr Vermögen als in Österreich oder Deutschland. Der wichtigste Grund: Sie besitzen Wohnungen, statt sie zu mieten.

Berlin. Die Deutsche Bundesbank hat soeben eine Studie veröffentlicht, die den meisten Nichtökonomen Kopfzerbrechen bereiten dürfte. In Befragungen fanden die Statistiker heraus, wie viel Vermögen die deutschen Privathaushalte im Mittel haben. Die Zahlen stellten sie neben Daten der Europäischen Zentralbank für die Eurozone. Das Ergebnis kann auf den ersten Blick verblüffen: Die Deutschen, aber auch die Österreicher haben im Mittel weit weniger Vermögen als Spanier, Italiener oder Franzosen (siehe Grafik). Sollten die Bürger in den Euro-Krisenstaaten in Wirklichkeit viel reicher sein als jene hierzulande?

Ermittelt wurde korrekterweise das Nettovermögen nach Abzug der Schulden. Etwas klarer sieht man, wenn man Deutschland in West und Ost unterteilt. Die Wiedervereinigung drückt weiterhin das mittlere Vermögen der Deutschen. Zwischen der alten BRD und Österreich liegen die Werte sehr ähnlich, was plausibel erscheint.

Soziale Sicherheit, Vermögen der Armen

Ein weiterer Schritt zur Klärung: Im europaweiten Vergleich werden zwar Haus, Auto und Konto zum Vermögen gerechnet, nicht aber Ansprüche aus der gesetzlichen Pension und anderen Sozialversicherungen. Bei ärmeren Haushalten sind sie oft der größte Teil des Vermögens. Je enger die sozialen Netze geknüpft sind, desto weniger müssen die Bürger für den Notfall oder das Alter privat sparen. In Südeuropa, wo der Sozialstaat weniger stark ausgebaut ist, sind sie eher gezwungen, anderes Vermögen aufzubauen.

Im Übrigen ist es für den Wohlstand der Bürger auch relevant, wie vermögend oder verschuldet der Staat ist, und hier schneiden Euro-Krisenstaaten naturgemäß schlechter ab. Nur: Diese Aspekte erklären ein wenig, aber bei Weitem nicht alles.

Stimmt etwas mit dem Mittelwert nicht? Verwendet wurde der Median. Dieser Wert teilt die Zahl der Haushalte in zwei Hälften: in jene, die mehr, und jene, die weniger verdienen. Nimmt man stattdessen den Durchschnitt (also einfach die Summe der Vermögen durch die Zahl der Haushalte), nähern sich die Deutschen mit 195.000 Euro den anderen an, und Österreich liegt dann mit 265.000 Euro zwischen Spanien (285.000 Euro) und Frankreich (229.300 Euro).

Allerdings bildet der Median die Vermögenssituation eines typischen mittleren Haushalts besser ab als der rechnerische Durchschnitt. Dieser wird durch die wenigen besonders reichen Haushalte nach oben getrieben und dadurch verzerrt. Der Unterschied beim Vergleich der Ergebnisse könnte zur Annahme verleiten, in Österreich und Deutschland seien die Vermögen besonders ungleich verteilt. Das ist aber nicht der Fall. Das Rätsel bleibt also bestehen.

Einkommen relevanter als Vermögen

Seine Lösung liegt im Eigentum von Immobilien. Wo es vorhanden ist, bildet es in der Mittelschicht den bei Weitem wichtigsten Vermögensposten. Im Median-Vermögen der typischen Spanier, Italiener und Franzosen ist eine Wohnung enthalten, die als Hauptwohnsitz dient. Nicht so in Österreich und Deutschland – Ländern der Mieter.

Dass es hier ein so breites Angebot an Mietwohnungen gibt, ist auch eine Folge der Wohnbaupolitik der Nachkriegszeit. In romanischen Ländern hingegen hat es Tradition, dass man sich eine Wohnung kauft oder ein Haus baut – und das schon in jüngeren Jahren, wenn man für einen Teil des Kaufpreises Schulden aufnehmen muss. Jüngere Menschen sind dadurch weniger mobil. Zinsen und Tilgung für die Hypothekarkredite drücken das verfügbare Einkommen in ähnlicher Form wie eine Miete.

Allgemein lässt sich sagen: Wer mehr Vermögen hat, hat deshalb nicht automatisch mehr Geld zum Ausgeben – wenn er in seiner eigenen Immobilie wohnt, Grund und Boden wenig abwerfen oder die Zinsen auf Erspartes kaum die Inflationsrate abdecken. Das Fazit, auf das auch die Bundesbank hinweist: Für Vergleiche, wo die Menschen wie wohlhabend sind, ist das Vermögen „nur von eingeschränkter Relevanz“.

Viel aussagekräftiger sind die „Konsummöglichkeiten über die Zeit“, also die übers Leben aufsummierten Einkommen. Das erklärt auch, wie die Schere zwischen Reich und Arm gemessen wird. Intuitiv scheint dafür die ungleiche Verteilung der Vermögen relevanter zu sein als jene der Einkommen. Die übliche Maßzahl, der Gini-Koeffizient, wird für beides berechnet. Tatsächlich zwischen den Ländern verglichen wird aber fast immer der Gini-Koeffizient des Einkommens – wie sich zeigt, aus gutem Grund.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2013)

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