USA: Eine Wirtschaftsweltmacht ist zurück

Eine Wirtschaftsweltmacht zurueck
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Billiges Geld, billige Energie und billige Arbeitskräfte sorgen in den USA für ein Comeback der Industrie. Europa blickt neidisch über den Atlantik. Kopieren kann es das amerikanische Modell aber nicht.

Wien. Henry Ford hätte seine Freude gehabt. Nach viereinhalb Jahren Krise geht es wieder aufwärts mit den Kindern des Urvaters der modernen Industrie. Zum Jahreswechsel verkaufte der von ihm gegründete US-Automobilkonzern Ford Motor Company erstmals wieder so viele Autos in den USA wie 2006. Dem Land geht es ähnlich. Zwar läuft die weltgrößte Volkswirtschaft noch nicht auf vollen Touren, die Arbeitslosigkeit ist unverändert hoch. Doch der Aufschwung ist bereits deutlich sichtbar.

Die US-Börsen haben ihre Höchststände eingestellt, acht der zehn größten Konzerne sind amerikanisch und die US-Industrie erlebt ein Comeback. In den ersten drei Monaten des Jahres legte die US-Wirtschaft um 2,5 Prozent zu. Und auch wenn sich Politiker und Ökonomen davon enttäuscht zeigten, Europa kann von solchen Wachstumsraten nur träumen. Genaue Konjunkturdaten gibt es aus der EU noch nicht. Die Industrieproduktion im Euroraum fiel im April allerdings schon den 15. Monat in Folge. Wirtschaftlich wird Europa heuer um die Nulllinie taumeln.

Das wirft die Frage auf: Was macht Amerika besser als Europa? Und kann der Alte Kontinent dem Beispiel der USA folgen?

Wachstum auf Pump?

Teil eins des Aufschwungs übernimmt die Notenpresse. Fed-Chef Ben Bernanke hält die Zinsen seit Jahren auf Rekordtief und flutet den Markt mit billigem Geld, um die Wirtschaft anzukurbeln. Hier stehen die Europäer den USA allerdings nicht um viel nach. Auch EZB-Chef Mario Draghi wird am heutigen Donnerstag die Zinsen wohl im Keller halten. Erleben die USA also nur eine Erholung auf Pump? Rechnet man Staat, Unternehmen und Private zusammen, hat sich am Schuldenstand seit dem Höhepunkt des Booms tatsächlich wenig geändert. Er liegt mit 225 Prozent der Wirtschaftsleistung unverändert hoch. Dennoch ist die Notenpresse nicht der Hauptgrund für den Aufschwung.

Die USA erleben (noch) keine Neuauflage eines von Konsumkrediten befeuerten Booms. Auch der Staat lässt als Investor weitgehend aus. Es sind die Unternehmen, die investieren und die Wirtschaft vorantreiben. Erstmals seit den 1970er-Jahren ist die US-Industrie wieder im Aufwind. Damals sorgten Amerikas Industriebetriebe noch für ein Drittel der US-Wirtschaft. Mit dem Aufschwung der Finanzindustrie unter Ronald Reagan verlor der Sektor sukzessive an Bedeutung. Nach der Jahrtausendwende verschwanden sechs Millionen US-Industriejobs in Richtung China. Jetzt kommen sie langsam zurück: Apple hat angekündigt, seine Mac minis künftig in den USA bauen zu wollen, der taiwanesische Elektronikkonzern Foxconn investiert hier und auch der heimische Stahlkonzern Voestalpine baut um eine halbe Milliarde Euro ein Werk in Texas.

Unternehmen aus aller Welt tragen ihr Geld nach Nordamerika, angelockt von billiger Energie und niedrigen Löhnen. Industriearbeiter sind in den USA inklusive Nebenkosten um 35 Dollar die Stunde zu haben, im von hoher Arbeitslosigkeit geprägten Süden sogar um 25 Dollar. In Europa kosten sie 45 Dollar. Gleichzeitig mit dem Sinken der Löhne in den USA sind jene in China sprunghaft gestiegen. Mussten Industriebetriebe 1995 Arbeitern in Amerika noch 40-mal so viel bezahlen wie in China, so ist es heute nur noch das Achtfache. Angesichts der höheren Produktivität der US-Arbeiter löst sich der Vorteil von Werken in Asien so langsam in Luft auf.

Der zweite große Grund für die Rückkehr der Industrie in die USA ist die billige Energie, eine Folge des Schiefergasbooms. Binnen wenigen Jahren hat das Land einen Weg gefunden, Gas und Öl mittels chemischer Substanzen aus tief liegendem Schiefergestein zu lösen („Fracking“). Heute kostet Erdgas in den USA ein Drittel dessen, was Betriebe in Europa bezahlen. So kommt es, dass die US-Produktion steigt, während Europas Industrie in der Krise steckt (siehe Grafik).

Europa ruft nun nach Reindustrialisierung

Kein Wunder, dass der alte Kontinent neidisch über den Atlantik blickt. „Europa muss sich reindustrialisieren“, fordert der zuständige EU-Kommissar Antonio Tajani. Die Frage ist nur wie. Denn Europa ist hin- und hergerissen zwischen Schuldenkrise, Klimazielen und Energiewende. Viel Zeit, sich um die Industrie zu kümmern, bleibt da nicht. Kopieren kann Europa das US-Modell ohnedies nicht, sagt Patrick Artus, Chefökonom der französischen Investmentbank Natixis. Von einer Senkung der Lohnstückkosten ist Europa weit entfernt. Länder wie Griechenland machen zwar Fortschritte. In Frankreich oder Italien bleiben die Kosten aber unverändert hoch. Und das Thema Energie? Immerhin schlummert auch in Europa Schiefergas unter der Erde. Auch hier stehen die Chancen schlecht. Der Einfluss der Umweltschützer ist in Europa größer, sodass mit der Ausbeutung der Schiefergasvorräte gar nicht begonnen wird. Doch selbst, wenn die Europäer den Schatz heben dürften, würden sie enttäuscht. Denn die Vorräte sind kleiner als in den USA und lagern doppelt so tief unter der Erde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2013)

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