„Carmageddon“: Wer kauft noch ein neues Auto?

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In Europa werden so wenige Autos verkauft wie zuletzt vor 17 Jahren. Der Markt wird weiter schrumpfen, zehntausende Arbeitsplätze sind gefährdet – und einige Automobilhersteller.

Wien. Früher, erzählt F., habe ihr Mann alle fünf Jahre auf ein neues Auto bestanden. Heuer wird diese Frist erstmals verstreichen. „Die Autos sind einfach zu teuer und der Wertverfall zu groß“, erklärt F. Bei A. ist es ähnlich: Er hat sich vor drei Jahren ein neues Auto gekauft, „zu Superkonditionen“. Und das will er jetzt fahren, „bis es auseinanderbricht“. R. wiederum kauft sich „aus Überzeugung“ nur gebrauchte Autos.

Die drei sind mit ein Grund dafür, dass der europäischen Autoindustrie ein „Carmageddon“ bevorsteht, wie es Analysten von JP Morgan in einem Bericht formulierten (das Wort setzt sich aus Armageddon und „cars“ zusammen). In Europa werden so wenige neue Autos verkauft wie seit 17 Jahren nicht mehr. 2012 waren es zwölf Millionen, so wenig wie zuletzt 1995. Das waren noch einmal um 8,2 Prozent weniger Pkw als im ohnehin schon mageren 2011. Und auch wenn es im Vormonat wieder ein kleines Hoch gab, 2013 dürften die Verkäufe nach Einschätzung von Analysten noch einmal weiter zurückgehen: laut „Center of Automotive Management“ an der Wirtschafts-Fachhochschule in Bergisch Gladbach auf 11,4 Millionen.

In Europa ist der Markt gesättigt

Die Gründe für die massiven Rückgänge sind vielfältig. Hauptursache ist die Wirtschaftskrise. „Ein Auto ist für viele Menschen die größte Ausgabe, die sie tätigen können. Viele haben das Geld nicht oder wollen es in dieser unsicheren Zeit nicht ausgeben“, erklärt Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Center Automotive Research (CAR) an der Universität Duisburg-Essen.

Die Verschrottungsprämie, die Regierungen in der Krisenzeit bei Autoneukäufen gewährten (in Österreich waren es 1500 Euro), führte dazu, dass viele Menschen früher als geplant ein neues Auto kauften. Später motivierte die hohe Inflation und die Diskussion über den Wertverfall zum Autokauf. Mittlerweile sei der Markt in Europa gesättigt, befindet Dudenhöffer. Auf 1000 Einwohner kommen in Westeuropa etwa 500 Pkw.

Aber auch das Fahrverhalten der Menschen in den Ballungszentren und den „Speckgürteln“ trägt zu dem Strukturwandel bei. Das Autofahren sei durch Beschränkungen und Verteuerungen etwa von Parkplätzen verleidet worden. Durch den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel sei es auch nicht mehr so wichtig, ein zweites Auto oder überhaupt ein Auto zu besitzen. Und wenn man einmal ein Fahrzeug benötige, gebe es mittlerweile ein akzeptables Angebot durch Carsharing-Unternehmen.

Die Kombination aus all diesen Faktoren hat für die europäische Autoindustrie, vor allem aber für die etwa sieben Millionen Menschen, die bei den Fahrzeugherstellern und den Zulieferbetrieben arbeiten, verheerende Konsequenzen. Seit 2007 wurden bereits 800.000 Arbeitsplätze abgebaut. Die Prognosen, wie viele Jobs noch gestrichen werden, schwanken massiv: Die Angaben reichen von 500.000 allein bei den Zulieferern bis weit über eine Million. Die bisherigen Rückgänge bei den Autoverkäufen entsprechen etwa der Jahresproduktion von zwölf Werken. Die Industrie hat in der Vergangenheit bereits vorgebaut und setzt zunehmend auf Zeitarbeiter: Etwa 1,5 Millionen der sieben Millionen Beschäftigten sind leicht kündbare Arbeitnehmer. „Die Autoindustrie“, meint Dudenhöffer, „steht vor ihrer größten Belastungsprobe seit dem Zweiten Weltkrieg.“

Hoffnungsmarkt China

In Europa, wohlgemerkt. In Asien, allen voran China und Indien, gehen die Autoverkäufe stetig nach oben. Gerade China gilt als Hoffnungsmarkt für die angeschlagene Industrie, dort kommen derzeit auf 1000 Menschen lediglich 37 Pkw. Punkten können dort aber nur jene europäischen Firmen, die auf ein weltweites Image setzten: BMW, Audi, VW, Porsche. Schwierig wird es für jene Hersteller, die vornehmlich in Europa oder nur national Autos verkaufen: Fiat, Peugeot, Citroën, Renault, Opel, Seat. Peugeot Citroën schrieb 2012 einen Verlust von fünf Milliarden Euro. Ein Großteil sind zwar Abschreibungen, die Tendenz aber ist klar: Der Konzernumsatz ging um fünf Prozent auf 55,4 Milliarden Euro zurück. Jetzt wird ein Werk nahe Paris geschlossen und 14.000 Mitarbeiter entlassen.

Die seit Jahren im Todeskampf liegende GM-Tochter Opel schließt nach Antwerpen auch das Traditionswerk in Bochum. Es wird zweifellos nicht genügen, um den operativen Verlust von 1,3 Milliarden Euro aus dem Jahr 2012 abzufedern.

Für potenzielle Autokäufer aber stehen laut JP Morgan gute Zeiten vor der Tür. Weil Angebot und Nachfrage weit auseinanderklaffen, „erwarten wir, dass Europa das größte Schlachtfeld für Kaufanreize bleiben wird“. Da geht sich für Fs. Ehemann vielleicht doch noch ein neuer VW Sharan aus.

In Zahlen

12

Millionen.
So viele Autos wurden im Jahr 2012 in Europa verkauft. So wenige wie zuletzt vor 17 Jahren.

500

Pkw
kommen in Europa auf 1000 Einwohner. Der Markt ist gesättigt. In China sind es 37 Pkw pro 1000 Einwohner.

27

Prozent.
Anzahl der Wege in Wien, die mit einem Pkw zurückgelegt werden. Ein historischer Tiefstand.

25 bis 30

Jahre
beträgt das Durchschnittsalter in den Wiener Fahrschulen. Es liegt deutlich über dem Schnitt in den Bundesländern, wo der Führerschein oft bereits mit 17 Jahren gemacht wird.

389,6

Autos
kommen auf 1000 Einwohner in Wien. Die Bundeshauptstadt ist damit Schlusslicht in Österreich. 1970 lag Wien bei den Autobesitzern noch an erster Stelle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2013)

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