Felderer: "Wir können nur bei Sozialausgaben sparen"

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Bernhard Felderer, Vorsitzender des Staatsschuldenausschusses, über die unbewältigte Krise, die Intransparenz der Länderfinanzen, den Reformstau und die Kreativität der Steuererfinder.

Die Presse: Krise, so weit das Auge reicht. Ist eigentlich ein Ende in Sicht?

Bernhard Felderer: Wir sind mittendrin, wir haben sie noch lange nicht hinter uns. Wir sehen es ja auch an der Stimmung in Österreich. Die ist schlechter geworden. Nicht so dramatisch wie in Südeuropa. Aber es zeigt, dass wir noch lange nicht aus der Krise heraußen sind.

Wie lange wird sie noch dauern?

Mein Gott, jetzt haben wir sechs Jahre hinter uns, warum nicht noch vier Jahre.

Und was raten uns die Ökonomen?

Die meisten Ökonomen in Europa sind leider damit beschäftigt, neue Steuern zu finden. Das ist ja mittlerweile deren größtes Hobby geworden. Vermögensteuern sind da geradezu ideal. „Beat the rich“, lautet das Motto.

Die Finanztransaktionssteuer dürfen Sie nicht vergessen.

Ich halte gar nichts davon. Aber es ist halt eine attraktive Steuer, weil ja keiner weiß, wer sie am Ende bezahlt. Deshalb regt sich auch niemand auf.

Argumentiert wird sie ja als Mittel zur Spekulationsbekämpfung.

Ich glaube, sie ist einzig und alleine deshalb erfunden worden, weil die Staaten Steuereinnahmen brauchen. EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso hat ehrlich zugegeben: „Wir brauchen Einnahmen.“

Lassen sich die über bestehende Steuern nicht mehr generieren?

Bei der Einkommensteuer sind wir Weltmeister. Und wenn wir die Unternehmenssteuern noch mehr erhöhen, laufen uns die Unternehmen davon. Deshalb gilt so eine Transaktionssteuer wohl als tolle Sache.

Bei den Staatsausgaben zu sparen ist keine attraktive Alternative?

Das funktioniert nicht so kurzfristig. Es braucht Zeit, wenn wir in Österreich etwa das komplizierte Bund-Länder-Verhältnis vereinfachen wollen. Indem wir beispielsweise den Ländern mehr Autonomie geben, damit sie Sparsamkeit lernen.

Oder den Sozialstaat reformieren?

Das Gesundheits- und Sozialwesen ist natürlich der größte Kostentreiber. Die hohe Staatsquote resultiert nicht vom Zentralstaat, sondern von dessen Sozialausgaben. Wenn wir sparen wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als bei den Sozialausgaben zu sparen. Dass das geht, zeigt Schweden vor. Die haben es geschafft.

Wollen wir in Österreich wirklich bei den Kranken sparen?

Nein. Aber uns muss klar sein, dass das immer mehr Geld kostet. Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass das Gesundheitswesen mehr kosten wird. Deshalb müssen wir in anderen Bereichen noch stärker auf die Kosten achten. Etwa bei der Pensionsversicherung. Wenn wir das faktische Pensionsantrittsalter um fünf Jahre anheben könnten, hätten wir kein Problem mehr. Dann hätten wir Mittel für das Gesundheitswesen frei.

Ist das realpolitisch gesehen nicht ein unrealisierbarer Wunschtraum?

Das Pensionsantrittsalter in Österreich ist wirklich unglaublich. Wenn Sie sich international umschauen, geht es überall rasch nach oben. Und wir machen eigentlich fast gar nichts. Jedenfalls nicht mehr vor der Wahl. Das ist sicher ein Bereich, in dem die Politik zu populistisch vorgeht. Dass wir nicht mehr lange so weitermachen können, ist unbestritten. Das ist keine neoliberale Position.

Wissen Sie als Vorsitzender des Staatsschuldenausschusses eigentlich exakt, wie hoch die Verschuldung der Länder und Gemeinden inklusive Ausgliederungen ist?

Die Ausgliederungen sind nach wie vor ein Bereich, den wir nicht gänzlich durchschauen. Es gibt jetzt zum ersten Mal eine umfassende Datensammlung. Doch die Statistik Austria rückt sie nicht heraus. Wir wollten sie sehen, bekommen sie aber nicht.

Das heißt, dem Staatsschuldenausschuss werden Daten über die Staatsschulden vorenthalten? Klingt etwas merkwürdig.

Das ist auch merkwürdig. Das ist halt typisch österreichisch.

Wie verträgt sich das mit den Lippenbekenntissen zu mehr Transparenz?

Es ist nicht so, dass wir überhaupt keine Ahnung haben. Es gibt natürlich Berechnungsmethoden. Aber die exakten Daten liegen nicht auf dem Tisch.

Es ist schwierig, einen Staat mit einem Konzern zu vergleichen. Aber dass ein Konzern nicht weiß, was in seiner Tochtergesellschaft vorgeht, kann man sich wohl schwer vorstellen.

Sie haben recht. Aber die Kenntnis darüber, was in einem Bundesland passiert, hält sich in Grenzen. Die Zahlen, die wir bekommen, sind immer veraltet.

Hauptsache, wir haben Amtsgeheimnisse, wenn es um Bienen geht.

Das ist halt so. Es gibt in vielen Bereichen wenig Einblick. Besonders heikel wird das, wenn diese Bundesländer große Fonds managen, etwa in Niederösterreich oder Kärnten. Die machen Bankgeschäfte und müssten eigentlich wie alle Banken regelmäßig geprüft werden.

Das heißt, Niederösterreich ist etwa für seine Wohnbaufonds niemandem Rechenschaft schuldig?

Sie werden vom Bundes- und Landesrechnungshof geprüft. Aber spätestens das Beispiel Salzburg, wo 1,8 Milliarden Euro Steuergeld riskiert wurden, zeigt, dass das zu wenig ist. Da muss eine fachliche Kontrolle stattfinden. Das sollte meiner Meinung nach die Bankenaufsicht machen.

Sind Sie für ein Spekulationsverbot der öffentlichen Hand?

Ich glaube schon, dass wir ein diesbezügliches Gesetz brauchen. Dass Bundesländer weiterhin mit Steuergeld auf diese Art spekulieren, ist nicht zu verantworten. Wir wissen ja nicht einmal, ob in einigen Ländern oder Gemeinden noch irgendwelche Verluste schlummern.

Ist exakt definiert, was Spekulation ist?

Nicht jedes Derivativgeschäft ist Spekulation. Es gibt auch Absicherungsgeschäfte, die der Realwirtschaft nützen.

Auf einen Blick

Bernhard Felderer (73) ist Präsident des österreichischen Staatsschuldenausschusses. Er zählt zu den bedeutendsten Ökonomen des Landes und beriet Regierungen und Ministerien in Österreich und Deutschland. Von 1991 bis 2012 leitete der gebürtige Klagenfurter das Institut für Höhere Studien in Wien. Bis vor Kurzem war er auch Mitglied des Generalrats der Oesterreichischen Nationalbank.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2013)

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