Der englische Patient erholt sich

Englische Patient erholt sich
Englische Patient erholt sich(c) Reuters (STEFAN WERMUTH)
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Die Wirtschaft des Landes zeigt wieder erste Lebenszeichen. Doch die Regierung hält an ihrem Sparprogramm fest. Ein Paradigmenwechsel ist nicht in Sicht– auch nicht nach einem möglichen Regierungswechsel.

London. Fünf Jahre nach Beginn der schwersten Wirtschaftskrise seit der großen Depression zeigt die britische Wirtschaft wieder Lebenszeichen. „Wir haben die Intensivstation verlassen“, sagte Schatzkanzler George Osborne am Wochenende und fügte hinzu: „Wir bewegen uns von der Errettung zur Erholung.“ Im ersten Quartal 2013 wurde ein Wachstum von 0,3 Prozent verzeichnet, bis zum Jahresende erwarten Beobachter ein Plus von mindestens 0,9 Prozent.

Sozialausgaben steigen

So bescheiden diese Prognose auch scheint, umso willkommener ist sie. Die Stimmung hat begonnen, sich zu wandeln: „Wir sehen ein wachsendes Gefühl des Optimismus“, sagt Ross Walker von der Royal Bank of Scotland. Tatsächlich weist eine Vielzahl von Indikatoren nach oben: Die Konsumausgaben steigen, die Steuereinnahmen nehmen zu, das Handelsdefizit fällt, und die Hauspreise wachsen. Selbst der für seine Zurückhaltung bekannte scheidende Gouverneur der Bank of England, Mervyn King, sagte in seiner Abschiedsrede: „Es gibt eindeutige Anzeichen dafür, dass sich die Wirtschaft erholt.“

Weitere Kürzungen kommen

Die Regierung sieht sich damit in ihrem harten Sparkurs bestätigt. Bei ihrem Amtsantritt im Mai 2010 übernahm sie ein Budgetdefizit von 159 Milliarden Pfund (187 Milliarden Euro nach heutigem Kurs) allein für das laufende Haushaltsjahr.

Der neue Schatzkanzler George Osborne kündigte Einsparungen von 81 Milliarden Pfund über vier Jahre an – und setzte sie ungeachtet massiver Bedenken und Widerstände um. Wenn Osborne heute, Mittwoch, dem Parlament die Haushaltsplanung („spending review“) für das Budgetjahr 2015/16 vorlegt, wird er weitere 11,5 Milliarden Pfund an Streichungen vorstellen. Selbst die Aufforderung des Weltwährungsfonds von Ende Mai, „mehr für die Erholung der Wirtschaft zu tun“, schlug er in den Wind.

Dennoch ist die Regierung von ihrem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts und einem Abbau der Staatsverschuldung so weit entfernt wie zu Amtsantritt. Fünf Jahre zwischen ökonomischer Stagnation und Rezession verursachten fallende Steuereinnahmen und – trotz massiver Kürzungen – steigende Sozialausgaben.

Das dritte Jahr in Folge muss Osborne in diesem Budgetjahr knapp 120 Milliarden Pfund aufnehmen, die Staatsverschuldung liegt mit rund 1,3 Billionen Pfund unverändert auf der Höhe, in der sie 2010 von der Labour-Regierung unter Gordon Brown übergeben wurde, und entspricht 90 Prozent des BIPs.

Daher werden auch in der Zukunft weitere Kürzungen unausweichlich sein. Das National Institute of Economic and Social Research spricht von 26 Milliarden Pfund bis Mitte der nächsten Legislaturperiode, wenn in Verbindung mit einer wieder angesprungenen Konjunktur (für 2014 werden rund zwei Prozent Wachstum erwartet) ein ausgeglichener Haushalt möglich sei.

Opposition plant keine Änderung

Eine Alternative wäre ein Paradigmenwechsel. Doch der ist unwahrscheinlich, nachdem sich Labour soeben verpflichtet hat, selbst bei einem Wahlsieg 2015 die Budgetpläne der aktuellen Regierung einzuhalten. Osbornes Radikalität ist die neue Normalität. „Leviathan ist geschlachtet“, triumphierte der „Economist“ kürzlich.

Ob die britische Wirtschaft aus der Krise gestärkt hervorgehen wird, bleibt freilich ungewiss. Von Triumphalismus will in London denn auch niemand etwas hören. Regierungsmitglieder wurden zu äußerster Zurückhaltung angewiesen. Das zarte Pflänzchen Erholung muss erst Wurzeln fassen. Doch das zarte Pflänzchen Hoffnung sprießt wieder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2013)

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