Reiche fühlen sich arm, Arme verhehlen Armut

Millionärssteuer, Erbschafts- und Vermögensteuer. Der Wahlkampf fördert unterschiedlichste Definitionen von Arm und Reich zutage. Zwischen Schein und Sein liegen Welten.

Auch wenn so manches Argument in diesem Wahlkampf eher ein Armutszeugnis darstellt, das Match „Reich gegen Arm“ dominiert den Nationalratswahlkampf wie selten zuvor. Und die Debatte spiegelt in erster Linie eines wider: Reich und arm ist man in Österreich in erster Linie per Selbstdefinition. Zwischen Schein und Sein liegen mitunter Welten. Wenn man die Österreicherinnen und Österreicher fragt, wie sie ihr Vermögen selbst einschätzen, dann ist es mit dem Reichtum schnell vorbei, wie Erhebungen der Nationalbank ergaben. Fragt man etwa Personen, die zu den vermögendsten zehn Prozent des Landes zählen, so schätzen von diesen nur 0,6 Prozent ihren Reichtum richtig ein. Im Schnitt sieht man sich eher im „oberen Mittelfeld“. Dasselbe Phänomen spielt sich auch am unteren Ende der Skala ab. Arme tendieren eher dazu, sich vermögender darzustellen, als sie sind. Nur etwa ein Drittel schätzt sich realistisch ein. Mit anderen Worten: Fast jeder Österreicher zählt sich selbst zur sogenannten Mittelschicht.

Tatsächlich verfügen laut Notenbank (Zahlen aus dem Jahr 2010) fünf Prozent der Österreicher über 45 Prozent des Vermögens, 50 Prozent besitzen vier Prozent des Bruttovermögens. Die Zahlen sind Wasser auf die Mühlen jener, die eine „Millionärssteuer“ propagieren, allen voran der ÖGB und die Arbeiterkammer. Geht es nach AK-Präsident Rudolf Kaske, sollen ab einer Million 0,5 Prozent Vermögensteuer anfallen, ab zwei Millionen Euro ein Prozent und ab drei Millionen 1,5 Prozent. Zusätzlich will er künftig auch „große Erbschaften“ besteuern.

Aber was macht die Vermögensunterschiede in Österreich aus? Laut OeNB ist es in erster Linie das Eigenheim. In der unteren Hälfte der (auf den Kopf gestellten) Vermögenspyramide verfügen lediglich 7,5 Prozent über eine Eigentumswohnung bzw. ein eigenes Haus. Hingegen besitzen fast 90 Prozent der oberen 50 Prozent ein Eigenheim. Und 50 Prozent der Top fünf halten weiteres Immobilienvermögen.

Und in diesem Licht fürchten so manche, dass eine „Millionärssteuer“ nicht nur die Reichen treffen könnte. Wer etwa ein Eigenheim hat und zusätzlich noch eine Wohnung erbt, könnte schnell zum „Millionär“ mutieren. In diese Kerbe schlägt auch die ÖVP in ihrer Ablehnung der Vermögensteuer. Diese treffe in erster Linie den „Mittelstand und Familien“ attestiert Finanzministerin Maria Fekter und meint: „Die Steuerpläne der SPÖ setzen den Ruf des Wirtschaftsstandortes Österreich und damit Arbeitsplätze aufs Spiel.“


Reich und alt. Bei all dem Wahlkampfgetöse wird ein Aspekt völlig außer Acht gelassen. Nämlich der Umstand, dass „die Reichen“ und „die Erben“ im überwiegenden Ausmaß auch „die Alten“ sind. Wer behauptet, dass die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergeht, muss auch dazu sagen, dass auch Alt und Jung immer stärker auseinanderdriften.

Doch hinter dieser Tatsache steckt ein wahltaktisches Dilemma. Es betrifft in erster Linie die SPÖ. Keine Partei profitiert so stark von den Stimmen der über 60-Jährigen. Die Pensionisten sind es, die den Sozialdemokraten in der Vergangenheit die Wahlerfolge sicherten. Und wenn SPÖ-Finanzstaatssekretär Andreas Schieder „gerechte Verteilung“ propagiert, dann klammert er eine gerechte Verteilung zwischen den Generationen aus. Er redet von den „30 Euro-Milliardären in Österreich“, die sieben bis acht Prozent des gesamten Vermögens besitzen.

Junge sind ungleich öfter von Armut bedroht als Alte. Laut EU-Sozialbericht SILC waren im Jahr 2011 1,05 Millionen Österreicher armutsgefährdet. Das sind 12,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. Hingegen sind „nur“ zwei Prozent der über 60-Jährigen armutsgefährdet, wie auch der deutsche Politologe Klaus Schroeder (siehe Interview) betont. Während der Generationenvertrag mehr und mehr Risse bekommt, die Zukunft des Pensionssystems von vielen Experten sehr kritisch betrachtet wird, häuft die ältere Generation mehr und mehr Vermögen an.

Dazu trägt schon allein die demografische Entwicklung bei. Denn wer heute erbt, steht in der Regel zugleich knapp vor der Pensionierung, hat den Kredit für sein Eigenheim längst getilgt und ist frei von Unterhaltspflichten. Wie alt ist der durchschnittliche Erbe? In vielen Berichten wird das Durchschnittsalter mit 55 Jahren angegeben. Doch die Zahl ist zu niedrig gegriffen. Sie scheint laut „Presse“-Recherche erstmals im Bericht des 10. Deutschen Seniorentags auf. Der war im Jahr 2000.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2013)

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