Russische Urlauber: Auf Reisen sitzt der Rubel locker

Reisen sitzt Rubel locker
Reisen sitzt Rubel locker(c) Reuters
  • Drucken

Nicht nur reiche Russen sind im Urlaub ausgabefreudig. Auch russische Touristen aus der Mittelschicht frönen im Urlaub dem Hedonismus. Länder wie die Türkei haben das früh erkannt.

In allen übrigen Bereichen ihres Lebens ist Xenia Lapina durchaus originell. Von Beruf Grafikdesignerin, versteht sich die 37-jährige Moskauerin bestens auf Geschmacksfragen. Wegen der Realität ihres Mutterdaseins mindestens genauso gut auf unorthodoxe Erziehungsmethoden. Und aufgrund der Hobbys auf den Bau von Vorstadthäusern – „als Pensionsvorsorge“, wie sie sagt, „da mein Mann und ich in anderen Formen der Vermögensverwaltung nicht so bewandert sind“.

Eigenwilligkeit und Unverwechselbarkeit also im Hause Lapina. Solange nicht die Rede vom Urlaub ist. Geht es nämlich um die sommerliche Erholung, ist es mit der viel strapazierten Individualität vorbei. Und so wird die Moskauer Mittelstandsfamilie nächste Woche wie tausende andere eben auch im Charterflugzeug ins All-inclusive-Hotel in der Türkei sitzen. „Die sind auf uns Russen eingestellt“, pariert Xenia die Nachfrage. „Das drängt sich einfach auf.“

In der Tat drängt sich die Türkei den Russen auf. Seit dieses Jahr auch Kroatien mit dem EU-Beitritt die Visumpflicht eingeführt hat, bleibt das Land am Bosporus für Russen die unbürokratischste Destination mit Zugang zum Mittelmeer. Nicht zufällig wird der russische Ansturm auf die Türkei immer größer. „Russland hat alle Chancen, bei der Anzahl der Touristen alle zu überrunden und die traditionelle Nummer eins, Deutschland, abzudrängen“, wird Osman Ayik, Chef der türkischen Hoteliersvereinigung, in russischen Medien zitiert. 2012 hätten 3,6 Millionen Russen in der türkischen Sonne gebraten. Heuer sollten es zehn bis 15 Prozent mehr sein. Dazu beitragen wird auch die politisch explosive Situation in Ägypten, der für Russen sonst so beliebten Urlaubsdestination.

Die beiden muslimischen Staaten haben früh verstanden, wie man den Gast aus dem Norden umgarnt. Während Westeuropa von den reichen Russen nahezu gefesselt war und bleibt, haben Ägypten und die Türkei auf die aufkommende, wiewohl sehr heterogene Mittelschicht gesetzt. Denn obwohl diese sich nach günstigen Cluburlaubsangeboten umsieht, sitzt ihr das Geld am Ende doch locker in der Tasche.

Das liege in der Geschichte begründet, erklärt Sergej Galizkij, der als milliardenschwerer Chef der führenden Handelskette Magnit das Kundenverhalten seiner Landsleute studiert hat, im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“: „Die Deutschen und die anderen Europäer sind Calvinisten, arbeiten viel und sparen. Die Russen sagen sich: Wir sind zum letzten Mal geboren. Was wir verdient haben, wollen wir auch selbst ausgeben. Es ist eine Folge der letzten 500 bis 700 Jahre, als die Russen immer wieder ihren Besitz verloren haben.“


Touristenbomber. Heute fliegen Unmengen an Charterflugzeugen nicht nur aus Moskau, sondern auch aus dem ölreichen Westsibirien oder den zahlreichen Millionenstädten an der Wolga ans Mittelmeer. Und längst hat sich gezeigt, dass die Türkei und Ägypten in ihrer Kalkulation richtig liegen: Ja, der Russe braucht das Gefühl, exklusiv behandelt zu werden, weil er unter der Neurose leidet, ständig diskriminiert zu werden.

Ja, er hat es mit den Fremdsprachen nicht so, weshalb man ihm sprachlich eben entgegenkommen muss. Und ja, es kann natürlich vorkommen, dass ein Russe dem anderen auf dem Weg zur Toilette eine knallt, weil er beim All-inclusive-Wodka Nummer neun etwas Respekt vor dem Gegenüber vermissen ließ. Aber über allem steht eines: Olga und Iwan Normalverbraucher hauen im Urlaub einfach noch mehr auf den Putz, als sie das ohnehin tun.

Gewiss, die Russen sind zwar Weltmeister bei den durchschnittlichen Tagesausgaben pro Kopf, die sich laut Euromonitor International in den kommenden fünf Jahren von derzeit 227Dollar auf 469 Dollar verdoppeln werden. Mit ihrem absoluten Ausgabenvolumen im Ausland von 43 Mrd. Dollar lagen sie aber als Nation im Vorjahr laut der Vereinigung der russischen Reiseveranstalter hinter den chinesischen, deutschen, amerikanischen und britischen Touristen lediglich auf Platz fünf.


Hauptziel Europa. Europa kriegt jedenfalls sein großes Stück vom russischen Kuchen sehr wohl ab. Nicht zuletzt durch den starken Wintertourismus. Aber auch im Sommer bleibt für die gehobene russische Mittel- und Oberschicht der Trip nach Westeuropa – vor allem nach Spanien, Italien, Zypern und Frankreich – populär. Und dies obwohl die Konkurrenz seitens der ostasiatischen Urlaubsdestinationen zunimmt.

Die Konkurrenz einheimischer Urlaubsorte – etwa am Schwarzen Meer – ist indes nicht zu fürchten. Diese nämlich haben mit den Jahren preislich sensationell zugelegt, ohne gleichzeitig die Qualität des Service entsprechend angehoben zu haben. Wenn die Tourismusländer etwas zu fürchten haben, dann die Konjunktur, denn Russland ist in eine Phase der Stagnation eingetreten. Und die fortschreitende Abwertung des Rubels macht Auslandsreisen teurer.

Kein Wunder also, dass knapp die Hälfte der Russen laut Meinungsforschungsinstitut VCIOM überhaupt in ihrer Wohnung bleiben, weil sie kein Geld für Reisen haben. Zudem besitzen nur 17 Prozent der Russen einen Pass, der ihnen Reisen in das Ausland ermöglicht. Der Rest sitzt nach altrussischer Art auf seiner Datscha, pflegt dort den Garten oder fischt – übrigens die Top-Lieblingsbeschäftigung der russischen Männer.

In Zahlen

13,6Millionen Russen

haben 2012 in der türkischen Sonne gebraten. Heuer sollten es zehn bis 15Prozent mehr sein.

17Prozent aller Russen besitzen überhaupt einen Reisepass. Die übrigen bleiben entweder zu Hause oder urlauben auf ihrer Datscha.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.