EZB-Direktor: "Im Einkaufswagen weniger als früher"

EZBDirektor Einkaufswagen weniger frueher
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"Langfristig kann Geldpolitik keine Arbeitsplätze schaffen, sondern nur beschleunigte Inflation generieren", sagt EZB-Direktor Yves Mersch. In Europa bestehe derzeit aber keine Inflationsgefahr.

Herr Mersch, die Preisstabilität zu erhalten ist die wichtigste Aufgabe der EZB. Achten Sie persönlich auf die Preisentwicklung, wenn Sie im Supermarkt einkaufen gehen?

Yves Mersch: Aus Zeitgründen gehe ich nicht selbst einkaufen. Das übernimmt meine Frau. Und Sie können sich darauf verlassen, dass meine Frau mir ihre Meinung mitteilt.

Und was berichtet sie Ihnen?

Meine Frau sagt, für dieselbe Menge Geld ist jetzt weniger im Einkaufswagen als früher.

Aber das ist doch Inflation, Teuerung. Beunruhigt Sie das?

Meine Frau ist selbst Ökonomin. Sie weiß, dass die sogenannte gefühlte Inflation und der tägliche Einkauf nicht den ganzen Warenkorb repräsentieren, an dem die Teuerung statistisch erfasst wird. Außerdem gibt es Verbesserungen bei Produkten, ohne dass sich der Preis verändert – das muss man auch berücksichtigen. Zum Beispiel bekommen Sie für 500 Euro heute einen viel besseren Computer als vor fünf oder zehn Jahren. Insgesamt führt das dann zu einer Differenz zwischen der von der breiten Öffentlichkeit gefühlten Inflation und den tatsächlichen Inflationsraten.

Aber für die „Hüter des Euro“ ist ja auch wichtig, wie Euro und Inflation wahrgenommen werden, oder?

Selbstverständlich. Auch deshalb legen wir sehr viel Wert auf die erwartete Inflation, also „Inflation Expectations“. Und da sehen wir, dass die Inflationserwartungen nach wie vor stark verankert sind. Wir müssen auch deflationären Entwicklungen entgegenwirken. Als wir den Zins so drastisch gesenkt haben, war eher Letzteres die Bedrohung. Geldpolitik ist immer auch ein wenig Kunst.

Milton Friedman und andere US-Ökonomen haben dem Euro keine Chance gegeben. Lagen sie falsch?

Die Amerikaner haben die Entwicklung des Euro immer im Vergleich zu ihren eigenen historischen Entwicklungen gesehen. Und sie waren deshalb skeptisch, dass jemand einen anderen Weg einschlagen könnte, das heißt: die monetäre Vereinigung vor die politische zu stellen.

Die Ablehnung der Amerikaner ist verständlich, war es doch von Anfang an der Plan, den Dollar als Reservewährung abzulösen. Oder sehen Sie das anders?

So etwas finden Sie in keinem offiziellen Dokument. Dass verschiedene Leute solche Gedanken geführt haben, kann ich nicht ausschließen. Sie finden sich aber weder in unserem Mandat noch in unserer Strategie wieder. Wir sind der Preisstabilität im Euroraum verpflichtet. Punkt.

Die internationale Bedeutung des Euro ist für die EZB noch nicht einmal sekundär?

Die Außenförderung der Währung gehört nicht zu unserem Mandat. Generell ist die Attraktivität einer Währung vor allem abhängig von der Stärke der Volkswirtschaft – von der europäischen in unserem Fall.

Dann wären wir schon bei der Staatsschuldenkrise. Hat diese Ihnen schlaflose Nächte beschert?

Wenn man in dieser Verantwortung steht, hat man sowieso weniger Zeit zum Schlafen als andere Leute.

Sehr diplomatisch beantwortet, jetzt kann ich nicht mehr fragen, ob Sie inzwischen besser schlafen.

Ich habe nie Schlafprobleme gehabt.

Also würden Sie dem neuen Narrativ zustimmen, dass es inzwischen einen gewissen Turnaround in Europa gibt?

Man kann nicht abstreiten, dass wir nach sechs Quartalen, in denen die Wirtschaft geschrumpft ist, im zweiten Quartal dieses Jahres zum ersten Mal wieder ein Wachstum verzeichnet haben. Das ist Fakt. Faktum ist auch, dass die Indikatoren, die wir seit Sommer sehen, alle eher positiv überraschen. Daraus aber schon ein Szenario abzuleiten, nach dem die Krise schon hinter uns liegt, wäre gewagt. Es wird noch dauern, bis wir aus der Krise herausgewachsen sind.

Und wie beurteilen Sie das Gerede zu einem zweiten Schuldenschnitt für Griechenland?

Ich kann niemanden daran hindern, spekulative Geschichten in die Welt zu setzten. Aber im Moment haben wir ein Programm, in dem das nicht vorgesehen und auch nicht notwendig ist.

Ist die Architektur des Euro denn darauf ausgelegt, dass es auch zu einem Staatsbankrott in der Eurozone kommen könnte?

Das Thema gibt es nicht und ist nirgendwo vorgesehen. Das ist bis jetzt in keiner internationalen Rechtsnorm definiert, sodass das Gedankenspiele sind. Bis jetzt hat diese Welt eine staatliche Bankrottsituation nicht rechtlich definieren können.

Aber wäre so etwas nicht wünschenswert – so wie auch ein Bankeninsolvenzrecht?

Man kann sich auch vorstellen, dass wir eine Weltregierung haben – und ein einziges Weltgericht. Das ist aber nicht die Realität.

Aber wäre es etwas, das Sie sich wünschen würden? Eine Regierung für die ganze Welt?

Man kann immer von einer Idealsituation träumen. Aber die Weltregierung ist nach wie vor ein Traum. Wir bewegen uns aber in der Realität.

In der Realität wird dieser Tage viel über den chinesischen Renminbi gesprochen. Wird die EZB so wie die Bank of England und andere Zentralbanken ihren eigenen Zugang, ihre eigene Swapline zur chinesischen Zentralbank bekommen?

Ich will nicht verneinen, dass technische Gespräche stattgefunden haben. Aber zu diesem Zeitpunkt möchte ich keine Interna preisgeben.

Der Renminbi wird also eine immer wichtigere Rolle spielen?

Es gibt noch Kapitalkontrollen – und das behindert natürlich noch die Nutzung des Renminbi als Reserve- oder gar Weltwährung. Die Chinesen sind aber permanent in Richtung weiterer Liberalisierung unterwegs, und wenn das so weitergeht, ist es für mich unausweichlich, dass der Renminbi in Zukunft eine größere Rolle spielen wird.

Die Federal Reserve, Hüterin des Dollar, hat ein Doppelmandat: Inflation und Arbeitsmarkt. Ihrer persönlichen Meinung nach: Ist es überhaupt möglich, durch Geldpolitik Arbeitsplätze zu schaffen?

Beschäftigung ist eine reale Größe, die Währungspolitik operiert dagegen in der nominalen Welt – und wirkt auf die Preise. Aber immerhin: Kurzfristig kann auch die Währungspolitik Wachstum unterstützen. Mit Geldpolitik kann man also ein Strohfeuer entfachen. Langfristig kann Geldpolitik aber keine Arbeitsplätze schaffen, sondern nur beschleunigte Inflation generieren.

Noch etwas, das ich mir nicht so recht erklären kann: Die Fed sagt, wir weiten die Basisgeldmenge aus, und das ist sicher nicht inflationär. In Japan verdoppelt man die Geldmenge einmal so, um Inflation zu schaffen. Ein Widerspruch.

Und ich sage Ihnen jetzt, wie wir denken. Das ist noch einmal anders. Dann haben Sie das komplette Bild. (Lacht.)Wir haben ja auch die Liquidität ausgeweitet. Aber wir sagen, solange die Liquidität bei den Banken liegt, ist sie nicht inflationär. Erst wenn sie in die Realwirtschaft überschwappt und die Nachfrage das Angebot übersteigt, kann das inflationär wirken. Aber weil die Banken durch Schuldenabbau kaum Kredite vergeben, kann unsere Liquiditätsausweitung derzeit nicht inflationär wirken. Jetzt kennen Sie drei Herangehensweisen.

Ja, danke. Wobei ich jetzt wohl noch verwirrter bin als zuvor.

Glauben Sie an die europäische Variante!

Da habe ich ohnehin keine Wahl. Ein anderes Thema: Wie steht denn die EZB prinzipiell zu alternativen Währungssystemen, wie zum Beispiel dem Bitcoin?

Ich habe davon gehört. Wenn es das Vertrauen des Publikums in das Geld, also den Euro, erschüttern könnte, dann ist das gefährlich. Aber wenn Sie sich die Bedeutung dieser Systeme ansehen, stellen Sie fest: Sie bestechen vor allem über ihre Steigerungsraten – nicht durch ihren Marktanteil, der ist immer noch sehr klein. Für mich ist das eine Sache von Generationen.

Aber rein philosophisch: Ist das etwas, bei dem man versucht, auf sein Monopol zu pochen, oder etwas, bei dem man sich auf den Kampf auf dem Markt einlässt?

Es gibt womöglich auch Banken, die vielleicht lieber privates Bankgeld als öffentliches Bankgeld hätten.

Das gab es lange Zeit.

Ja – und in der Theorie wird es auch noch immer verteidigt. Vor allem von der Österreichischen Schule der Ökonomie: das „Free Banking“. Aber das ist kein echtes Thema.

Wenn wir schon von Reserven sprechen: Können Sie erklären, welche Rolle genau die Goldreserven für eine moderne Zentralbank spielen?

Es gibt Leute, die glauben, Gold hätte kein Kreditrisiko, kein Counterparty-Risiko und auch kein Länderrisiko. Andere glauben eher, dass man auch ein Länderrisiko hat, weil Gold ja nur in einigen Ländern gefördert wird.

In der Bilanz des Eurosystems steht Gold an erster Stelle der Aktiva.

Ja, traditionell stehen die Währungsreserven an erster Stelle der Zentralbankbilanz. Da Gold theoretisch staatenunabhängig ist, steht es dort an allererster Stelle. Und weil es sehr liquide ist. Ich würde hinzufügen, dass die Zentralbanken oft sehr konservativ bilanzieren – auch das gehört zur Vertrauensbildung. Und die Leute haben Vertrauen in Gold.

Steckbrief

Yves Mersch (*1949 in Luxemburg Stadt) ist seit Ende 2012 Mitglied des sechsköpfigen Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB). Zuvor war Mersch von 1998 bis 2012 Präsident der Zentralbank von Luxemburg.

Der Jurist hat an der Sorbonne in Paris internationales Recht studiert. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Innerhalb der EZB gilt er als „relativer Falke“, also als eher einer strafferen Geldpolitik zugewandt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2013)

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