Deutschland stellt den Motor ab

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Deutschland Wirtschaft(c) EPA (DANIEL REINHARDT)
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Die deutsche Wirtschaft steht stark da. Aber Merkels Union erntet nur Früchte früherer Reformen. SPD und Grüne setzen mit ihrem Wahlprogramm ihre eigenen Erfolge aufs Spiel.

Fragt man Manager aus aller Welt, was sie von der deutschen Wirtschaft halten, kommen sie aus dem Schwärmen nicht heraus. Die Innovationskraft! Die Ingenieure! Die Forschung in den Firmen! Den „Vorsprung durch Technik“ begleitet eine Verwaltung, in der alles läuft wie geschmiert – ganz ohne Schmiergeld. Im Ranking der Wettbewerbsfähigkeit des Weltwirtschaftsforums (WEF) ist Deutschland soeben noch weiter nach vorne gerückt, von Platz sechs auf Platz vier von 148 Ländern. Nur drei kleine Staaten – die Schweiz, Singapur und Finnland – bieten noch bessere Voraussetzungen (Österreich liegt auf Rang 16).

Bei so viel Applaus sind sich Arbeitgeber und Gewerkschaften einig: Großzügigere Lohnabschlüsse müssen wieder möglich sein. Sie verringern preisliche Wettbewerbsvorteile zwar leicht, aber das ist zurzeit einfach „drin“. Mehr Inlandskonsum macht die Wirtschaft zudem etwas weniger abhängig vom Export in launische Schwellenländer und zu darniederliegenden Euro-Partnern.

In der Politik steht alles still

Also alles in Ordnung? Keineswegs, monieren Ökonomen. Denn in der Politik steht nach dem Reformeifer der Nullerjahre alles still. Es fällt schwer, eine relevante Weiche zu nennen, die Schwarz-Gelb seit 2009 zur Sicherung des Wachstums gestellt hätte. Sollten SPD und Grüne nach dem 22. September an die Macht kommen, erhöhen sie unter dem Schlachtruf „Soziale Gerechtigkeit“ Steuern und machen Änderungen der Rahmenbedingungen rückgängig, die den Erfolg der letzten acht Jahre ermöglicht haben.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln rechnet vor: 400.000 Arbeitslose mehr und ein verlorenes Wachstum von 0,9 Prozentpunkten, das würden die rot-grünen Pläne bedeuten. Merkels Union gefährde mit teuren Wohltaten „nur“ 100.000 Jobs. Bei der Opposition kämen schwer quantifizierbare Folgen von Mindestlohn und Einschnitten in die Substanz der Betriebe hinzu. „Gift für Wachstum und Beschäftigung“, meint Michael Hüther, der Leiter der arbeitgebernahen Forschungseinrichtung.

Dabei predigen die Merkel-Herausforderer, dass sie Einnahmen aus „Reichensteuern“ in Bildung und Infrastruktur investieren und sogar Schulden abbauen wollen. Dazu zuckt man beim IW Köln mit den Schultern: noch schwerer zu quantifizieren und ohnehin wenig wahrscheinlich. Das empört den sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Steinbrück, der von „Voodoo-Ökonomie“ spricht. Jenseits der Polemik stellt sich die Frage: Ist die deutsche Wirtschaft nicht so stark, dass sie die Einlösung einiger Wahlversprechen, von denen Lehrbücher abraten, locker verkraften kann?

Vorsicht ist geboten. Denn nüchtern gerechnet sind die Voraussetzungen nicht so toll: Die Arbeitsstunde kostet im Schnitt 31 Euro und ist damit um fast ein Drittel teurer als im EU-Mittel. Hohe Löhne lassen sich nur durch hohe Produktivität rechtfertigen. Den Ausgleich schaffen die Deutschen nur teilweise: Die Lohnstückkosten der Industrie liegen um neun Prozent über dem Schnitt der EU und der anderen wichtigen Industrienationen; niedriger zwar als in Frankreich, Großbritannien und Italien, aber deutlich höher als in den USA, Japan oder auch Österreich. Das heißt: Der Erfolg kann leicht kippen.

Dreht Rot-Grün das Rad zurück?

Wie leicht, zeigte sich nach der Wiedervereinigung. Mangelnde Kostendisziplin machte Deutschland zum „kranken Mann Europas“ mit der höchsten Arbeitslosigkeit. Erst durch Schröders Reformen ab 2003 und die lange Disziplin der Tarifparteien fasste die Wirtschaft Tritt. Zwei Millionen Arbeitslose fanden einen Job. Nun aber wollen SPD und Grüne das Rad zum Teil zurückdrehen. Ein höherer Spitzensteuersatz entzieht hunderttausenden Kleinunternehmen Geld zum Investieren. So wirkt auch eine wieder eingeführte Vermögenssteuer. Ohne Deckelung ginge sie zudem an die Substanz. Bei der Erbschaftssteuer, die es, anders als in Österreich, noch gibt, wollen zumindest die Grünen künftig auch das Betriebsvermögen nicht verschonen.

Retour ginge es auch mit der „Agenda 2010“: Das Arbeitslosengeld möge wieder großzügiger verteilt werden. Bei Leiharbeit, befristeten Anstellungen, Minijobs und Kombilöhnen nimmt die Opposition einzelne Fälle von (gesetzlich verbotenem) Missbrauch zum Anlass, alle Einstiegshilfen in den Arbeitsmarkt zu beschränken oder abzuschaffen. Die „Rente mit 67“ soll gestoppt, Frühpensionierungen erleichtert werden.

Weil es in vielen Branchen keine Tarifbindung gibt und sich weiße Flecken nur langsam schließen, fordern SPD und Grüne einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde quer durch alle Branchen und Regionen. Wo der unter Marktbedingungen erzielbare Lohn niedriger wäre, befürchten Ökonomen mehr Arbeitslosigkeit – mit allen Folgekosten.

Große Lücke bei Investitionen

So erscheint die Rechnung des IW Köln nicht ganz unplausibel. Wie aber steht es um die Investitionen? Das IW diagnostizierte eine jährliche Investitionslücke von 80 Mrd. Euro. Steinbrück und der Grüne Trittin nahmen den Ball auf – allerdings auf Basis eines fehlerhaften Magazinartikels: Der „Spiegel“ hatte suggeriert, die Lücke liege beim Staat (der größte Teil betrifft aber die wegen der Eurokrise zögerlich investierenden Unternehmen). Immerhin wollen die Wahlkämpfer für Brückensanierungen, Windräder und Hortplätze nur 20 Mrd. an Steuermitteln einsetzen, den Rest sollen Privatinvestoren beisteuern.

Klingt vernünftig? Zurück zur WEF-Umfrage: Im Teilranking „Bildung“ belegt Deutschland Rang 23 – kein Spitzenplatz, aber auch keine Katastrophe. Bei der angeblich so maroden Infrastruktur glänzen die Deutschen mit Platz drei. Echte Defizite sehen die Befragten woanders: Immer noch klagen sie über einen zu unflexiblen Arbeitsmarkt (Platz 113). Immer noch seien die Steuern zu hoch für mehr Investitionen und neue Jobs (Rang 108). Vertraut man der Einschätzung der Manager, bleibt den Deutschen nur diese Wahl: Den Motor unter Merkel abstellen – oder umdrehen, um in die falsche Richtung zu fahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2013)

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