Die Met, das globalisierte Opernhaus

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Mit Liveübertragungen in fast 2000 Kinos weltweit hat die Metropolitan Opera ihr Publikum vervierfacht. Direktor Peter Gelb erklärt der „Presse“, welchen Nutzen das hat.

New York. Mit dem Lampenfieber sei das folgendermaßen, sagt der polnische Bariton Mariusz Kwiecień in seiner spartanischen Garderobe, tief unten in den Katakomben der Metropolitan Opera von New York, nur wenige Minuten nachdem er vor fast 4000 Zuschauern als Tschaikowskys Onegin Anna Netrebko einen ersten und zugleich letzten Kuss auf die Lippen gedrückt hat: „Bei der Premiere ist man aufgeregt. Die zweite Vorstellung ist darum meistens die schwächste, weil man noch von der ersten aufgewühlt ist.“ Den größten Druck aber, sagt der 40-jährige Kwiecień, spürt er bei der vierten Vorstellung: „Denn da schaut mir die ganze Welt zu.“

2,5 Millionen Kino-Opernfans

Und zwar aus nächster Nähe, in gestochen scharfer Auflösung, in 64 Ländern auf allen Kontinenten. Mit Peter Iljitsch Tschaikowskys „Eugen Onegin“ beginnt am Samstag um 19 Uhr mitteleuropäischer Zeit die achte Saison, in der die Met Opern in High-Definition-Qualität live in Kinos rund um die Welt bringt. „The Met: Live in HD“ ist ein bemerkenswerter Erfolg: Allein in der vergangenen Spielzeit versammelten sich mehr als 2,5 Millionen Menschen, um zum Preis einer Kinokarte großes Musiktheater aus New York auf der Leinwand ihres Kinos zu bestaunen. Allein in Österreich werden Kwiecień, Netrebko und der in Wien hoch beliebte Tenor Piotr Beczała als heißblütiger Poet Lenski in 14 Lichtspieltheatern von Hohenems bis Wien zu sehen sein; die meisten dieser Kinos waren schon vor dem Samstag restlos ausverkauft.

Das Publikum stirbt aus

In seinem Büro mit Blick über die nachsommerlich strahlende Lincoln Plaza kann sich Peter Gelb, der Direktor der Met, einen kleinen Seitenhieb auf den Wiener Opernring nicht verkneifen: „Es ist schon ironisch, dass wir an einem Samstagabend in Wien mehr Kinotickets verkaufen werden, als zur selben Zeit Zuschauer in der Staatsoper sitzen“, sagt er zur „Presse“.

Natürlich, beeilt er sich zu betonen, sei das Verhältnis zu seinem Wiener Pendant, Dominique Meyer, exzellent, man kooperiere einwandfrei. Zumal man im selben Boot sitzt. Denn ob Manhattan oder Wien, die Bedrohung ist beiderseits des Atlantiks dieselbe: Das Opernpublikum stirbt langsam aus. „Als ich mein Amt antrat, war der durchschnittliche Besucher der Met 65 Jahre alt – und er alterte pro Jahr um ein Jahr“, erklärt Gelb. Anders gesagt: Setzt sich dieser Trend fort, wäre binnen eines Jahrzehnts seine statistisch gemittelte Zielgruppe im Pensionistenheim.

In den acht Jahren seither hat es Gelb geschafft, den Altersdurchschnitt auf 61Jahre zu senken. „Das ist schon ein Erfolg“, sagt Gelb. An den generellen Aussichten für die Kulturform der Oper ändere das wenig. „Wir kämpfen gegen einen globalen Trend, der kulturelle und intellektuelle Ideen nicht wirklich unterstützt“, klagt Gelb. Der Musikunterricht an amerikanischen Schulen werde radikal gekürzt. Lang vorbei sind die Zeiten, in denen Opernstars so populär waren, dass sie Fernsehtalkshows moderierten, wie es die Sopranistin Beverly Sills tat, die Johnny Carson regelmäßig im Urlaub vertrat.

Die Zielgruppe vergrößern

Was tut ein Unternehmen also, wenn seine Kundschaft altert? Es versucht, neue alte Kunden auf anderen Märkten zu finden. Genau das macht die Met mit ihrem „Live in HD“-Programm. Rund 800.000 Menschen sehen jährlich die Opern in der Met. Mit den 2,5 Millionen Kino-Opernfans hat sich die Zuschauerschaft vervierfacht.

Die Leute, die sich eine Oper im Kino anschauen, sind nicht jünger als jene, die persönlich in die Met pilgern, gibt Gelb zu bedenken. „In den USA sind sie sogar älter. Viele Opernfans sehen das als Alternative, um sich die beschwerliche Reise nach New York zu ersparen.“ Junges New Yorker Publikum zieht Gelb nicht über die Kinos an, sondern durch Workshops mit Sängern und Schülern und die Ausstrahlung von Opern in HD-Qualität in öffentlichen Schulen. Die Met bereitet zu diesem Zweck spezielles Lehrmaterial vor, um den Musiklehrern die Vermittlung der Opernkunst zu erleichtern.

Die Marke pflegen

„The Met: Live in HD“ hat für Operndirektor Gelb einen weiteren kaufmännischen Nutzen. Mit der weltweiten Ausstrahlung kann er den Sponsoren gegenüber argumentieren, dass dies eine globale Marke ist, über die man wohlhabende Menschen rund um die Welt erreichen kann. Unternehmenssponsoring ist für das Bestehen seines Hauses essenziell, betont Gelb: „Wir hängen am Aktienmarkt. Wenn es dem gut geht, spenden die Leute viel. Geht er runter, merken wir das sofort.“ Rund ein Drittel ihres Umsatzes von zuletzt etwas mehr als 320 Millionen Dollar (235 Millionen Euro) erzielt die Met mit dem Verkauf von Karten; der überwiegende Rest stammt aus Sponsoring und Spenden.

Deshalb sei das Kino für den Bestand seines Hauses so wichtig, sagt Gelb: „Es ist uns erstmals in der Operngeschichte gelungen, die Kapazität zu erhöhen, ohne der Qualität zu schaden.“

AUF EINEN BLICK

Oper ist eine Sache für alte Leute: Das zeigt ein Blick auf die Besucherstatistik der New Yorker Metropolitan Opera. Der durchschnittlicher Met-Besucher ist 61 Jahre alt. Das ist zwar um vier Jahre jünger als 2006, rasant verjüngen wird sich das Publikum aber weder in New York noch in Wien.

Im Kino sucht die Met eine Lösung: Seit acht Saisonen zeigt sie jährlich rund zehn Opern weltweit in hunderten Kinos live und in High-Definition-Qualität. Das bringt ihr erstens 50 Prozent vom Erlös an den Kinokassen. Und es vervierfacht zweitens ihr Publikum auf mehr als drei Millionen. Das hilft Operndirektor Peter Gelb in Verhandlungen mit Sponsoren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2013)

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