Wenn die USA sich nicht höher verschulden können, droht eine globale Rezession, warnt der Internationale Währungsfonds. Spätestens ab November wird Amerika nicht mehr alle Rechnungen bezahlen können.
Washington. Mehr Schulden, sonst droht die Rezession: Zum einwöchigen Jubiläum des „Shutdowns" der US-Regierung und neun Tage vor dem Stichtag für das Erreichen der amerikanischen Schuldenobergrenze warnte der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF) in eindringlichen Worten vor einer Fortsetzung der politischen Lähmung in Washington. „Wenn die Schuldengrenze nicht erhöht wird, könnte es durchaus passieren, dass die jetzige Erholung sich zu einer Rezession wendet - oder zu etwas noch Schlimmerem", sagte Olivier Blanchard bei der Vorstellung des Weltwirtschaftsausblicks im Rahmen der Jahrestagung von IWF und Weltbank in Washington.
Nach Finanz kracht nun Politik
Fünf Jahre nach Ausbruch der jüngsten Weltwirtschaftskrise droht der nächste globale Schock somit wieder von den USA auszugehen. Doch während damals das amerikanische Bankenwesen nach einem Jahrzehnt kaum kontrollierter und rücksichtsloser Schuldenmacherei unter einem Berg fauler Kredite zusammenbrach, rührt die Gefahr für das wirtschaftliche Wohlergehen der Welt dieses Mal von der Blockade des politischen Systems Amerikas. Der IWF hält zwar in seinem Bericht fest, dass der wichtigste globale Wachstumsimpuls von den USA ausgehen könnte, weil hier die Verbrauchernachfrage anzieht, Unternehmen und Private ihre Schulden in den Griff bekommen und die US-Notenbank Federal Reserve die Wirtschaft mit ihrer lockereren Geldpolitik vorläufig am Laufen hält.
Doch diese Kalkulationen des Fonds sind angesichts der politischen Wirklichkeit im Kongress kaum das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurden. Blanchard gab selbst bei der Vorstellung des Berichts zu, dass der IWF davon ausgegangen ist, dass die Zwangsschließung weiter Teile der US-Bundesregierung rasch endet und die Schuldenobergrenze wird.
„Das ist Wahnsinn"
Dieses Sonnenscheinszenario ist jedoch unwahrscheinlich. Seit Tagen inszenieren die Republikaner und Demokraten im Kongress ein sonderbares Ritual: Die Republikaner, die das Abgeordnetenhaus kontrollieren, legen einen Budgetentwurf vor, der gleichzeitig vorsieht, dass der Affordable Care Act (die als „Obamacare" geläufige neue Krankenversicherung) für ein Jahr außer Kraft gesetzt wird. Dieser Text wandert dann in den Senat, den die Demokraten kontrollieren. Dort wird er niedergestimmt.
Dann legen die Senatsdemokraten einen Budgetentwurf ohne die Bedingung vor, dass „Obamacare" schubladisiert wird. Sobald dieser Text im Abgeordnetenhaus ankommt, ist er todgeweiht. Und so geht das immer fort. „Das ist Wahnsinn", schimpfte Harry Reid, der Führer der Demokraten im Senat, und erinnerte an die Feststellung von Albert Einstein, demzufolge man Wahnsinn daran erkennt, dass jemand dieselbe Sache immer wiederholt und ein anderes Ergebnis erwartet.
Obama warnt vor Erpressung
Präsident Barack Obama geißelte am Dienstag in der mit 66 Minuten zweitlängsten Pressekonferenz seiner Amtszeit die Blockade der Republikaner: „Wir können Erpressung nicht zur Routine machen. So funktioniert Demokratie nicht."
Was Beobachter außerhalb Amerika erstaunen wird, ist der Umstand, dass es im Abgeordnetenhaus sehr wohl eine Mehrheit für den Beschluss eines gewöhnlichen US-Budgets gäbe, ohne die neue Krankenversicherung zu torpedieren. Rund 20 bis 25 gemäßigte Republikaner haben sich bereits öffentlich dafür ausgesprochen.
Doch solche Kompromissvorschläge sind ebenso dem Scheitern ausgesetzt wie die am Dienstag vom Senat beschlossene Anhebung der Schuldenobergrenze (auf Englisch „Debt Ceiling" genannt), die derzeit bei 16,7 Billionen Dollar liegt (12,3 Billionen Euro). Denn die Republikaner wissen, dass ihr Veto der einzige und letzte Trumpf ist, um doch Zugeständnisse, etwa Steuersenkungen, zu bekommen.
Ab November wird es eng
Die Schuldenobergrenze wird am 17. Oktober erreicht. Die nächste Schuldenrate muss Finanzminister Jack Lew zwar erst am 31. Oktober an Amerikas Anleihengläubiger bezahlen. Mit 5,9 Milliarden Dollar ist sie zudem recht klein. Schwieriger könnte es aber am 15. November werden. Da werden 31 Milliarden Dollar Zinsen fällig. Gemeinsam mit weiteren sechs Milliarden Dollar zu Monatsende würden die USA im November 18 Prozent ihrer erwarteten Steuereinnahmen für den Zinsdienst aufwenden, hält die Ratingagentur Moody's fest.
Eine Insolvenz hält Moody's zwar für unwahrscheinlich. Amerika gibt heute weniger als halb so viel von seinen Steuereinnahmen für den Schuldendienst aus wie im Jahr 2009. Doch spätestens ab November werde die Regierung signifikant weniger Steuern einnehmen, als sie für Rechnungen und Zinsen ausgeben muss. Im November 2012 belief sich dieser Fehlbetrag auf 172 Milliarden Dollar. Fällt er heuer ähnlich hoch aus, wird Lew wählen müssen, welche Rechnungen er zuerst bezahlt: In Finanzkreisen nennt man so eine Lage eine teilweise Insolvenz.
Obama sieht das auch so: „Wenn der Kongress sich weigert, die Schuldengrenze zu erhöhen, wird Amerika erstmals seit 225 Jahren nicht all seine finanziellen Verpflichtungen wahren können."
("Die Presse", Print-Ausgabe, 9. Oktober 2013)