Schweden: Obdachlose nehmen jetzt auch Kreditkarten

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KreditkarteErwin Wodicka - BilderBox.com
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Während in österreichischen Geschäften noch oft nach dem passenden Kleingeld gekramt wird, werden in Schweden jetzt sogar schon Obdachlose mit Kartenlese-Geräten ausgestattet.

Obdachlose Magazinverkäufer in Stockholm brauchen nicht mehr zu fragen, ob man eine Krone übrig hat. Sie nehmen auch Kreditkarten. In der bargeldlosesten Gesellschaft der Welt wurden die wohnungslosen Straßenverkäufer des Kulturmagazins Situation Stockholm jüngst mit Kartenlesern ausgerüstet, um Spenden ihrer Landsleute zu akzeptieren. Das ist nach Aussage ihrer Arbeitgeberin eine Weltneuheit. "Immer mehr unserer Verkäufer kommen auf uns zu und sagen, dass die Leute kein Bargeld haben - das hören wir schon seit langem", erklärt Pia Stolt, die Chefin des Magazins, in einem Telefoninterview mit Bloomberg News. "Früher haben alle gesagt, dass sie kein Bargeld dabei hätten, oder dass sich nicht mit ihrem Handy bezahlen können, weil es ein Geschäftstelefon sei. Jetzt aber kommen sie nicht mehr drum herum", sagt der Magazinverkäufer Stefan Wikberg mit einem Lächeln, während er am U-Bahn-Ausgang des Stockholmer Hauptbahnhofs steht. "Ich nehme Karten, SMS-Zahlungen, Cash, und man kann auch in Dollar oder Euro bezahlen."

Wikberg, der seit 1999 für Situation Stockholm arbeitet, geht davon aus, dass die Umsätze um 20 Prozent anziehen könnten, wenn die Kartenleser bei mehr Verkäufern eingeführt werden. Bisher wurden fünf der 350 Straßenverkäufer mit den Geräten ausgerüstet. Da sich das Programm aber bereits in der Testphase positiv auf die Umsätze ausgewirkt hat, soll es auf breiterer Front eingeführt werden.

"Erste bargeldlose Gesellschaft der Welt"

Schweden war 1661 das erste Land in Europa, das Geldscheine eingeführt hat. Doch mittlerweile setzt die technisch versierte Bevölkerung auch angesichts des stabilen Finanzsystems immer stärker auf den digitalen Zahlungsverkehr. Nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich standen im Jahr 2012 Scheine und Münzen für nur 2,7 Prozent der schwedischen Wirtschaft, verglichen mit 9,8 Prozent im Euroraum. Österreicher hängen besonders stark am Bargeld. "Österreich ist noch immer ein 'cashorientiertes' Land mit einem Bargeldanteil bei Zahlungen im Handel von 85 Prozent", erklärte heuer Kurt Tojner, Geschäftsführer von Visa Europe in Österreich. Zum Vergleich: Im schwedischen Einzelhandel werden nur 30 Prozent der Geschäfte mit Bargeld abgewickelt.

In Schweden will man noch einen Schritt weiter gehen: "Wir könnten und sollten die erste bargeldlose Gesellschaft der Welt sein", wird Björn Ulvaeus, ehemaliges ABBA-Mitglied, auf der Webseite eines Stockholmer Museums zitiert, das der schwedischen Pop-Band gewidmet ist. Für einige schwedische Einzelhändler gehört Bargeld bereits der Vergangenheit an. Zu ihnen zählen unter anderem der Betten- und Schlafzimmerverkäufer Kungsängen, die Mobilfunkkette 3 und der Telekomkonzern TeliaSonera AB. Auch im "Abba The Museum", wo Ulvaeus ein Co-Investor ist, werden nur noch Kreditkarten akzeptiert. Der schwedische Musiker, der den Text für den Song "Money, Money, Money" schrieb, lebte ein Jahr lang selbst bargeldlos. Umstände habe ihm das nur an einer Stelle bereitet, nämlich wenn "man eine Münze braucht, um den Einkaufswagen im Supermarkt auszuleihen".

SEB AB, Swedbank AB und Nordea Bank AB reagieren bereits auf die Entwicklung hin zum digitalen Zahlungsverkehr. Die drei Banken, die zu den vier größten Kreditinstituten des Landes zählen, haben in 65 Prozent bis 75 Prozent ihrer lokalen Filialen die Bargeld-Dienstleistungen eingestellt, da die Schweden lieber per Kreditkarte, Internet oder Handy bezahlen. Nur Svenska Handelsbanken AB bietet noch immer Bargeldabwicklungen in allen schwedischen Filialen an.

Großes Vertrauen in das Finanzsystem

Die Popularität von Kartenzahlungen in Schweden spiegelt sowohl die Leidenschaft für Technologie unter den schwedischen Konsumenten als auch das Vertrauen in das Finanzsystem wider, sagt Bengt Nilervall, Leiter für Zahlungsverkehr beim Schwedischen Handelsverband. Ein Blick nach Österreich zeigt: Dort hat aktuellen Umfragen zufolge der gute alte "Sparstrumpf" wieder an Beliebtheit gewonnen.

(Bloomberg/Red.)

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