Russischer Gasriese Gazprom erobert Europa zurück

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Gazprom hat in Europa nun wieder prächtig verdient. Ein Lieferengpass durch den Streit mit der Ukraine ist nicht auszuschließen.

Wien. Die vielen Baustellen, die der weltweit größte Gaskonzern, Gazprom, in den vergangenen Jahren angehäuft hat, lassen den Riesen zwar nicht mehr selbstbewusst strahlen wie noch vor wenigen Jahren. Nach dem am Donnerstag vorgelegten Finanzergebnis zu urteilen, läuft das Geschäft bei Russlands größtem Steuerzahler aber doch wieder prächtig wie schon lange nicht. Vor allem der wieder höhere Absatz im lukrativsten Markt, Europa, dessen Verbrauch Gazprom zu einem Viertel deckt, lassen den Gewinn sprudeln. Im zweiten Quartal ist der Überschuss um 26 Prozent auf 4,67 Mrd. Euro geklettert. Im gesamten ersten Halbjahr beläuft er sich auf 13,5 Mrd. Euro – um elf Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2012. Insgesamt setzte Gazprom in sechs Monaten 58,4 Mrd. Euro um.

Dass sich in Europa wieder besser verdienen lässt, hat mehrere Gründe. Zu den höheren Gaspreisen kommt der Umstand, dass die Konkurrenten aus Norwegen und Nordafrika weniger lieferten und Gazprom die Lücke füllte. Vor allem aber profitierte Gazprom davon, dass im zweiten Quartal offenbar keine Rückzahlungen an die europäischen Großabnehmer wegen zu hoher Preise in den ersten Krisenjahren mehr anfielen.

Baustellen bremsen

Gazproms gutes Europageschäft kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Baustellen einen Höhenflug bremsen. Nach jahrelangen Verhandlungen ist Gazprom noch immer nicht handelseins mit dem Hoffnungsmarkt China. Mindestens so problematisch ist im Moment aber wieder der chronische Problemfall Ukraine. Das Land, das ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen möchte, liegt derzeit gerade deswegen generell im Clinch mit seinem nördlichen Nachbarn. Im Besonderen äußert sich der Konflikt auf der Ebene des Gashandels. Hat Gazprom Ende Oktober mit der Eintreibung der ukrainischen Schulden ernst gemacht, so hat der staatliche ukrainische Gaskonzern Naftogaz am vorigen Wochenende den Zukauf russischen Gases gänzlich eingestellt und könnte laut Energieminister Eduard Stavitski bis Jahresende auf ihn verzichten.

Nun ist das Land aber nicht nur nach Deutschland zweitgrößter Gazprom-Kunde. Weil die Ukraine gleichzeitig das wichtigste Transitland für den russischen Gasexport nach Europa ist, steht seit wenigen Tagen auch wieder die Drohung von Lieferengpässen im Raum. „Wenn der Winter kalt wird wie im Vorjahr, ist ein Lieferengpass nicht auszuschließen“, meint Michael Gontschar, führender Gasexperte des ukrainischen Forschungszentrums Nomos, im Gespräch.

Unterirdische Speicher

An und für sich ist das Gasversorgungssystem so organisiert, dass die unterirdischen Gasspeicher in der Westukraine im Sommer aufgefüllt werden, um daraus im Falle eines kalten Winters den Mehrbedarf in der Ukraine und Europa zu decken. Die Speicher, deren Kapazität bei 34 Mrd. Kubikmeter liegen, müssen dafür bei Weitem nicht gänzlich gefüllt sein. Zu starken 85 Prozent gefüllt waren sie nur 2008. Im Moment sind 19 Mrd. Kubikmeter eingelagert, was für eine reibungslose Versorgung Europas und der Ukraine im Winter ausreichend ist (16 Mrd. Kubikmeter Vorräte gilt als Minimum). Das Problem: Da die finanziell schwache Ukraine schon jetzt die Speicher anzapft, schrumpfen die Vorräte unweigerlich. Gewiss, Gazprom könnte die Speicher auch auf eigene Kosten auffüllen, wie es das Unternehmen bis vor einigen Jahren getan hatte, ehe es diese finanzielle Last auf Naftogaz abwälzte.

Gazprom hat freilich anders vorgesorgt: Um das Problem mit Naftogaz zu umschiffen, setzt Gazprom parallel auf den ukrainischen Top-Oligarchen Dmitri Firtasch, der als notorischer Zwischenhändler mittlerweile Gas bei Gazprom zukauft und als Vorrat in die Speicher füllt. Und Gazprom hat im Unterschied zu früher die Ostseepipeline Nord-Stream als Zusatzroute.

AUF EINEN BLICK

Gazprom. Der russische Gasriese hat im ersten Quartal um 26 Prozent mehr verdient als 2012. Im ersten Halbjahr stieg der Überschuss auf satte 13,5 Mrd. Euro. Vor allem in Europa liefen die Geschäfte nach Jahren des Rückgangs wieder wie geschmiert. Der neuerliche Clinch mit der Ukraine jedoch belastet Gazproms Reputation. Lieferengpässe in Europa sind nicht sehr wahrscheinlich, aber im Falle eines kalten Winters auch nicht ausgeschlossen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2013)

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