Stahlindustrie: ThyssenKrupp vor Befreiungsschlag?

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Der Verkauf des defizitären US-Werks steht unmittelbar bevor, weshalb der deutsche Konzern die Bilanzpräsentation auf 2. Dezember verschiebt. Die Aktie fällt.

Essen. Wenn ein Konzern seine Bilanzveröffentlichung verschiebt, dann verheißt das meist nichts Gutes. Beim deutschen Stahlkonzern ThyssenKrupp hat der Aufschub bis zum 2. Dezember einen durchaus positiven Hintergrund. Denn der defizitäre Stahlkocher steht Insidern zufolge knapp vor dem Verkauf  seines Stahlwerks in den USA – als Interessenten gelten ArcelorMittal und Nippon Steel, mit denen exklusiv verhandelt wird.

Eine positive Nachricht braucht ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger wie einen Bissen Brot – seit seinem Amtsantritt vor drei Jahren hat er die Aktionäre und die 150.000 Mitarbeiter des Industriekonzerns nicht gerade mit guten Nachrichten überhäuft. Denn die neuen Werke in Amerika – das in Alabama und noch viel mehr das in Brasilien – haben sich zu Milliardengräbern entwickelt.

Rote Zahlen in Folge

Auf 13 Mrd. Euro sind die Kosten für diese Anlagen in die Höhe geschossen. Die gravierenden Abschreibungen haben im Geschäftsjahr 2011/12 einen Nettoverlust von fünf Mrd. Euro verursacht. Auch 2012/13 dürfte es wieder rote Zahlen geben, da beide Werke noch mit 3,3 Mrd. Euro in den Büchern stehen. Dazu kommt die lahme Stahlkonjunktur in Europa. In den ersten neun Monaten lag der Verlust bei 1,2 Mrd. Euro.

Noch ist aber nicht sicher, ob ArcelorMittal oder Nippon Steel anbeißen. Und für den großen Befreiungsschlag braucht Hiesinger ohnedies einen Käufer für Brasilien. Seit eineinhalb Jahren versucht der ThyssenKrupp-Chef, die beiden Anlagen, bei denen die Kosten völlig aus dem Ruder gelaufen sind, loszuschlagen. Ohne Erfolg allerdings. Ein Scheitern der Verkaufspläne wollte er allerdings bis heute nicht offiziell eingestehen.

Im Zuge des Verkaufs müssten auch die langfristigen Lieferungen von Stahl aus dem Werk in Brasilien zum US-Werk geklärt werden. Denn das Werk in Brasilien liefert Rohstahl in die USA, der in dem Walzwerk etwa zu Blechen für die Automobilindustrie weiterverarbeitet wird.
Zwischen den Standorten gibt es langfristige Lieferverträge, die den Verkaufsprozess erschweren. Hier müsste ein neuer Eigentümer des US-Werks Zugeständnisse machen. Der brasilianische Rohstoffkonzern Vale hält 27 Prozent an der Anlage im Bundesstaat Rio de Janeiro und hat quasi ein Vetorecht in dem dortigen Verkaufsprozess. ArcelorMittal dürfte indes versuchen, seinen eigenen Stahl dort weiterzuverarbeiten.

Analysten zufolge könnte das US-Werk einen Preis von 1,5 bis zwei Mrd. Dollar erzielen. M.M.-Warburg-Analyst Björn Voss zeigt sich dennoch skeptisch: „Es sieht leicht negativ aus, weil sie die Perle verkaufen und das Problem behalten“, sagte er. Die Aktie lag am Mittwoch zeitweise über zwei Prozent im Minus und führte damit die Liste der DAX-Verlierer an. Von Jänner bis April hat das Papier ein Viertel verloren, danach legte es bis jetzt um 42 Prozent auf 19,50 Euro zu. Dabei spielte die Hoffnung auf einen Verkauf der Überseewerke mit.

Kapitalerhöhung geplant

Der Stahlkonzern, der im europäischen Stahlgeschäft 2000 Arbeitsplätze abbaut, um die Kosten um 500 Mio. Euro zu senken, ächzt aber auch unter mehr als fünf Mrd. Euro Schulden. Außerdem schlagen die noch nicht bezifferten Ausgleichszahlungen an die Deutsche Bahn wegen des Schienenkartells negativ zu Buche. Hiesinger treibt Insidern zufolge deshalb eine Kapitalerhöhung voran. Der Stahlkonzern habe Banken aufgefordert, ihre Konditionen für eine zehnprozentige Aufstockung vorzulegen. Rein rechnerisch wäre ein Paket von zehn Prozent beim gegenwärtigen Aktienkurs etwa eine Mrd. Euro wert.  (Reuters/eid)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2013)

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