Die Ukraine hat sich für einen kurzfristigen Gewinn entschieden

UKRAINE EU PROTESTS
UKRAINE EU PROTESTSEPA
  • Drucken

Die Entscheidung gegen das EU-Assoziierungsabkommen wird der Ukraine kurzfristig nicht schaden. Langfristig aber sehr wohl.

Wien. „It's the economy, stupid“, hieß es schon 1992, als Bill Clinton die US-Präsidentenwahlen gewann. „It's the economy“, heißt es auch jetzt, nachdem die Ukraine das Assoziierungsabkommen mit der EU platzen ließ. Jedenfalls erklärte Premier Mikola Azarow den Schwenk so. „Die Entscheidung war schwierig, aber die einzig mögliche angesichts der gegenwärtigen Wirtschaftslage der Ukraine“, sagte er.

Präsident Viktor Janukowitsch wurde angeblich konkreter: Im Gespräch mit seiner litauischen Amtskollegin – so ihr Berater laut Interfax-Ukraine – habe er geäußert, dass die Ukraine, deren Wirtschaft schrumpft und vom Internationalen Währungsfonds wegen ausstehender Reformen seit Langem nicht mehr gestützt wird, dem Druck aus Russland nicht standgehalten habe. Die Russen hätten gedroht, den Import vor allem aus der industriereichen Ostukraine zu beschränken. Auch wenn die Ukraine die Schuld gern den Russen zuschiebt: Ein wahrer Kern ist gegeben. Denn russische Handelsbarrieren der letzten Zeit haben den ukrainischen Export in sein nördliches Nachbarland empfindlich einbrechen lassen. Bis 2015 hätten Russlands Beschränkungen das ukrainische BIP 1,28 Prozent gekostet, errechnete Oleksandr Shepotylo von der Kiev School of Economics (KSE).

Russische Lockrufe wirkten

Nicht nur die davon betroffenen Exportfirmen sind daher zuletzt gegen das Assoziierungsabkommen Sturm gelaufen. Auch auf dem Gassektor haben Lockrufe aus Russland, Schulden zu strecken, Wirkung gezeitigt. Nicht zu vergessen, dass Unmengen an ukrainischen Gastarbeitern im wirtschaftlich stärkeren Russland gutes Geld verdienen und Restriktionen fürchten.

Was den ukrainischen Außenhandel betrifft, steht die EU freilich im Volumen nicht hinter den Russen zurück. Beide handeln mit der Ukraine jährlich Waren im Wert von etwa 45 Mrd. Dollar, wobei die Ukraine mit beiden ein Handelsdefizit einfährt.

Im langfristigen Szenario zeigt sich, dass die Ukraine bei einem Beitritt zu der von Russland geführten Zollunion den Export – vor allem zugunsten der Nahrungsmittelindustrie – um 18 Prozent steigern könnte, bei einer Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens – vor allem zugunsten von Metallen, Maschinen und Textilien – um 36 Prozent und bei einem EU-Beitritt um 46 Prozent. Gewiss, und hier liegt der springende Punkt, alles nur, wenn die Ukraine Strukturreformen umsetzt, europäische Standards implementiert, die Wirtschaft dereguliert, Eigentumsrechte sichert und Investitionen anzieht.

Europäischer Markt größer

Die Entscheidung gegen das Assoziierungsabkommen wird also kurzfristig keine wirtschaftlichen Nachteile, ja sogar eine Erleichterung bringen, weil man mit Russland einig ist, wie Peter Havlik vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche erklärt. Langfristig aber werde der Reformdruck schwächer. Und auch der Auslandsmarkt wäre kleiner: Russlands Zollunion umfasst 168Mio. Einwohner mit einem BIP von derzeit 2,1 Bio. Dollar. Die EU 504 Mio. Einwohner mit 17 Bio. Dollar Wirtschaftsleistung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.