"Diese Arbeit schafft ein normaler Mensch nicht lange"

Worker collects items to pack into boxes at Amazon's logistics centre in Graben
Worker collects items to pack into boxes at Amazon's logistics centre in GrabenREUTERS
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Ein Exmanager von Amazon und ein Arbeiter über falsche Versprechungen, Dauerüberwachung und den Mut zur Rebellion.

Er arbeitet bereits 17 Jahre im Logistikgeschäft, er kennt die Branche, er weiß, was von den Arbeitern verlangt wird. Aber schon nach einem Jahr in einer Führungsposition bei Amazon entschied er: „Hier will ich nicht länger bleiben.“ Den Namen will die ehemalige Führungskraft nicht preisgeben, auch nicht, welche Position sie innehatte und in welchem der neun deutschen Logistikzentren sie beschäftigt war. Die Gründe, warum der Manager es nicht länger bei Amazon ausgehalten hat, nennt er allerdings schon: „Ich wollte meine Mitarbeiter nicht ständig kontrollieren und Druck ausüben müssen“, sagt er.

Bei Amazon bekommt jeder Arbeiter ganz genaue Zeit- und Mengenvorgaben. Niklas Hüttner zum Beispiel sammelt als „Picker“ in Bad Hersfeld Produkte ein, in seinem „Frachtzentrum 3“ sind das „Klamotten und Schuhe“. „Als Picker musst du 130 Artikel pro Stunde einsammeln. Vor Weihnachten sind wir im Dauerstress, schließlich will man die Lieferwagen nicht warten lassen.“

„Die Mitarbeiter sind ständig auf Trab, sie müssen viel laufen, heben und ziehen. Das ist eine Arbeit, die schafft ein normaler Mensch nicht sehr viele Jahre“, sagt der Exmanager. Wer ein, zwei Tage unter den Vorgaben bleibe, bekomme eine Rüge.


Dauerüberwachung.
Jeder Handgriff der Arbeiter werde mit einem Scanner registriert, außerdem seien überall Kameras installiert. Pro 150 Arbeiter gebe es einen Bereichsleiter, der den Arbeitern disziplinarisch und fachlich vorgesetzt ist. Dazu kommen die Teamleiter, die für jeweils 20 bis 30 Arbeiter zuständig sind und diesen genau auf die Finger schauen, sowie die Security, die die Mitarbeiter kontrolliert, wenn sie das Gelände verlassen.

„Ich lasse mir da keinen Druck mehr machen“, sagt Hüttner, der seit drei Jahren bei Amazon arbeitet. „Ich bin fest angestellt. Es gibt aber schon Leute, die sich wirklich hetzen lassen.“ Seiner Erfahrung nach sei es nicht so, dass man gleich gerügt und entlassen werde, wenn man ein paar „Picks“ unter den Vorgaben liege. „Wenn man dauerhaft nur 70 bis 80 schafft, allerdings schon.“ Besonderer Druck werde auf jene Arbeiter ausgeübt, die nicht dauerhaft angestellt seien, sagt der Exmanager: „Da habe ich von oben die Vorgabe bekommen: Wenn einer die Leistung nicht bringt, wirf ihn raus.“

Außerdem habe man den Leiharbeitern, die jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit eingestellt wurden, versprochen, dass sie eine Festanstellung bekommen würden, wenn sie sich besonders anstrengen. „Obwohl von vornherein klar war, dass die Ende Dezember alle wieder entlassen werden.“


Erstmals nicht gelogen.
Hüttner bestätigt das. „Bisher war das so, ja. Dieses Jahr ist es zum ersten Mal anders.“ Weil die Gewerkschaft Druck gemacht habe, habe man den Saisonalkräften erstmals reinen Wein eingeschenkt und klar kommuniziert, dass es sich um ein befristetes Arbeitsverhältnis handelt. Amazon hat auch zum ersten Mal keine Leiharbeiter aus dem Ausland hinzugezogen, sondern nur Leute aus der Region in befristeten, den Festangestellten gleichwertigen Arbeitsverträgen. Allein in Deutschland waren das in dieser Saison 14.000 Hilfskräfte.

Neben den Saisonarbeitern gebe es vor allem in den neueren Verteilerzentren noch viele mit befristeten Verträgen. „Die haben alle Angst, viele sind sogar richtige Gewerkschaftsgegner“, sagt Hüttner, selbst ein Gewerkschaftsmitglied. In Bad Hersfeld hätten in den letzten Tagen 600 Leute gestreikt, von insgesamt 3000 Mitarbeitern.


„Zulagen ein Almosen.“
Hüttner betont, gern bei Amazon zu arbeiten – „wegen der Kollegen, man respektiert einander“ – trotzdem sei vieles nicht in Ordnung. Mit den Streiks wollen die Arbeiter bessere Löhne erkämpfen, sie wollen nach dem Handels- und nicht nach dem Logistiktarif bezahlt werden.

Bei den Löhnen habe sich zwar einiges getan: „Als ich begonnen habe, gab es acht Euro Stundenlohn, mittlerweile sind es 11,71 Euro.“ Die Zulagen, etwa die 400 Euro Weihnachtsgeld, seien aber „ein Almosen“.

Streiks

Orte. Gestreikt wurde in drei der neun deutschen Verteilerzentren von Amazon: in Bad Hersfeld, Leipzig und in Graben bei Augsburg.

Weihnachtsfrieden.
Am Samstag beendete die Gewerkschaft den Streik nach dem sechsten Tag in Folge. Bis Weihnachten werde nicht gestreikt.

Keine Engpässe. Amazon betonte, dass es zu keinen Lieferengpässen kommen werde, da man auf andere Standorte ausweiche.

2014. Für das neue Jahr kündigte die Gewerkschaft Verdi an, die Streiks fortzusetzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2013)

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