Arbeitsmarkt ist von Zuwanderern geprägt

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Der deutsche Wirtschaftsforscher Karl Brenke erklärt, warum durch die Migration sowohl Beschäftigung als auch Arbeitslosigkeit steigen, und warnt vor einfachen Gewinn- und Verlustrechnungen.

Die Presse: Wird die Arbeitsmarktöffnung für Rumänen und Bulgaren die Arbeitslosigkeit in Deutschland und Österreich erhöhen?

Karl Brenke: Das ist schwer zu kalkulieren. Aber es geht nicht nur darum, wie viele Arbeitskräfte direkt aus diesen Ländern kommen. Es sind bereits viele Rumänen und Bulgaren nach Südeuropa gezogen, viele von ihnen sind jetzt arbeitslos. Es könnte also sein, dass nicht nur Menschen aus Rumänien und Bulgarien direkt kommen, sondern über solche Umlenkungseffekte nach Mitteleuropa strömen. Zumal die Beschäftigungsentwicklung recht gut ist.

In Deutschland steigt die Beschäftigung, aber eben auch die Arbeitslosigkeit. In Österreich ist das genauso.

Wir sind in der ungewöhnlichen Situation, dass die Konjunktur einerseits reicht, um Beschäftigung aufzubauen. Auf der anderen Seite steigt auch die Arbeitslosigkeit. Das hängt damit zusammen, dass die Zahl der Menschen steigt, die einen Job suchen. Das Wachstum des Erwerbspotenzials beruht vor allem auf Zuwanderung. In den letzten zwei bis drei Jahren hat sich das enorm beschleunigt, vor allem aus den neuen EU-Staaten, aber auch aus Südosteuropa. Zudem hat sich gezeigt, dass insbesondere junge Menschen aus den Krisenländern kommen. Der Zuzug aus den neuen Mitgliedsländern überwiegt ganz eindeutig.

Wie viele Zuzügler nach Deutschland erwarten Sie noch aus Rumänien und Bulgarien?

Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, dass die Zuwanderung stärker sein wird, als das im Fall von Osteuropa war. Da hielt sich der Wanderschub in Grenzen. Der Zuzug aus Südosteuropa könnte stärker werden. Einerseits, weil diese Arbeitskräfte nicht so sehr wie zum Beispiel die Polen schon vorher die Zuwanderungskanäle genutzt haben. Und andererseits, weil eben nicht wenige aus den Krisenländern Südosteuropas kommen. Hinzu kommt, dass sich einige Staaten relativ restriktiv verhalten, zum Beispiel Großbritannien. Damit wird die Zuwanderung nach Mitteleuropa quasi umgelenkt.

Auch in Deutschland gibt es eine Debatte darüber, ob man den Zuzug nicht strenger regeln sollte.

In den altindustriellen Regionen Deutschlands gibt es eine erhebliche Zuwanderung von Rumänen und Bulgaren, die aber nicht auf dem Arbeitsmarkt sind, sondern versuchen, von Unterstützungsleistungen zu leben. Dazu gab es in letzter Zeit unterschiedliche Gerichtsurteile. Da geht es nicht um die Arbeitskräfte, sondern darum, wie weit Leute kommen und eben nicht arbeiten und Sozialleistungen beziehen wollen.

Was schätzen Sie, wie viele das sind?

Ungefähr ein Achtel der Menschen, die seit 2007 aus Rumänien und Bulgarien nach Deutschland kommen, sind weder auf dem Arbeitsmarkt noch in irgendeiner Ausbildung. Bei Rumänen und Bulgaren ist der Anteil relativ hoch. Viel entscheidender ist aber, dass der überwiegende Teil einen Job haben will und einen Job hat.

Bringt die Arbeitsmarktöffnung für Länder wie Deutschland oder Österreich überhaupt etwas?

Wir haben einen offenen europäischen Arbeitsmarkt, das muss man auch akzeptieren. Wenn Menschen ins Land kommen und hier arbeiten, ist das sicherlich kein Verlust. Ich habe bloß große Probleme mit solchen Verlust- und Gewinnrechnungen. Der Beschäftigungsaufbau der letzten Jahre war vermehrt von Zuzüglern getragen. Mittlerweile zu einem Drittel von Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft. Vor drei Jahren waren es nur halb so viele. Das Arbeitsmarktgeschehen ist zunehmend von Zuwanderern geprägt. Aber es ist eben auch der Aufbau der Arbeitslosigkeit durch Zuwanderung geprägt.

Ist die Angst vor der Armutsmigration aus Rumänien und Bulgarien berechtigt?

Die entscheidende Frage ist, wie man jetzt mit Zuzüglern umgeht, die vor allen Dingen versuchen, in die Sozialleistungen hineinzuziehen. Da könnte es natürlich ein Problem geben, wenn das System so gestaltet wäre, dass jeder Zuwanderer Sozialleistungen bekommen kann, zumal wir ja auch riesige Einkommensunterschiede in der EU haben. Von daher wäre auch das deutsche Sozialsystem durchaus attraktiv.

Im Ruhrgebiet hat ein Rumäne auf Hartz IV geklagt und recht bekommen, obwohl er erst seit einem Jahr in Deutschland lebte. Begründung war, dass seine Aussichten auf Arbeit gering waren, wie die Bundesagentur für Arbeit ihm sagte. Was bedeutet das für den deutschen Arbeitsmarkt?

Das war noch nicht die letzte Instanz. Man muss weitere Entscheidungen abwarten und auch, welche politischen Maßnahmen getroffen werden. Es gibt eine Diskussion in der EU, welche Möglichkeiten man denn hat, um auf der einen Seite die Freizügigkeit zu gewähren und auf der anderen Seite Missbrauch abzuschalten.

Wie wird sich die Arbeitslosigkeit in Europa weiter entwickeln?

Das hängt natürlich sehr mit der allgemeinen Konjunktur zusammen, wie sich die Krise weiter entwickelt. Wir gehen davon aus, dass wir für das nächste Jahr in Deutschland weiterhin einen leichten Aufbau der Beschäftigung haben werden, aber auch einen leichten Aufbau bei der Arbeitslosigkeit. Und zwar deswegen, weil auch wegen der Zuwanderung das Erwerbspotenzial wächst.

ZUR PERSON

Karl Brenke ist wissenschaftlicher Referent am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, mit den Schwerpunkten Arbeitsmarkt und Konjunkturanalyse. Er studierte Volkswirtschaftslehre, Statistik und Soziologie. [ DIW ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2014)

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