Die Schwellenländer schwächeln

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Brasilien, Russland, Indien, China: Die Hoffnungsträger der Weltwirtschaft sind in der Krise. Investoren fliehen, Kurse und Währungen purzeln. Schuld daran sind auch die Notenbanken im Westen.

Wien. Schlag Mitternacht machte der türkische Notenbankchef Erdem Basci Ernst. Um den Absturz der Lira zu stoppen, hob er den Leitzins von 4,5 auf zehn Prozent an. Viel gebracht hat es nicht: Mittwochnachmittag lag die Lira wieder nahe an ihrem Rekordtief. Doch die Rettungsaktion zog ihre Kreise weit über Ankara hinaus. Aktienmärkte und Währungen der angeschlagenen Schwellenländer Indonesien, Russland oder Südafrika erholten sich leicht. Zum ersten Mal seit fast einem Jahr flackerte Hoffnung auf, dass der Verfall der einstigen Hoffnungsträger gestoppt werden könnte. Denn die Wachstumskaiser der vergangenen Jahre haben zuletzt allesamt gewaltige Bremsspuren fabriziert.

Investoren kommen heim in den Westen

Dabei fing alles so gut an: Frei nach dem Motto „Ein guter Name ist die halbe Miete“ fasste vor 13 Jahren Goldman-Sachs-Banker Jim O'Neill die damals wirtschaftlich unauffälligen Länder Brasilien, Russland, Indien und China zu den BRIC-Staaten zusammen. All jenen, die ihm folgten und ihr Geld in diese Länder investierten, sagte er goldene Zeiten voraus. Bis vor Kurzem lag er damit auch richtig. Als die westlichen Industrienationen 2008 in die Rezession schlitterten, waren es eben die Schwellenländer, die das weltweite Wirtschaftswachstum aufrechthielten. 2012 steuerten die vier BRIC-Länder noch ein Viertel der weltweiten Wirtschaftsleistung bei.

Doch mit dem rasanten Wachstum ist es vorbei. Spätestens seit US-Notenbank-Chef Ben Bernanke im Mai angekündigt hat, der Ära des ultrabilligen Geldes langsam ein Ende setzen zu wollen, fliehen Investoren aus aufstrebenden Volkswirtschaften und kehren in die vermeintlich sicheren Häfen Europas und der USA zurück. Selbst der BRIC-Fonds von Goldman Sachs hat in den vergangenen drei Jahren 20 Prozent an Wert verloren. Für Staaten, die mehr importieren als exportieren, hat diese Kapitalflucht fatale Folgen. Indien und Brasilien, aber auch Indonesien und die Türkei sind auf „hot money“ angewiesen, um ihre Leistungsbilanzdefizite zu finanzieren. Bleibt das Geld aus, kommt die Wirtschaft ins Stottern, die lokalen Währungen stürzen ab. Auch wenn zehn Jahre Rekordwachstum die Millionärsdichte in den Ländern nach oben katapultiert hat, eine kaufkräftige Mittelschicht, die für die ausländischen Geldgeber einspringen könnte, konnte sich nicht etablieren.

So weit die Gemeinsamkeiten. Aber es gibt auch fundamentalere Gründe für die Lähmung der jungen Wilden. Und diese sind unterschiedlicher, als es das gemeinsame Akronym vermuten ließe: China, der Großvater aller Schwellenländer, wächst so langsam wie zuletzt Ende 1990. Das Wirtschaftsmodell der Volksrepublik ist überholt. Als billige Werkbank taugt die schrumpfende und überalterte chinesische Bevölkerung nicht mehr. Indien wiederum hätte genug Junge, steht aber vor einer Stagflation, also schwachem Aufschwung und hoher Inflation. Die Regierung ringt bis dato erfolglos mit dem gewaltigen Leistungsbilanzdefizit und dem Verfall der indischen Rupie. Russland ist immer noch vom Rohstoffverkauf abhängig, und Brasilien wird heuer nicht schneller wachsen als die USA. Überbordende Steuern, Bürokratie und schwache Infrastruktur schwächen das Land.

Ein Name, unterschiedliche Probleme

Die Staaten haben also längst nicht alle die gleichen Probleme. Aber eben auch nicht die gleichen Errungenschaften oder Vorzüge. Ein Russe verdiente laut IWF 2013 doppelt so viel wie ein Chinese, dieser wiederum doppelt so viel wie ein Inder. Und jener knapp ein Zehntel eines Österreichers. Während China seit 2000 Währungsreserven von 3,5 Bio. Dollar anhäufen konnte, gelang das Indien nicht einmal ansatzweise. Die einzige Bürde, die diese vier Staaten wirklich teilen, ist ihr gemeinsamer Name. So wie BRIC Investoren in Hochphasen für spezifische Probleme der Länder blind gemacht hat, so macht es sie derzeit blind für ihre unterschiedlichen Aussichten.

Die Investmentbanker können die kreativen Namensspiele aber nicht lassen: Kürzlich präsentierte Jim O'Neill (nicht mehr bei Goldman Sachs) die MINT-Länder (Mexiko, Indonesien, Nigeria, Türkei), die nächsten vermeintlichen Hoffnungsträger. Ideal ist das Timing nicht. Mit Indonesien und der Türkei sind zwei der programmierten Überflieger schon vor dem Start ins Stolpern gekommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2014)

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