EU-Industriechefin: "Die Welt läuft, Europa spaziert"

Emma Marcegaglia
Emma Marcegaglia(c) EPA
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Europa sei bei Veränderungen zu ängstlich und zu ablehnend, kritisiert Emma Marcegaglia, die oberste Industrievertreterin in der EU. Dies zeige sich vor allem beim Thema Energie.

Kürzlich hat die EU-Kommission ihre Klimaziele geändert. Künftig soll es keine konkreten Ziele für Energieeffizienz oder den Anteil erneuerbarer Energieträger mehr, sondern nur noch ein CO2-Reduktionsziel geben. Sind Sie darüber glücklich?

Emma Marcegaglia: Ja. Die drei verschiedenen Ziele machten es in der Vergangenheit für die europäische Industrie sehr kompliziert und teuer. Allerdings wurde die CO2-Reduktion auf minus 40 Prozent per 2030 ausgeweitet. Und wir glauben, dass das ohne eine globale Einigung einfach nicht finanzierbar ist. Wenn Länder wie China, Indien oder die USA sich keine Ziele setzen, sollten wir es auch nicht machen.

Die neuen Regeln werden auch von der anderen Seite kritisiert. Demnach sind sie ein Kniefall vor der Atomkraft. Ihr Heimatland Italien ist eines der wenigen großen Industrieländer, das ohne diese auskommt. Brauchen wir in Europa mehr Atomkraft?

Die europäische Energiepolitik sollte auf alle verfügbaren Ressourcen setzen. Und das ist neben Kohle, Gas, Wasser und Erneuerbaren eben auch die Atomkraft.

In Italien gab es erst vor drei Jahren ein Referendum zum Thema Atomkraft, das negativ ausging. Sind die Italiener – gleich wie die Österreicher – in dieser Frage auf dem Holzweg?

Dieses mal war das Referendum nur kurz nach Fukushima, beim ersten Mal war es kurz nach Tschernobyl. Wenn man ein Referendum also nur kurz nach einem atomaren Unfall macht, dann ist es doch logisch, dass die Menschen Nein sagen. Doch gerade Italien hat mitunter die höchsten Energiekosten in Europa, weshalb unsere Wettbewerbsfähigkeit ständig sinkt und Jobs verloren gehen. Ich glaube daher, dass Atomkraft für Italien wichtig wäre.

Ich nehme an, Ihre Position wird bei Schiefergas ähnlich sein?

Ja. Ich möchte zumindest, dass überprüft wird, wie hoch unser Potenzial bei Schiefergas ist. Es kann doch nicht sein, dass wir aus ideologischen Gründen einfach Nein dazu sagen. Die USA schaffen zur Zeit eine Reindustrialisierung ihrer Wirtschaft. Und wenn man mit europäischen Vertretern von energieintensiven Betrieben spricht, dann meinen die, dass sie künftig nur mehr in den USA investieren wollen. In der EU wird das Ausmaß dieses Problems oft nicht verstanden. Hier schauen alle nur auf den Klimawandel.

Hohe Energiekosten sind aber nicht der einzige Grund für die sinkende Wettbewerbsfähigkeit Europas. Vor allem die südeuropäischen Länder sind in der Krise. Was war der Hauptgrund dafür?

Das größte Problem ist die zu geringe Arbeitsproduktivität. In Italien haben wir sehr hohe Arbeitskosten, die seit der Jahrtausendwende auch stark gestiegen sind. Die Produktivität konnte damit nicht mithalten.

Es sind also die Löhne zu hoch?

Es ist vor allem der Unterschied zwischen Nettolöhnen und effektiven Arbeitskosten zu hoch. Wir haben in Italien neben Belgien die höchste Abgabenbelastung von Arbeitseinkommen in Europa. Und seit dem Ausbruch der Krise gibt es in den südlichen Ländern auch eine riesige Kreditklemme, die vor allem kleinere und mittlere Unternehmen trifft. Es gibt gut gehende italienische Firmen, die bei österreichischen Banken um Kredite ansuchen müssen – und diese dort auch erhalten –, weil sie von italienischen Banken einfach nichts bekommen.

In Südeuropa, aber auch in Paris oder Brüssel, hört man oft das Argument, das Deutschland für die anderen EU-Länder zu wettbewerbsfähig sei. Sehen Sie das auch so?

Ich glaube nicht, dass sinnvoll wäre, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands künstlich zu verschlechtern. Um die Wettbewerbsfähigkeit des Südens zu steigern, müssen die Maßnahmen dort gesetzt werden: So gibt es immer noch Raum, die öffentlichen Ausgaben zu senken ...

... auch in Griechenland oder Spanien?

Dort ist schon relativ viel passiert. Aber in Italien gibt es noch genügend Möglichkeiten, wo man ansetzen müsste. Darüber hinaus müssen die rigiden Regeln am Arbeitsmarkt gelockert werden. Und das trifft neben Italien auch weiterhin auf Griechenland zu.

Kritiker der Einsparungsprogramme im Süden sagen, dass mit diesen auch das Wachstum abgewürgt werde und die schon hohe Arbeitslosigkeit weiter steige.

Wenn öffentliche Ausgaben reduziert werden, können auch die Steuern gesenkt werden. Und dann wird auch das Wachstum zurückkommen. Die Idee, mit mehr öffentlichen Ausgaben Jobs zu schaffen, funktioniert einfach nicht. Italien hatte durch den Wechsel auf den Euro einen Vorteil, weil die Zinsen von einst zehn auf nur wenige Prozent fielen. Die öffentlichen Ausgaben stiegen rasant an. Das Geld wurde aber nicht sinnvoll eingesetzt, sondern zum Fenster hinausgeworfen. Langfristige Jobs wurden keine geschaffen.

Vorübergehend gibt es aber eine hohe Arbeitslosigkeit, vor allem unter den Jugendlichen. Wächst da eine verlorene Generation heran?

Ja, das ist ein Riesenproblem. 40 Prozent der Jugendlichen in Italien sind arbeitslos. Zwei Millionen Buben und Mädchen machen sogar gar nichts. Sie sind sogenannte Neets (not in education, employment or training, Anm.), die weder in Ausbildung sind noch einer Arbeit nachgehen. Diesen hilft man aber am ehesten, wenn es wettbewerbsfähige Unternehmen gibt, die neue Jobs schaffen. Und wenn es einen Arbeitsmarkt gibt, der auch den Jungen Chancen bietet. In Italien ist der Arbeitsmarkt zweigeteilt. Jene, die einen Job haben, sind stark geschützt. Die anderen müssen dafür in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen bleiben.

Ist das Ganze auch ein bisschen ein Mentalitäts-Problem? Sollten die Italiener also ein bisschen mehr wie die Deutschen sein?

Es ist schwierig, einem Italiener zu sagen, er solle mehr wie ein Deutscher sein. Im Norden Italiens haben wir ja auch immer noch eine der wettbewerbsfähigsten Regionen Europas.

Zentrum dieser norditalienischen Industrieregion ist Turin, der bisherige Stammsitz von Fiat. Sergio Marchionne, der Chef des Autoherstellers, meinte einst: Fiat würde es ohne Italien besser gehen. Was sagen Sie zu diesem Statement?

Bisher hat auch Marchionne bis auf eine alle italienischen Fabriken behalten. Natürlich hat er mit Chrysler eine globale Gruppe erschaffen und will den Hauptsitz aus steuerlichen Gründen nach Holland verlegen. Und es stimmt auch, dass es in Italien immer wieder Probleme mit sturen linken Gewerkschaften gibt. Aber in Summe wird auch Fiat Italien weiter brauchen.

Auch Ihr Unternehmen hat Produktionen nach außerhalb von Europa verlegt, wofür Sie – als damalige Chefin des italienischen Industrieverbandes – scharf kritisiert wurden. Wird es unmöglich, in Italien oder sogar Europa wirtschaftlich zu arbeiten?

Der Weggang aus Europa hängt nicht immer mit der Situation hier zusammen. Viele Unternehmen müssen global aufgestellt sein. Ich kann nicht aus Italien in alle Welt exportieren. Ich muss auch dort produzieren, wo meine Produkte gebraucht werden. Mein Unternehmen produziert immer noch zu 80 Prozent in Italien oder Europa. Aber eines stimmt: Der Rest der Welt läuft, Europa spaziert. Alles dauert sehr lange. Bei Veränderungen oder neuen Entwicklungen wie Schiefergas ist man zuerst einmal ängstlich und ablehnend. Und dadurch fallen wir zunehmend zurück. Es gibt einen Witz, der das gut auf den Punkt bringt. Bei einer neuen Innovation sagen die Amerikaner: Lasst uns einen Erfolg daraus machen. Die Asiaten sagen: Lasst es uns kopieren. Und die Europäer sagen: Lasst es uns regulieren.

Sie sind ja eine der wenigen Industriellen, die einer Vermögenssteuer nicht ganz abgeneigt sind. Wie kommt das?

Ich bin nicht für eine Vermögenssteuer. Aber ich habe gesagt, wenn es zu einer echten Entlastung bei den Lohn- und Firmensteuern kommt, dann kann ich mir eine kleine Vermögenssteuer, aber keine Substanzbesteuerung, vorstellen. In Italien wollte man aber eine Vermögenssteuer einführen ohne einer Entlastung auf der anderen Seite.

Während der Krise wurden Stimmen laut, wonach die Reichen mehr beitragen sollten. Verstehen Sie den Unmut von Menschen, die etwa ihre Jobs verloren haben?

Ja, ich verstehe ihn. Aber bevor etwas verteilt werden kann, muss es erschaffen werden. Es geht nicht, Reichtum zu verteilen, bevor er von wettbewerbsfähigen Unternehmen und deren Mitarbeitern geschaffen wurde. Die Idee, zu verteilen, bevor es erschaffen wurde ist ein Desaster, das bereits gescheitert ist.

Die Industrie-Chefin

Emma Marcegaglia ist seit April 2013 Präsidentin von Businesseurope, dem europäischen Dachverband der nationalen Industrieverbände (österreichisches Mitglied ist die Industriellenvereinigung). Zuvor war Marcegaglia zwischen 2008 und 2012 Chefin des italienischen Verbandes Confindustria – als erste Frau.

Zusammen mit ihrem Bruder besitzt Marcegaglia ein stahlverarbeitendes Unternehmen mit rund 7000 Mitarbeitern. Die Firma ist in Mantua beheimatet, wo Marcegaglia mit ihrer Familie auch lebt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2014)

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