Die Lehren der Finanzkrise

Kenneth S. Rogoff, Finanzkrise
Kenneth S. Rogoff, Finanzkrise(c) FABRY Clemens
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Der renommierte Harvard-Professor Kenneth S. Rogoff hat in seiner jüngsten Studie die Finanzkrisen der vergangenen 200 Jahre untersucht. Die aktuelle Krise vergleicht er mit der Großen Depression. »Die Folgen sind dramatisch«, warnt er.

Im 16. Jahrhundert entwickelte sich ein blühendes Termingeschäft mit Tulpen. Händler spekulierten darauf, dass die Blumenpreise steigen, und machten Gewinne. Zwischenzeitig kostete eine Tulpenzwiebel mehrere tausend Gulden. Ein Irrsinn. Im Februar 1637 platzte die Blase, die niederländische Wirtschaft geriet in arge Schwierigkeiten.

Die „Tulpenmanie“ ist als eine der ersten Finanzkrisen in die Annalen eingegangen. Es folgten weitere Krisen: die Große Depression 1929, die Ölkrise, Asien-Krise, Dot-Com-Krise, Eurokrise. Kann man daraus eine Tendenz ableiten? Die Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff haben in den Geschichtsbüchern geblättert und die Finanzkrisen der vergangenen 200 Jahre untersucht. Dabei ging es ihnen vor allem darum, einzuschätzen, wie gefährlich die aktuelle Immobilien- und Eurokrise ist. Bloß: Was ist eine Krise?

Rogoff und Reinhart legten ihrer Arbeit eine unter Ökonomen gängige Definition von Krisen zugrunde: der Rückgang des Sozialprodukts pro Kopf. Die Forscher maßen die Dauer der Krise vom Höhepunkt bis zum Tiefpunkt. Diese recht simple Definition erlaubt eine Vergleichbarkeit zwischen Ländern über die Zeit.

Rogoff verfasste Krisenindex. Auf Grundlage makroökonomischer Daten erstellten die Forscher einen Krisenindex („severity index“). Dieser Index berücksichtigt neben dem Rückgang der Wirtschaftsleistung auch die Dauer der Krise und Erholungsphase. „Unsere Methodologie ist robuster als die Standardmethode des National Bureau of Economic Research, wo jedes kleine Negativwachstum gleich als Rezession interpretiert wird“, sagt der Harvard-Ökonom Kenneth S. Rogoff im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“.

Die schlimmste Bankenkrise erlebte Rogoff zufolge übrigens Chile im Jahr 1926 mit einem Rückgang des Sozialprodukts pro Kopf um 46,6 Prozent. Die Erholung dauerte 16 Jahre. Die Mutter aller Krisen, der große Crash von 1929, bringt es „nur“ auf Rang 13. Griechenland 2008 landet in der Hitliste der schwersten Finanzkrisen gleich dahinter auf Platz 15. Auffällig ist, dass die jüngsten Finanzkrisen in Griechenland, Irland, Italien und Island, gemessen an der Erholungsphase und Höhe des Rückgangs, fast genau so schwerwiegend waren wie die Great Depression in den 1930er-Jahren. Gibt es da eine Parallelität?

Die Wirtschaft verläuft bekanntlich in Zyklen. Und davon macht die Krise auf dem US-Hypothekenmarkt keine Ausnahme. „Wir haben auf Grundlage früherer Arbeiten betont, dass die Subprime-Krise keine Anomalie im Kontext der Ära vor dem Zweiten Weltkrieg darstellt“, schreiben die Autoren. „Unser Hauptpunkt ist, dass die vergangenen Finanzkrisen in den Industrienationen eher den Erfahrungen vor als jenen nach dem Zweiten Weltkrieg entsprechen.“

Und die Lehren aus der Vergangenheit verheißen nichts Gutes. In 43 Prozent der untersuchten Krisen gab es einen sogenannten Double Dip, also einen nochmaligen Rückfall in die Rezession. Was erklärt diese Häufigkeit? „Die ausgedehnte Periode langsamen Wachstums, die typisch für die Erholung von Finanzkrisen ist, erweist sich als anfälliger“, sagt Harvard-Ökonom Rogoff. „Wenn eine Volkswirtschaft ein Wachstum von drei Prozent verzeichnet, braucht es einen größeren Schock, um in negative Wachstumsregionen zu fallen, als wenn das Wachstum bei einem Prozent liegt.“ Das Problem ist aber, dass das Wachstum in den Industrienationen derzeit alles andere als robust ist.

Deutschland und USA aus der Krise. Von jenen zwölf Ländern, die eine systemische Krise mit Beginn 2007/2008 erlebten, haben nur Deutschland und die USA den Peak vor der Krise wieder erreicht, konstatieren Rogoff und Reinhart in ihrer Studie. In Griechenland, Italien, Portugal und Spanien schrumpfte 2013 das Sozialprodukt pro Kopf. Verglichen mit anderen Finanzkrisen erscheint die Rezession in der Peripherie der Eurozone gravierend. „Wenn man der Dauer der Krise Rechnung trägt, wie es unser Index tut, sind die kumulierten Verluste dramatisch“, warnt Rogoff.

Ist die Immobilien- bzw. Eurokrise überwunden? „Es ist schwer einzuschätzen“, sagt Rogoff, „obwohl die Dinge zurzeit stabiler sind als im Sommer 2012. Wir können die Talsohle aber in einem technischen Sinn noch nicht als überschritten betrachten, solange die Länder nicht ihr Vorkrisen-Niveau gemessen am Pro-Kopf-Einkommen erreicht haben. Und davon sind manche Länder noch meilenweit entfernt.“

Die Forscher wollen ihr Paper als rein wissenschaftlich verstanden wissen und keine Empfehlungen an die Politik abgeben. Die Botschaft ist jedoch unmissverständlich. Und eine Warnung zugleich: Die Krise ist noch längst nicht überstanden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2014)

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